Kykladen. Patrick Schollmeyer

Kykladen - Patrick Schollmeyer


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wichtigen Flottenstützpunkt ausbauten. Der Bund bestand bis zur Mitte des 3. Jhs. v. Chr. Zu dieser Zeit gewann die Insel Rhodos an Einfluss, sie verlor ihn wieder, als sie den Makedonenkönig Perseus unterstützte, der 168 v. Chr. in der Schlacht bei Pydna den Römern unterlag. Um die Rhodier zu bestrafen, wurde Delos Athen zugesprochen und zum Zollfreihafen erklärt, was zu einem enormen Wohlstand der dortigen Siedlung führte, die unter römischer Herrschaft regelrecht aufblühte. Im Saal der hellenistischen Skulpturen des Athener Nationalmuseums stehen einige Skulpturen und Porträts aus dieser Phase (Abb. 5).

      Seit der Zeit Alexanders gehörten die Kykladeninseln somit zu wechselnden Großreichen. Folglich waren sie zu Steuerzahlung und Heeresfolge verpflichtet, durften sich aber selbst verwalten. Sie taten das nach dem Vorbild Athens: Die Bürger traten in Volksversammlungen zusammen und wählten jährlich Beamte (gr. Archonten) und einen Rat (gr. Boule). Auch die Römer, die seit dem 3. Jh. v. Chr. mehr und mehr unter den Einfluss der griechischen Kultur geraten waren, gestanden ihren griechischen Untertanen einen hohen Grad an Autonomie zu. Griechisch durfte neben dem Lateinischen Amts- und Verwaltungssprache bleiben. Die neuen Machthaber hatten in erster Linie ökonomische Interessen. Sie forderten hohe Abgaben, eine Politik, die bei den Untertanen zu großer Unzufriedenheit führte. Aus dieser Verdrossenheit versuchte Mithridates VI. Eupator, König von Pontos (ca. 113–63 v. Chr.), zu Beginn des 1. Jhs. v. Chr. Kapital zu schlagen. Er bemächtigte sich Kleinasiens (91–87 v. Chr.) und erließ 88 v. Chr. in Ephesos den Befehl, in den kleinasiatischen Städten an einem festgesetzten Tag alle Römer und Italiker zu töten. Antike Historiker sprechen von 80.000, ja, 150.000 Toten. Das griechische Festland und die Kykladen schlossen sich ebenfalls größtenteils dem neuen Machthaber an. Ungeachtet dessen wurden viele Inseln von Mithridates selbst (88 v. Chr) oder einem seiner Verbündeten (69 v. Chr.) überfallen und geplündert. Von den Folgen konnten sie sich lange nicht erholen. Erst 63 v. Chr. gelang es den Römern, Mithridates zu besiegen.

      Die Römer hatten 146 v. Chr. die ägäischen Inseln zusammen mit dem griechischen Festland und Makedonien zur römischen Provinz „Macedonia“ vereinigt. Als die Provinz 27 v. Chr. auf Veranlassung des ersten römischen Kaisers Augustus geteilt wurde, bildeten sie mit Griechenland zusammen die Provinz „Achaea“. Die Herrschaft der römischen Kaiser stellte die längste Friedenszeit in der Antike für die Kykladen dar. Allenthalben entwickelte sich neuer Wohlstand.

      Epilog – Die Zeiten verdüstern sich

      Seit der Teilung des Imperium Romanum in ein West- und ein Ostreich (395 n. Chr.), gehörten Griechenland, Makedonien und die ägäischen Inseln zum Ostreich, aus dem das Byzantinische Reich hervorging. Vom 8. Jh. an häuften sich Überfälle von Seeräubern, islamischen Sarazenen und christlichen Normannen. Die Inseln wurden nach und nach entvölkert.

      1054 trennten sich dann die griechische Kirche des Ostens und die lateinische Kirche des Westens voneinander. Als 1204 die „Franken“ auf ihrem 4. Kreuzzug, unter der Führung des venezianischen Dogen Enrico Dandolo, Konstantinopel eroberten und plünderten, gründeten sie auf dem Gebiet des Byzantinischen Reichs ein „Lateinisches Kaiserreich“. Diesen Herrschaftsumschwung ausnutzend errichtete Marco Sanudo, ein Neffe des Dogen, 1207 auf der Insel Naxos ein eigenes Herzogtum, das er „Archipelagos“ (aigaion pelagos, Ägäisches Meer) nannte und dem u. a. Paros, Thera und Mykonos angehörten. Sanudo residierte auf Naxos, während er mit den anderen Inseln seines Herrschaftsbereichs einflussreiche venezianische Familien belehnte.

      Die Eroberer bildeten allerdings nur eine kleine Oberschicht, die in den Städten wohnte. Sie verhielten sich tolerant und ließen den griechischen Untertanen ihren orthodoxen Glauben. Wie alle Herren forderten aber auch sie hohe Abgaben, mit denen sie den Bau ihrer Burgen finanzierten. Viele Kykladengriechen verlegten sich deshalb auf das Geschäft der Piraterie, andere wanderten nach Kreta aus.

      Schon in der ersten Hälfte des 14. Jhs. wurden die Inseln mehrfach von muslimisch-türkischen Verbänden geplündert und viele Einwohner verschleppt. 1537 eroberte Chairedin, ein zum Islam konvertierter Christ, der wegen seines roten Vollbarts „Barbarossa“ genannt wurde, im Dienst des Sultans die Inseln und machte sie tributpflichtig. Wiederum verließen viele der Bewohner daraufhin ihre Heimat.

      Eine der versklavten Frauen, die auf Paros geborene vornehme Venezianerin Cecilia Venier-Baffo, verschlug es in den Harem des Sultans Selim II. (1566–1574). Sie wurde Mutter des Sultans Murat III. (1574–1595), der den Inseln dank seiner Herkunft großzügig Privilegien gewährte.

      Bis 1577 regierte noch ein vom Sultan eingesetzter Herrscher, ein portugiesischer Jude, Jussuf Nassy, anschließend übernahmen die Türken endgültig selbst die Herrschaft und Verwaltung. Sie waren keine Seefahrer, deshalb siedelten sich nur wenige von ihnen auf den Inseln an. Sowohl den griechisch-orthodoxen als auch den römisch-katholischen Christen gegenüber verhielten sich die Türken tolerant. Kirchen durften gebaut werden und geistliche Orden konnten sich betätigen.

      Trotz dieser relativen kulturellen Unabhängigkeit spielten die Kykladeninseln im griechischen Freiheitskampf mit ihren Schiffen, erfahrenen Seeleuten und Kapitänen eine wichtige Rolle. 1830 schlossen sie sich folgerichtig dem neu gegründeten griechischen Staat an.

      Die Reise geht los: Eine besondere Beziehung – Athen und der Nordwind

      Abb. 6 Turm der Winde, Römische Agora Athen, 1. Jh. v. Chr.

      Nach dem gewiss anstrengenden Schnellkurs in Sachen Inselgeschichte ist es Zeit, sich den Wind um die Nase wehen zu lassen und endlich die Überfahrt zum ersten kykladischen Reiseziel anzutreten. Dabei sollte man die Warnungen so mancher Reiseführer nicht leichtfertig sprichwörtlich in den Wind schlagen. Denn zu Recht wird einem geraten, zu jeder Reisezeit einen Windschutz einzupacken. Besonders im Juli/August sind die von Norden wehenden Winde, der Meltemi oder die Etesien, besonders stark spürbar. „Meltemi“ ist ein türkisches Wort, das die Winde euphemistisch als „lind“ bezeichnet, Etesien nannten sie die Griechen (Herodot, 6, 140), weil sie Jahr für Jahr (etos heißt Jahr) mit zuverlässiger Regelmäßigkeit aufzutreten pflegten. Die Griechen wären nicht die Griechen, wenn sie den Wind nicht als Gott personifiziert, mit einem Namen versehen und mit einem Mythos ausgestattet hätten: Sie nannten ihn Boreas. In Athen ist er auf dem Fries des sogenannten „Turms der Winde“ aus dem 1. Jh. v. Chr., ein Bauwerk der römischen Agora, als ein geflügelter, bärtiger Mann abgebildet, der einen Mantel trägt und in eine Muschel bläst (Abb. 6). Der Mythos weiß von seiner Liebe zu Oreithyia, einer der Töchter des attischen Königs Erechtheus. Der römische Dichter Publius Ovidius Naso (43 v. Chr.–17 / 18 n. Chr.) erzählt die Geschichte in den „Metamorphosen“, den „Verwandlungsgeschichten“, obwohl in diesem Fall niemand seine Gestalt ändert:

       Lange entbehrte der Gott die geliebte Orithyia,

       während er um sie warb und lieber den Bitten als roher

       Kraft vertraute. Als er aber mit Schmeicheleien

       nichts erreichte, ergriff ihn heftiger Zorn – nach seiner

       Art und nach der Gewohnheit von Winden –, und er sagte:

       „Das geschieht mir recht! Denn warum habe ich auf meine

       Waffen verzichtet, auf die Grausamkeit, die Gewalt, den

       Zorn und die Drohung und habe mich auf das Bitten verlegt, das

       gar nicht zu mir passt. Gewalt ist meine Domäne.

      


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