Gewürze aus dem Alten Rom. Günther Thüry
aber als selbständiger Speiseartikel, der freilich sehr salzig schmeckt und eine reichliche Menge Gräten enthält. Sie sind jedoch weich und ebenso essbar wie die zarten Knöchelchen im heutigen Couscous.
Abb. 15 Nach antikem Rezept hergestelltes garum.
Selten gibt es ein Thema, bei dem auch noch der neuesten wissenschaftlichen Literatur so viele offenkundige Fehler unterlaufen wie bei garum und allec. Ein Teil dieser Irrtümer betrifft schon die Natur der beiden Produkte. Beispielsweise werden Fischrestchen aus antiken Gefäßfunden immer wieder als garum-Rückstände erklärt (obwohl ja garum keine Fischteile enthielt); garum wird für „probably quite thick“ gehalten (während es in Wahrheit dünnflüssig ist); oder eine Autorin nennt garum unzutreffend „ein Fäulnisprodukt aus Abfällen“.43
Krasse Fehlurteile betreffen aber auch Geschmack und Bekömmlichkeit von garum. Während die einen schreiben, man kenne seinen Geschmack nicht, versichern andere etwa, es ließe „unsere Mägen wahrscheinlich revoltieren“, sei ihnen „wohl kaum zuträglich“ und würde uns „die römische Küche vermutlich schnell verleiden“. Eine amerikanische Autorin formulierte, garum sei „wahrscheinlich eine genau so gute monokausale Erklärung für den Untergang Griechenlands und Roms wie jede andere“; und der britische Schriftsteller und Politiker Boris Johnson verstieg sich sogar dazu zu behaupten: garum sei „wirklich ekelhaft, fast radioaktiv … Jeder im Imperium aß dieses Zeug, obwohl es hochgiftig war“. Kulinarischer und medizinischer Überprüfung hält keine dieser Aussagen stand.44
Warum sich so viele Autoren falschen, ja unsinnigen, Spekulationen hingeben, obwohl die überlieferte „Hausmacher-Variante“ des garum doch mit nur „etwas Liebe und Geduld“ (G. und M. Faltner) leicht zuzubereiten ist und Klarheit schaffen kann, bleibt unerfindlich. Aber nicht einmal derjenige Forscher, dem wir die grundlegende Untersuchung über garum verdanken – nämlich Robert Irvin Curtis – hat zum archäologischen Experiment gegriffen und das Produkt, über das er schrieb, selbst hergestellt. Selbst er macht sich über den vermutlichen Geruch der Fischsauce unnötige Gedanken und siedelt ihn im Zweifel, je nach Qualität des Erzeugnisses, zwischen Limburgerkäse und Schlimmerem an.45 In Wahrheit hat aber garum mit Limburgerkäse nichts gemein. Es duftet überhaupt nur recht dezent; und der Fischgeruch, der bei seiner Zubereitung in der Küche entsteht, hat sich rasch verzogen.
Berechtigte Vorbehalte gegenüber garum und allec ergeben sich allenfalls auf einem Hintergrund, der von der Forschung bisher noch kaum gesehen wurde. Dieser Hintergrund ist die Produktqualität antiker Industrie-Fischwürzen, die nicht immer zufriedenstellend war. Wir wissen das durch den bisher einzigen genau untersuchten Fund eines allec-Restes aus Mitteleuropa.46 Diese von Johannes Lepiksaar analysierte Fischkonserve kam in einer römischen Amphore aus Salzburg zutage. Der Rückstand ihres Inhalts setzte sich hauptsächlich aus den Relikten von 24 mediterranen Fischarten zusammen (darunter überwiegend Sardinen und Sardellen). Daneben fanden sich aber auch Reste der kulinarisch uninteressanten Seenadeln, ein verirrter Laubfrosch, Muschelstückchen und viel Strandkies. Das stellt zwar der Geschäftstüchtigkeit des antiken Produzenten ein gutes Zeugnis aus; nicht aber seinem Qualitätssinn.
NAHRUNGSFETTE ALS WÜRZSTOFF
Wenigstens noch kurz gestreift sei hier das Thema der Speisefette (Tab. 1, 4). Auch sie geben ja Küchenprodukten ihr spezielles Aroma mit. Wie sehr sie dadurch zum Charakter der Gerichte beitragen, darf man nicht unterschätzen. Ein spanischer Bekannter gestand dem Verfasser, er vermisse bei typischen Hauptgerichten und Salaten unserer Breiten „den Ölgeschmack“; und er kenne auch andere Spanier, denen es genauso gehe. Umgekehrt schrieb Victor Hehn einmal, dass „ein deutscher Bauer mit Behagen große Mengen Speck verzehrt, sich aber schwer entschließt, Öl zum Gemüse hinzuzugießen oder sein Fleisch mit Öl zu braten.“
Abb. 16 Nach antikem Rezept hergestelltes allec.
Die gleiche grundsätzliche Zweiteilung der kulinarischen Welt in eine mediterrane Küche des Olivenöls und in eine mitteleuropäische der tierischen Speisefette hat – wie schon einmal gesagt – bereits die Antike gekannt. Auch wenn es damals Versuche gegeben haben mag, den Ölbaum (Abb. 13) im Norden zu pflanzen, ist ja diese Zweiteilung durch die Klimageographie schon vorgegeben: nämlich durch die nördliche Verbreitungsgrenze, die sie dem wirklich gedeihenden und fruchtenden Ölbaum gezogen hat. Auch im Altertum prägte die Geographie damit kulinarische Vorlieben: nach einem Bericht des Poseidonios wussten die Kelten den Geschmack von Olivenöl nicht zu schätzen (Poseidonios Fragm. 15 Jacoby); und umgekehrt beschwert sich der aus dem römischen Kleinasien stammende Historiker Cassius Dio einmal, dass er als Gouverneur der Donauprovinz Pannonien in einer Landschaft leben musste, in der kein Ölbaum wuchs (Cassius Dio 49, 36, 2).
Dabei hat Dio in Pannonien auf sein Olivenöl wohl kaum verzichtet, sondern es gewiss aus dem Süden importieren lassen. Nicht anders als heute, machten ja Geschmack und Fernhandel die Grenze zwischen den Konsumgebieten von Öl und von tierischen Speisefetten durchlässig. Und so beliebt das Öl im Süden war und so gesund es im Übrigen ist, verraten uns Quellen aus dem mediterranen Raum gelegentlich doch, dass man auch dort hin und wieder tierisches Fett verwendet hat. Im sogenannten Apiciuskochbuch kommt es freilich nur in zwei Rezepten (61 und 64 André) vor.47
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