Gewürze aus dem Alten Rom. Günther Thüry

Gewürze aus dem Alten Rom - Günther Thüry


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Lebenszeit des Marcus Gavius Apicius im 1. nachchristlichen Jh. betrachten dürfen. Die einzelnen Rezepte sind zwar von sicher unterschiedlichem Alter; und einige mögen auch, wie erwähnt, auf Apicius selbst zurückgehen. Die Sammlung als ganze ist jedoch späterer Entstehung.

      Nun darf man sich aber nicht täuschen. Auch wenn sich Tatsachen wissenschaftlich klar beweisen lassen und man sie laut bekannt gibt, heißt das noch lange nicht, dass falsche Ansichten, die im allgemeinen Publikum Wurzel gefasst haben, von der Bildfläche verschwinden. Bisher ist nicht zu beobachten, dass bei Erwähnungen des großen erhaltenen römischen Kochbuchs die nicht korrekte Autorenbezeichnung oder die falschen Angaben über das Alter der Rezepte seltener würden. Obwohl es Apicius heute wieder zu einer gewissen Prominenz gebracht hat – als Namenspatron für viele Restaurants, eine Kochschule, eine Zeitschrift, einen Lebensmittelladen und dergleichen mehr –, sind über ihn sonderbar falsche Angaben in Umlauf. Um nur das Beispiel des Programmhefts eines großen Archäologischen Parks für das Jahr 2017 herauszugreifen: dort ist zu lesen, dass ein Menü „nach Originalrezepten des Apicius aus dem 1. Jahrhundert v. Chr.“ angeboten werde.17

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      Abb. 8 Römische Esszimmerszene. Der Herr rechts fordert die Dame auf, sich zuerst zu bedienen. Es gibt Geflügel; und gegessen wird mit der Hand. Die Sklavin links hält eine Serviette bereit. Grabstein aus Orolaunum-Arlon (Belgien), 2./3. Jh. Musée de La Cour d’Or, Metz.

      RETTICH FÜR DIE ARMEN. GESELLSCHAFTLICHE UNTERSCHIEDE

      Glauben wir der späteren Überlieferung, so hätte es in der älteren römischen Republik eine Zeit gegeben, die keine gesellschaftlichen Unterschiede in der Ernährungsweise kannte.18 Auch ein Staatsmann und Feldherr wie Curius Dentatus (gest. 270 v. Chr.) setzte – so behauptet der kaiserzeitliche Satiriker Juvenal – „das bisschen Kohl, das er in seinem kleinen Garten selbst geerntet hatte, auf einen schmalen Herd“ (Juvenal 11, 78 f.). Das klingt zwar sehr nach einer frommen Legende; aber widerlegen lässt es sich nicht. Fest steht nur, dass sich in der späteren Republik und in der Kaiserzeit zwischen der Ernährung der Armen und der Haute Cuisine der Reichen eine tiefe Kluft auftat. Delikatessen wie etwa der Pfau, über den der Dichter Horaz das dann zur Redensart gewordene Wort vom „raren Vogel“ gesagt hat, waren kleinen Leuten nicht erschwinglich. Während eine Familie aus Pompeji, von der sich inschriftlich eine Art von Auszug aus ihrem Haushaltsbuch erhielt, täglich etwa zwei Sesterze kaiserzeitlicher Währung ausgeben konnte (wovon sie zum Beispiel ein Viertel für einen „kleinen Fisch“ aufzuwenden hatte), gab es extravagante Reiche, denen eine Fischdelikatesse 6000, 7000 oder 8000 Sesterze wert war – genug also, um die ganze Lebenshaltung der erwähnten Pompejaner für einen Zeitraum von acht bis zehn Jahren zu finanzieren. Freilich ging es den Spitzen der Gesellschaft beim Einkauf für die Küche nicht allein um Qualität, sondern zum Teil schon um das gleiche Anliegen, das der amerikanische Ökonom Thorstein Veblen später „demonstrativen Konsum“ nennen sollte; d. h., ihre Nachfrage galt gerade den teuersten Gütern, weil sie so ihre wirtschaftliche Potenz demonstrieren wollten.19

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      Abb. 9 Noch einmal der Grabstein aus Abb. 8. Diesmal sitzen Kinder beim Essen. Einer der beiden Sklaven rechts will einen Hund daran hindern, mitzuhalten.

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      Abb. 10 Tonlampe mit der Darstellung einer „Hauptmahlzeit“ (cena) eines Armen. Da die antike Hauptmahlzeit abends stattfand, war das ein passendes Bildmotiv für eine Lampe. Kunsthistorisches Museum Wien.

      Von den Rezepten des sogenannten Apiciuskochbuchs gehören einige dieser demonstrativen, aber auch die meisten übrigen gewiss einer gehobenen Küche an. Sie ist uns dadurch wesentlich besser bekannt als die Ernährungsweise der ärmeren Menschen der Kaiserzeit. Kochbücher hat die Unterschicht der damaligen Gesellschaft eher nicht benötigt; was sie brauchte, waren eher einfache Nahrungsmittel (wie grobes Brot, Brei und Gemüse).

      Zwar bewirkten Einladungen, die üblicherweise Reiche für eine ärmere Klientel aussprachen, und das Angebot von Imbissbuden eine gewisse Versorgung Ärmerer mit warmen Mahlzeiten und Fleischprodukten. Aber nicht jeder kam häufig in den Genuss solcher Gerichte. Eine Tonlampeninschrift (Abb. 10) drückt das mit den Worten „Die Hauptmahlzeit eines Armen: (das ist) Brot, Wein und Rettich“ aus.20 Alle drei Nahrungsmittel – Brotfladen, Weinflasche und Rettich – sind auf der Lampe auch abgebildet. Freilich stecken sie da in einem Bastkörbchen und zusammen mit einer Serviette so appetitlich beieinander, dass sich das Bedauern für den römischen Armen gar nicht so recht einstellen will.

      KÜCHENKRIEG UND KÜCHENFRIEDEN. KULINARISCHE GEMEINSAMKEIT UND REGIONALE TRADITION

      In seinem Buch The Dream of Rome hat sich der britische Autor und Politiker Boris Johnson auf das Gebiet der Küchengeschichte gewagt und einen Vergleich zwischen Zuständen im Römischen Reich und in der Europäischen Union gezogen. Während römische Untertanen – schreibt er – ihre Mahlzeit überall im Reich mit der Fischsauce garum (Abb. 11 und 15) gewürzt hätten, herrsche in der Europäischen Union in kulinarischen Fragen völlige Uneinigkeit. Über garum (auf das wir später noch ausführlich zurückkommen) zeigt sich Johnson zwar nur wenig informiert; aber es ist doch richtig, wenn er feststellt: Behälter der Fischsauce, die ein Requisit der damaligen mediterranen Küche war, würden auf dem Boden des Römischen Reiches überall gefunden; und diese reichsweite Akzeptanz des Produktes zeige, dass die mediterrane Lebensweise für die Bewohner aller Provinzen Roms attraktiv gewesen sei.21

      Tatsächlich hat sich aber nicht nur der Konsum von garum, sondern die mediterrane Küche als ganze über das gesamte römische Reichsgebiet verbreitet. Zur Romanisierung, d. h. zur Anpassung an die römische Lebensweise in neu annektierten Gebieten, gehörte so auch ein allgemeiner Wandel der Ernährungsgewohnheiten. Archäologisch ist dieser Vorgang, für den der Verfasser den Begriff der „kulinarischen Romanisierung“ vorgeschlagen hat, durch eine große Fülle von Beobachtungen zu belegen. Außer der reichsweiten Verbreitung von garum sind weitere Beispiele der florierende Handel mit Olivenöl, das in gewaltigen Mengen auch in Reichsgebiete importiert wurde, in denen der Ölbaum nicht wuchs; oder der Konsum von Meerestieren – wie etwa von Austern (Abb. 12) oder von Purpurschnecken – selbst im tiefsten mitteleuropäischen Binnenland. Ein leistungsfähiger Fernhandel sorgte überall für ein breitgefächertes Angebot mediterraner Lebensmittel; und die entsprechende Nachfrage ging von einer Gesellschaft aus, in der Konsumdenken schon eine beachtliche Rolle spielte.22

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      Abb. 11 Garumamphore aus Carnuntum (heute Petronell-Carnuntum/Bad Deutsch-Altenburg, Niederösterreich). Nach der Inschrift hatte der garum-Vorrat einem Hauptmann der Carnuntiner Garnison gehört. Archäologisches Museum Carnuntinum, Bad Deutsch-Altenburg.

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      Abb. 12 Bei der Bearbeitung der Austernfunde aus einer Grube im Legionslager von Vindonissa (heute Windisch, Kanton Aargau) ließen sich noch die Gehäusehälften von 35 Austern zusammensetzen (Thüry 2010). Da Muschelkonserven offenbar nur eine Gehäusehälfte enthielten, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass man die Tiere lebend importiert hatte.

      Die Funde lassen uns also erkennen, dass die mediterrane römische Küche auch nichtmediterrane Gebiete wie Mitteleuropa nördlich der Alpen erobert hat. Diese kulinarische Offensive erinnert an das letzte massive Vordringen mediterranen Kochens in den Norden: an seinen Geländegewinn seit der Mitte des vergangenen Jhs., seit der Eröffnung der ersten Pizzerien und griechischen Restaurants.23

      Ebenfalls ähnlich wie heute, hat aber dieser Vormarsch des mediterranen Kochens nicht etwa bedeutet, dass die regionalen, einheimischen Küchentraditionen der einzelnen Gebiete nicht mehr fortbestanden hätten. Diese regionalen Küchen verloren in ihren Herkunftsgebieten zwar ihre alleinbeherrschende Rolle; sie wurden


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