New Cage. Johannes Fischler
und driftet dabei vollends in eine Parallelwelt ab. Was bei manchen mit harmlosen Meditationen anfängt, endet bei anderen im finanziellen Desaster.
Laut der Düsseldorfer „Identity Foundation“ sowie der Universität Hohenheim ist inzwischen jeder siebte Deutsche ein „spiritueller Sinnsucher“. „Bereits 15 % der erwachsenen Bevölkerung“, demnach immerhin sechs Millionen Menschen, „sind aktiv auf der Suche nach spiritueller Neuorientierung“ [53]. Tendenz steigend. Damit hat man bereits die „Traditionschristen“ hinter sich gelassen. Mit einem Marktanteil von lediglich 10 Prozent gehören diese wohl oder übel zum alten Eisen.
Derartige Zahlen erschallen wie ein Weckruf in den Ohren kluger Geschäftemacher. Denn wer Transzendenzhunger und Erfahrungssehnsucht nicht bedient, dem schwimmen im globalen Tauwetter die Felle davon. Derjenige aber, der schlau genug ist, dieses Klima zu nützen, der kann ein gut gedüngtes Feld bestellen. Wer hier kräftig aussäht, dem ist eine reiche Ernte gewiss.
Guru war gestern
Doch es sind eben nicht die herkömmlichen Guru-Kulte und Sekten, die zum einträglichen Business werden. Zu viel Aufwand, zu viel Publicity und zu viele lästige Anhänger brächte ein Sektierertum alter Schule mit sich. Die Kasse würde vielleicht stimmen, doch wer will schon gerne tagelang im Schneidersitz verharren, sich den Bart in die Suppe hängen lassen und den Guru markieren? So etwas bedeutet harte Arbeit. Fortwährendes meditatives Training, Chi Gong, stundenlanges Chanten von betörenden Mantren, den ganzen Tag barfuß herumlaufen, überall Räucherstäbchen und tagein tagaus dröhnende Sitar-Klänge: Das geht an die Substanz. Immerzu müsste man seine Schäfchen im Zaum halten, nur um dann womöglich noch von lästigen Reportern bloßgestellt zu werden. Und das vielleicht noch komplett in Weiß oder Orange gekleidet, wer will das schon?
Die Religionsschaffenden von heute gehen andere Wege. Ausgesprochen elegant finden sich diese in unserem „Brand Yourself“-Zeitgeist zurecht. Liefert doch dieser ein Milieu, in dem Bedeutung und Image vom Kunden selbst erworben werden. Die hieraus resultierende Eigenmarke erweist sich dabei als Produkt unserer Kauf- und Konsumationsentscheidungen. Eine so passfertig zurechtgezimmerte Ich-AG versorgt ihren Konstrukteur mit einer neuen, glanzvollen Einhausung, sein Ego erfährt so etwas wie Aufladung. Ob nun spirituell oder mit Mausklicks, die Pflege und Vermarktung des Selbst sind im wahrsten Sinne des Wortes selbstverständlich. Und ehe wir uns versehen, landen wir im Kultischen. Denn wo weniger das „Wahre“, sondern vielmehr die „Ware Selbst“ zum Verkaufsartikel aufsteigt, avanciert eben dieser sorgfältig auswählende Konsument zum aktiv miterschaffenden User. Bekanntlich hat sich der Verkäufer- zum Käufermarkt gewandelt.
Sehr treffend hat hier der Internet-Papst und Chefredakteur von Wired [54], Chris Anderson, vor wenigen Jahren den sogenannten „Prosumer“ [55] wieder ins Spiel gebracht. Schließlich holen die Marken von heute den kleinen Mann mit ins Boot. Die bloßen Konsumenten von einst wandeln sich demnach zu arbeitswilligen Produzenten. Man selbst wird bedeutsam. Der User macht sich „useful“. Er empfindet sich als integraler Bestandteil eines größeren Prozesses und gestaltet diesen eigenmotiviert mit. Foren, Chatrooms und User-Conventions sind die wichtigen Identitäts-Tauschbörsen. Dabei steigt der eigene Marktwert mit zunehmender Selbstprofilierung im Virtuellen. Der Prosumer erlebt folglich nicht nur eine Art spürbaren Anschluss an ein größeres Ganzes, sondern erst durch ihn, mit ihm und in ihm nimmt das Konsumierte Gestalt an. Als Medium für diesen Energiefluss dient das Internet, doch gespeist wird das Treiben durch die Strahlkraft einer starken Marke, in deren Namen man sich engagiert. „In hoc signo vinces“7, ob nun als Siegeszeichen bei Kaiser Konstantin, auf einer Zigarettenschachtel oder in Form eines leuchtenden Emblems auf der Rückseite eines Notebooks: Man wirkt im Zeichen des Labels.
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Moderne Marken beliefern den Kunden nicht nur mit Produkten, sondern laden diesen ein, sich an einer Art „Marken-Welt“ zu beteiligen, sich zu engagieren. Als aktiver Mitgestalter derartiger „Brandlands“ erfährt der User Bedeutsamkeit. Zum Verkauf stehen nicht nur Waren, sondern vor allem auch Sinn und Identität.
Stamm-Kunden, Prosumer-Movements und Klientenreligionen
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – die Marke als Fanreligion
Beispielgebend für diesen Trend präsentiert sich zweifelsohne die Mac-Gemeinde. Wie kaum zuvor hat man es hier verstanden, eine Marke mit quasireligiöser Bedeutung aufzuladen. Natürlich finden wir auch hier die klassischen Instrumente der Produkt-Mythologisierung. Nicht umsonst spricht man von Apple, mit dem Symbol des angebissenen Apfels aus dem biblischen Paradies8, nicht von ungefähr erinnert das iPhone an Stanley Kubricks Stein der Weisen aus „2001: Odyssee im Weltraum“ [56], die Community-Zeitschrift nennt sich MacBIBEL [57], Steve Jobs stieg auf zum iGod, und laut Frankfurter Rundschau eint die Anhänger zudem auch das Einverständnis darüber, „dem richtigen Teil der Menschheit anzugehören“ [58]. Die religiöse Trickkiste ist den Werbefachleuten wohl immer noch die liebste.
Doch vor allem die Community selbst trug wesentlich dazu bei, dass sich der Börsenkurs in astronomische Höhen katapultierte. Und so versammelt man sich um etwas, was den Marx’schen Begriff des „Warenfetisch“9 radikal versinnbildlicht. Zum Insignium von Zugehörigkeit und Lifestyle über alle Grenzen hinweg wird – als könnte es nicht anders sein – ein Telefon. Stammestümelei wäre hierfür wohl das richtige Wort.
Mac-User aller Länder vereinigt euch! Was der Kommunismus niemals zuwege brachte, erleben wir hier in Form einer Art Fan-Religion. Nicht umsonst wird die Gefolgschaft des Apfels gerne als die „Apple-Jünger“ oder die „Mac-Gläubigen“ bezeichnet. Wenn Menschen tagelang vor einem Geschäft kampieren, nur um der neuesten technischen Errungenschaft teilhaftig zu werden, dann ist der „Fan“ nur die Vorstufe, „Fanatismus“ das Resultat10.
Sollte es also hier schon ein wenig nach Esoterik riechen, dann nicht ohne Grund. Denn das Macintosh-Imperium lebt auf seine ganz eigene Weise von der Energie seiner Gefolgschaft. Die User-Gemeinde ist es, die mit unzähligen selbst programmierten Apps und Features ein ganzes „Maciversum“ erschuf. Durch seinen eigenen Eifer bindet sich hier der User an das Logo. Jeder agiert als proaktiver Teil dieses technisch-ästhetischen Himmelreiches, einer Form von Techno-Religion. Die Community sonnt sich im Lichte ihres Labels.
Und sie missioniert – das Prosumer-Movement
Wurden Sie jemals von einem Windows-User zum Umstieg gedrängt? Vermutlich nicht, weil eben genau dieses religiöse Etwas die besondere Atmosphäre des Apple-Kosmos ausmacht. Das Kollektiv entwickelt Korpsgeist. Alle sind dabei und jeder empfindet sich als wichtig. Dabei wirkt man hier als Teil eines gemeinsamen Projektes. Gelebt wird die Markentreue. Je mehr Anhänger mitziehen, umso erfolgreicher die Unternehmung, desto erlösender die Teilhabe. Moderne Markenwelten verstehen sich zusehends als gemeinschaftlicher Werbefeldzug, eben als Prosumer-Movement.
Doch was hat das Ganze mit dem Markt des Spirituellen zu tun? Selbst wenn wir explizit von der Vermarktung vordergründig rein materieller Güter sprechen, handelt es sich stets um einen ganzheitlichen Akt, der damit einhergeht. Denn der Käufer, Kunde oder User dehnt sein Selbstverständnis über das Konsumgut hinaus aus. Er vereinigt sich gewissermaßen mit alledem, was er auf das Objekt seiner Begierde projiziert. Esoterisch gesprochen verschmilzt er mit dessen Aura11. Das Erzeugnis wird ein Teil seines Selbst- oder besser Identitätsmodells [59] und verbindet ihn so wiederum mit einer weiteren Dimension. „Get connected“, lautet die Devise. Dabei erfährt man so etwas wie Verbundenheit und vernetzt sich vor allem geistig mit weiteren Protagonisten dieser Sphäre. Der rein physische Akt des Produkterwerbs bildet demnach nur eine Seite der Medaille. Als ausschlaggebend präsentiert sich eben nicht nur die materielle Ebene, sondern auch die rituelle. Und deren Erfahrungsschatz geht, wie wir noch sehen werden, weit über das rein Symbolische hinaus.
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Markendesigner verfolgen gerne die Strategie der Produktmythologisierung. Das Erzeugnis wird dabei mit übernatürlicher Bedeutung ausgestattet. Der Konsument kann über sein eigenes Engagement