New Cage. Johannes Fischler
wären demnach kaum sichtbare Phantome, Ton in Tönchen mit ihrer Umwelt. Dann täten wir gut daran, wenigstens ihren Fußspuren nachzugehen.
Möglicherweise hat Paulchen auch sein Fell gewechselt. Nach einem rosaroten Zeitgenossen zu fahnden erwiese sich nicht nur sinn-, sondern auch chancenlos. Womöglich ist Indigo der neue Trend? Doch dazu noch später.
Was, wenn sich herausstellt, dass wir überhaupt keine Paulchen finden können? Und das vor allem deshalb, weil wir selbst bereits zu rosaroten Panthern mutiert sind? Vielleicht sehen wir nur deshalb keine esoterische (Massen-)Bewegung, weil wir schon selbst in Bewegung sind. Vielleicht sind es vielmehr wir selbst, die wir suchen oder doch eher untersuchen sollten.
Vermutlich ist es, wie so oft, eine Mischung, die der Wahrheit am nächsten kommt. Hartmut Zinser, Professor für Religionswissenschaft an der FU Berlin, thematisiert diese Schwierigkeiten in unserer Wahrnehmung. „Die Esoterik dringt zunehmend in den ganz normalen Alltag ein“, erklärt der Religionswissenschaftler. Ursprünglichkeitssehnsucht, Apparateglaube, Technikfaszination und die Begeisterung für Magisches werden bedient. Esoterische Angebote wirken für Zinser wie „schwankende Gestalten“ zwischen Wissenschaft und Religion. Spiritistische Produkte und energetische Dienstleistungen etablieren sich zusehends zu fixen Bestandteilen der täglichen Konsumation. Der Szenekenner fasst zusammen: „Viele nehmen sie schon gar nicht mehr als esoterisch wahr. Und das macht es so problematisch.“ [19]
Keiner ist Esoteriker, aber der Markt ist da: die Zahlen der Zahlenden
Esoterik hat was von „Modern Talking“, jeder findet sie dämlich, doch das Geschäft boomt trotzdem. Von „Schamanismus“ über „Okkultismus“ bis hin zu „Kohlemachismus“ reichen die Headlines, „zehn Milliarden Euro“ generiere der Handel mit magischen Erzeugnissen und Diensten Jahr für Jahr in Deutschland. So eine vorsichtige Expertenschätzung aus dem Jahre 2004 [20]. Aber dennoch, „wie groß der Esoterik-Markt wirklich ist, weiß niemand – zumal schon Volkshochschulen Handauflegen in ihren Katalogen haben“, schreibt Die Welt. Die Schwierigkeit besteht vor allem darin, dass es immer mühsamer wird, Magisches und Nicht-Magisches auseinanderzuhalten. Denn, „die Esoterik ist längst keine Spielwiese mehr für ein paar Spinner, sondern hat sich tief in die Gesellschaft eingeschlichen“, bemerkt die Kult- und Sektenexpertin Ursula Caberta [20]. Wir haben es also mit einem Unschärfeproblem zu tun. Doch wie verschwommen unsere Sicht der Dinge auch immer sein mag, es geht hier in jedem Fall um einen Milliardenmarkt, der stetig wächst.
So gehören Neo-Spiritualität und das Faible für Übersinnliches zu den Kerngebieten der Konsumforschung, und das nicht von ungefähr. Spricht der Spiegel noch im Jahr 1994 von einem Marktvolumen von circa 18 Milliarden DM jährlich [21], so schätzt Eike Wenzel die Umsätze in diesem Segment 2010 bereits auf 18 bis 20 Milliarden Euro [22]. Und das in einem Jahr, wo uns allen noch die Finanzkrise im Nacken saß. Ein Abflauen des Hypes ist nach Wenzel nicht in Sicht. Bis 2020 soll der Umsatz mit spirituell-esoterischen Angeboten auf ganze „35 Milliarden“ Euro ansteigen [19]. Nur zum Vergleich: Die deutsche Brauwirtschaft setzt aktuell gerade einmal knappe acht Milliarden Euro um [23]. Und wehe dem, der auf diesen Zug nicht aufspringt. Denn beim „Konsum zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab“ [24]. Fernab von schnöden Statussymbolen etabliert sich „Sinnsuche als neue Wirtschaftsgröße“. Die Flyer der Wirtschaftsberater sprechen von „gigantischen Zukunftsmärkten“. Nicht umsonst gehören Transzendenz, Selbstfindung und Esoterik schon längst in jede bessere Marketingschulung. Vom mystischen Waschmittel oder dem „Balance-Kaugummi“ bis hin zur Partnervermittlung im Dienste der Selbstvervollkommnung: Unsere Produkt- und Dienstleistungswelt erfährt zusehends eine spirituelle Aufladung.
Doch auch klassische Magie kann an diesem Kuchen mitnaschen. „Eine Viertelmilliarde“ sollen die rund 10.000 haupt- und nebenberuflichen Wahrsager und Handaufleger einnehmen. 150 Millionen Euro erwirtschaftet die Astrologiebranche, „mehrere hundert Millionen der seit Jahren zum Teil zweistellig wachsende esoterische Buchmarkt“, so die Zahlen in der Welt [20]. [20]
Dass auch noch altgediente Hellseherei durchaus profitabel vermarktet wird, beweist beispielsweise das Berliner Unternehmen „Questico AG“. Astrologie-Shows der Marke „Astro TV“ im Fernsehen und Telefonberatungen zählen zu seinen Einnahmequellen. Matthias Pöhlmann und die „Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen“ (Berlin) beziffern den Umsatz bei Questico auf jährlich 70 bis 80 Millionen Euro [25]. Rund eine Million Questico-Kunden gelten als registriert. Über die Questico-Hotlines laufen täglich mehr als 20.000 Gespräche. 2600 „Experten“ – ihres Zeichens Kartenleger, Wahrsager, Astrologen, Hellsichtige und Sensitive – bieten „liebevolle, kompetente Lebensberatung“, natürlich gegen Geld, minutengenau abgerechnet versteht sich.
Esoterik im Buchladen
Ein noch deutlicheres Bild zeichnet der Büchermarkt. Wer sein Geld noch dem Laden im Stadtzentrum anvertraut, der rufe sich den letzten Besuch des Selbigen noch einmal ins Gedächtnis. Wie viele Quadratmeter verschlingen inzwischen die Abteilungen Lebenshilfe, Esoterik, Spiritualität, Astrologie, Bewusstsein und Co.? In welcher Relation stehen diese zu den Bereichen Politik, Kochen oder gar Sprachen? Wie war das früher? Lässt sich hier eine Tendenz erkennen?
Zumindest wohl dieselbe, die auch in den Geschäftsbüchern ihren Niederschlag findet. So lag 2005 der Anteil esoterischer Veröffentlichungen im Bereich „Sachbuch“ bei 13,4 Prozent. 2007 betrug der Umsatz mit Werken dieses Genres schon 500 Millionen Euro [25]. Ergab die Stichwortsuche „Esoterik“ beim Onlinehändler Amazon im Jahr 2004 noch 6072 [14] Titel, so finden sich 2013 an die 100.000 Treffer. Meinungsforscher konstatieren 20-prozentige Umsatzzuwächse in Sachen Metaphysik, und das in einem stagnierenden Buchmarkt [14].
Wenn klassische Eso-Shops ihre Pforten schließen, dann wohl nur deshalb, weil viele herkömmliche Buchläden ihnen in Sachen Runenorakel und Seelenbotschaften sprichwörtlich das Weihwasser abgraben. Engelsfigürchen, Abwehr-Essenzen und Heilkristalle, alles, was man für das spirituelle Erwachen so braucht, aber mit Literatur herzlich wenig gemein hat. Die ehemalige Esoterikecke nimmt mancherorts derartige Ausmaße an, als stünde man mitten in einem New-Age-Supermarkt. Dabei bleibt dem klassischen Händler gar nichts anderes übrig, denn der Löwenanteil in Sachen Lebenshilfe findet zweifelsohne mittels der übermächtigen Online-Bookseller seine Käufer. Schließlich versteht sich Spiritualität heute vielmehr als eine Angelegenheit des Selbst-Wählens, des Sichselbst-Aussuchens. Wer braucht da noch Beratung? Hier fühlt sich jeder selbst schon als Experte. Man folgt seiner Intuition und bestellt diskret online.
Die zunehmende Spezialisierung in der Esoterik 2.0
Und genau diese Kursrichtung schlägt sich in vielen verschiedenen Marktsegmenten nieder. Gemeint ist die zunehmende Spezialisierung vonseiten der Anbieter als auch der Abnehmer. Man beginnt sich zu positionieren, und das innerhalb der Szene. Vergleichbar hierzu der Weg vom Web 1.0 zum interaktiven Getriebe des Web 2.0.: Den Einstieg haben die meisten schon hinter sich, nun geht es darum, sein Insiderwissen zu vertiefen. Schließlich verstehen sich esoterische Prinzipen für breite Teile der Gesellschaft schon als gelebte Praxis. Hier also immer mehr Fach-Communitys innerhalb digitaler sozialer Netzwerke, da immer extravagantere Zirkel innerhalb einer rosarot durchfärbten Geisteskultur. In diesem Zusammenhang liefern gerade die Entwicklungen am Zeitschriftenmarkt ein Spiegelbild davon, wohin uns die Esoterik 2.0 führt.
Der esoterische Blätterwald
Es sind zunächst die Klassiker, welche schon seit Jahrzehnten das magische Feld bestellen. Altbewährte Astrologie à la Astrowoche zieht da mit einer Auflagenhöhe von 100.000 [25] Exemplaren ins Feld. „Einmalige Lebensberatung, hochwertige Horoskope, Mondkalender und viele weitere Themen“ finden hier ihren Leser. Astrowoche Plus-Abonnenten erhalten zudem „einen individuell programmierbaren Mondpausenwarner“ [26] sowie ihre Tageshoroskope per E-Mail. Überboten wird die Zeitschrift aus der Bauer Media Group dennoch von Zukunftsblick aus dem Hause Questico. Und das nicht nur in Sachen Füllmenge – immerhin 268 Seiten für nur 1,40 Euro –, sondern auch im Vertrieb.