New Cage. Johannes Fischler

New Cage - Johannes Fischler


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unzähligen Licht-und-Liebe-Plattformen im Internet unterstreichen diesen Trend. Das Versteckspiel vergangener Tage scheint endgültig vorbei. Der moderne New Ager entwickelt Sendungsbewusstsein. Hätte sich früher kaum jemand zu spiritueller „Lichtkosmetik“ oder „Aura Lifting“ bekannt, gehört dies heute zum selbstverständlichen Angebot jedes besseren Wellnesstempels. Auch intimste Bereiche bleiben dabei nicht verschont: „Waxing by Angels“ [6] gefällig?

      Unterhielt man sich in der Esoterik 1.0 noch hinter vorgehaltener Hand über Astrologie und Reinkarnation, so stellen die neuen „Botschafter der Liebe“ ihre Überzeugungen mittlerweile ganz offen ins World Wide Web. So auch eine Volksschullehrerin, die das Klassenzimmer mitsamt ihren Schülern regelmäßig mit Erzengel-Sprays reinigt. Für jeden ersichtlich und via Videobotschaft macht sie, wie viele andere auch, keinen Hehl daraus. Warum auch nicht? Die Kinder haben offensichtlich „mehr Spaß am Lernen“ [7]. Dabei wirkt dieses In-die-Öffentlichkeit-Gehen noch nicht einmal besonders mutig. Vielmehr beeindruckt hier dieser Beigeschmack von Normalität. Das vormals Okkulte wird heute entschlossen veräußert. Wir erleben eine noch nie dagewesene Vermarktung des Geheimwissens, eine Esoterik 2.0.

      Gruppendruck mit Kuschelfaktor

      Millionenseller wie „The Secret“ [8] illustrieren eine weitere Paradoxie. Geheimniskrämerei etabliert sich als kommunales Must-Have. Zur Verdeutlichung lohnt hier ein weiterer Abstecher in den Cyber der sozialen Netzwerke. Übereinstimmend mit dem gesellschaftlichen Zwang, sich einer Facebook-Community anzuschließen, versprühen auch esoterische Wirklichkeiten diesen Hauch von Verbindlichkeit. Denn wer nicht von alleine aufspringt, wird von seinem Umfeld regelrecht bekehrt. Wer aber dennoch nicht mitgeht, der bleibt zurück, der ist noch nicht so weit. Dem kann nicht geholfen werden – noch nicht.

      Was sich im Web bereits als Standard etabliert hat, entwickelt sich im Netz der Esoterik 2.0 mit einigen Parallelen: Auch hier steht unser Account schon bereit. Auch hier sind die schönen neuen Selbstbilder bereits hochgeladen. Auch hier erwartet uns eine neue schillernde Identität und mit ihr im Schlepptau viele neue „Freunde“. Auch hier bleibt man online, also immer brav an der Leine. Gruppendruck mit Kuschelfaktor – so formieren sie die Bewegungen der Neuen Zeit. Ob nun im Digitalen oder im Spirituellen: Als Türöffner zum Umworbenen dient da wie dort die Schmeichelei.

      Spieglein, Spieglein

      Diese entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als die hinter allem stehende treibende Kraft. In einer Gesellschaft, in der Schlagwörter wie „Liebe dich selbst“ beinahe schon wie ein Befehl ertönen, finden esoterische Himmelschlösser ein tragfähiges Fundament. Als Bausubstanz hierfür dient die gegenseitige Selbst-Bespiegelung. Wie in den Foren des Internet vernetzt man sich dabei gegenseitig. Hyper-Verlinken, das nicht nur fühlbar verbindet, sondern auch spirituell aufwertet. Geblendet von unendlichen Reflexionen eigener Selbstverschönerung wird die Scheinwirklichkeit zum Königspalast. Ein Spiegellabyrinth, aus dem man kaum mehr herausfindet. Hermetisch? Ja, nur diesmal nach außen.

      Und genau dieses Außen gerät dabei mehr und mehr in Vergessenheit. Die Rede ist von jener sogenannten „Dualität“, sprich der realen Welt, der Welt mit Freud und Leid, der Welt mit den großen Herausforderungen der Menschheit, mit chinesischen Mauern und alljährlichen Ölteppichen. Inmitten unendlicher Reflexionen seiner selbst verliert sich das Ich in Wirklichkeiten, die uns scheinbar noch heiler und noch ganzer machen, aber mit Realität nichts gemein haben.

      Wirklichkeit ist das, was wirkt – Verillusionierung

      Derart losgelöst vom Irdischen dient die Esoterik 2.0 als groß angelegtes Gemeinschaftsprojekt phantastischer Wirklichkeitsentwürfe. Und wer möchte behaupten, dass die hier beschrittenen Dimensionen nicht erfahrbar, nicht spürbar wären? Kurt Lewin formuliert es treffend: „Wirklichkeit ist, was wirkt.“ [9] Sie kennen doch den Blick in die Unendlichkeit: die Aussicht ins Ewige inmitten der täglichen Rasur oder von mir aus beim alles glatt machenden Peeling? Nur zwei Spiegel genügen und wir leben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Optische und seelische Rückkoppelungen schenken das Gefühl kosmischer Ausdehnung. Dem Betrachter seiner eigenen unendlichen Wiederholungen verleihen sie ein Antlitz endlosen Weitblickes und erhabener Weisheit.

      Esoterische Communitys dienen sozusagen als Spiegelwelten wechselseitiger Verillusionierung. Man erfüllt sich gegenseitig mit Bedeutung und bestärkt einander beim gemeinsamen Gang aus der Realität in diese neue glanzvolle Wirklichkeit. Und, ob nun für die breite Masse oder nicht: Elitarismus schafft eben Charisma. Kennen Sie derartige Gesichter, die erleuchteten Antlitze selbstbestimmter Liebesbotschafter der Neuen Zeit? Diese Antlitze voll Güte und Fürsorge, diese Sinnbilder von Sanftheit. Ihre Mimik kann bezaubern, sie wirken wirklich. Und das nicht nur auf sich selbst, sondern vor allem auch auf jene, die noch ihre Heimat in der „alten Welt“ glauben. Charisma ist nun mal ansteckend, für seinen Träger geradezu klebend.

      Hereinspaziert!

      Esoterische Welten sind Wirklichkeiten in der Welt. Was beim ersten Hinschauen so anschmiegsam und auf sanften Pfoten daherkommt, erweist sich bei genauerem Hinsehen als Zerrbild unserer tiefsten Eitelkeiten. Gleich dem Narcissos der griechischen Mythologie verliert man sich auch hier in einem Spiegelkabinett der Selbstliebe. „Narzissmus“ ist eng verwandt mit dem Wörtchen „Narcosis“, also mit Betäubung. Und das, was die amerikanischen Psychologen Jean Twenge und Keith Campbell so treffend als „Narzissmus-Epidemie“ [10] charakterisieren, ereilt uns als Esoterik der Neuen Zeit in seinen schillerndsten Farben. Man muss nur genau hinschauen.

      Demzufolge kann das Wohlgefühl, welches eine Welt „unermesslicher Liebe“ versprüht, ganz leicht zu kaltem Schauer am Rücken ausarten – narkotisierendes Opium fürs Volk, Gänsehaut nicht ausgeschlossen. Der Schritt in die unendliche Freiheit des „Neuen Zeitalters“ gleicht so bei Tageslicht eher einem befreienden Sich-Einschließen aus Angst vor allem Realen. Wir lieben nun einmal die geschützten Werkstätten der Selbstumkreisung. Leicht übersehen wir, wie sehr wir uns von der großen weiten Welt wegsperren. Die ganz Tapferen unter uns – selbst ernannte „Lichtpioniere“ des nahenden Himmelreiches – werfen entschlossen den Schlüssel weg. Sie üben sich im Vergessen. Sie finden Erlösung in selbstlosem Sich-selbst-Vergessen.

      Nein, goldene Käfige sind nicht mehr das Privileg irdischer Königshäuser. Schließlich erleben wir eine noch nie dagewesene Demokratisierung der Lebensstile. Goldene Gardinen gibt’s heute für jeden. Wir erleben ein Zeitalter des „Cage on demand“: jedem sein Aufgefangensein, jedem seine Wirklichkeit. Je größer der Käfige Glanz, desto eher wird man zur Prinzessin. Aber Achtung, es ist nicht alles Gold, was glänzt, und goldene Legebatterien verhelfen noch lange nicht zu goldenen Eiern. Die Kristallkugel wird zur Heimat, die Wirklichkeitsblase zum Kerker. Doch Zwinger aus Glas sind für ihre Insassen leider unsichtbar. Die wahren Gefängnisse sieht man nicht, die sind im Kopf. Hereinspaziert in das goldene Zeitalter esoterischer Selbstgefälligkeit.

      New Age war gestern! Willkommen im New Cage!

      Deshalb dieses Buch

      So wie vielleicht auch Sie kenne ich jemanden, der in eine lichtvolle Parallelwelt abdriftete. Taub für alle Zurufe von außen, unerreichbar für Verwandte und Freunde. Man konnte nur zusehen, wie das Bizarre unaufhaltsam seinen Lauf nahm. Jedes Tun, jede gut gemeinte Intervention besorgter Angehöriger machte alles nur noch schlimmer. Und so war es mein eigenes Unvermögen, zu helfen, das einen ungeahnten Wissensdurst in mir nährte. Ich wollte verstehen, welche Dynamiken dahinterstehen, wollte wissen, welche Sogkräfte hier wirken und welche Leute mit Derartigem ihr Geld verdienen.

      Und dann passiert es: Sie beschäftigen sich mit einer Sache intensiv und irgendwann kippen Sie rein. Irgendwann sitzen Sie selbst bei einem Engelsfestival, mit Rekorder, Mikrofon und Kamera. Sie entwickeln ein unbändiges Mitteilungsbedürfnis, denn was Sie dort erleben, schreit förmlich zum Himmel. Und ehe sie sich versehen, sitzen sie zu Hause. Zwei Bildschirme und einen Esstisch voller


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