Malefizkrott. Christine Lehmann
rel="nofollow" href="#ulink_6292fce1-2cad-5b35-983a-63686034c285">Kapitel 21
Warnung
Dies ist ein Buch über den lustigen Literaturbetrieb, zu dem Verleger, Vertreter, das Feuilleton, Buchhändlerinnen und Buchhändler, Väter und – ach ja – auch Schriftsteller/innen gehören. Nichts in dem Buch ist in Wirklichkeit so gewesen, wie ich es schildere. Ich habe Typen, Typisches und Historisches, selbst die heilige Literatur benutzt und verfälscht, wie ich es brauchte, um meine Geschichte zu erzählen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen – insbesondere Autor/innen, Verleger/innen und Buchhändler/innen – sind nicht beabsichtigt. Trotzdem werden Sie versucht sein, den einen oder die andere wiederzuerkennen, einfach, weil sie Unikate waren oder sind. Doch nicht über die Unikate im Literaturbetrieb habe ich geschrieben, sondern über den ganz normalen Wahnsinn.
Christine Lehmann
Ein Kenner der Buchmacherey wird – als Verleger – nicht erst darauf warten, daß ihm von schreibseligen allzeit fertigen Schriftstellern ihre eigene Ware zum Verkauf angeboten wird; er sinnt sich – als Direktor einer Fabrik – die Materie sowohl als die Façon aus, welche mutmaßlich – es sei durch die Neuigkeit oder auch Skurrilität des Witzes, damit das lesende Publikum etwas zum Angaffen und zum Belachen bekomme – welche, sage ich, die größte Nachfrage oder allenfalls auch nur die schnellste Abnahme haben wird.
Immanuel Kant, Über die Buchmacherey
zwei Briefe an Herrn Friedrich Nicolai, 1798
1
Ich bin die Erste, die auf der Frankfurter Buchmesse erschossen wird, dachte ich, als ich in die Mündung blickte. Es war eine Pistole mit Schalldämpfer. Sie verlängerte den Arm eines Mannes mit einem zu alten Gesicht für das dunkle Haar. Er trug Jeans und eine Cordjacke wie tausend andere der Literaten, Verleger oder Kritiker, die über die Messe eilten, und über der Schulter eine alte Herrentasche.
Zeugen? Keine. Kein Mensch zu sehen. Der Gang spiegelte das Licht der Düsternis, die so einen Gang ausmacht, der vielleicht zu Büros führt oder ins Nichts. Woanders herrschte Leben, waren Leute, standen Bücher, verließen Genies mit einem Bündel Text in der Tasche auf der Suche nach der Chance ihres Lebens frustriert die Messe. Sie alle würden nichts hören, wenn er feuerte.
Vermutlich würde ich es auch nicht hören. Am lautesten würde das Klirren der ausgeworfenen Patronenhülse auf dem Boden sein. Dann würde irgendwo Blut aus mir quellen. Klebrig und heiß. Schmerz würde ich keinen fühlen. Wenn er mein Herz nicht traf, wäre ich auch nicht gleich tot. Und solange ich das noch denken konnte, hatte er es nicht getroffen. Ich würde nur umfallen oder die Orientierung verlieren, plötzlich liegen und das Loch in mir zuhalten. Während er fortlief, dem Ziel entgegen, das er seit gut einem halben Jahr voller Hass und Wahnsinn verfolgte.
Nicht ohnmächtig werden! Bleib wach, Lisa Nerz! Das ist wichtig.
Jemand wird kommen, mir eine Jacke unter den Kopf legen. Man wird Notarzt und Krankenwagen rufen. Dann die Notoperation. Ich habe durchaus eine Chance.
2
Die Affäre Lola Schrader begann unauffällig im Frühsommerdauerregen des Jahres, in dem Deutschland wieder nicht Fußball-Weltmeister wurde. Richard Weber, der die Zeitung bis in alle Winkel der Veranstaltungshinweise und Notrufnummern las, rief mich an und sagte: »Heute Abend liest Lola Schrader in der Buchhandlung Ursprung.«
»Rettet uns das?«, fragte ich.
»Sie ist die Tochter der Schauspielerin Marlies Schrader.«
Ich kramte in meinem Bildergedächtnis. »Eine Blondine?«
»Nein, eine Brünette. Ich glaube, sie spielt auch in irgendeiner Soko mit.«
»Und deren Tochter schreibt Gedichte?«
»Nein, Romane, zumindest einen.«
»Ist sie blond?«
»Weiß ich nicht, Lisa. Aber sie liest bei Durs Ursprung. Das ist nicht nichts. Außerdem war ich seit Jahrzehnten nicht mehr dort. Ich wusste gar nicht, dass es den Laden noch gibt.«
Ich hatte nie gewusst, dass es ihn gab. Buchläden sind nicht so mein Ding.
»Er hatte früher die beste antiquarische Sammlung juristischer Bücher«, schwärmte der Oberstaatsanwalt, »und das Schöne war für mich als Jurastudent: Die meisten hatten Markierungen und Kommentare anderer Studenten. Also, was ist? Kommst du mit?«
»Ich habe nichts zum Anziehen!«
Richard lachte. »Sagen wir, um sieben am Tor?«
Mein Kleiderschrank stand im Badezimmer, das größer war als meine Schlafzelle. Nach dem Brand in der Wohnung über mir und dem Wasserschaden hatte ich mit dem Gedanken gespielt, die Neckarstraße aufzugeben. Aber ich war sowieso nie richtig eingezogen. Warum nicht die Chance nutzen, aus der Behausung eine Wohnung zu machen? Überlebt hatte nur der alte Kneipentisch und seine vier Stühle. Der Rest war neu: Küche, Tapeten, Sofa, Fernseher, Regale im Schlafzimmer für die Bücher, die ich bisher in Pappkartons unterm Bett gelagert hatte, der Kleiderschrank und der Teppich im Badezimmer, in das ich außerdem ein rundes Tischchen und zwei Designerplastikschalensessel gestellt hatte, einfach nur, weil sie gut aussahen.
Auch wenn das Schöne und Unnütze schleichend Macht über mich gewann, für meinen Auftritt bei einer schöngeistigen Veranstaltung und die Begegnung mit einer jungen – sicherlich hübschen – Autorin brauchte ich was Abschreckendes.
Ich ließ die Lesben-Konzepte Revue passieren. Wenn Männer sich nach Gusto anziehen, geht es nicht darum, gut auszusehen, sondern zum Fürchten. Früher hatte man Messer und Kriegsbemalung, heute gibt es bollerige Jeans, Ringelshirts und bunte Windjacken. Für den Business-Auftritt hat die Lesbe einen dunkelgrauen Dreiteiler mit Hemd, Halstuch und Taschenuhr. Sublim wird’s, wenn sie sich in Rock und Boutiquenjacke schlägt und in Pumps auf die Weltbühne stampft, als sei sie ein geschminkter Mann. Konnte ich alles bieten. Aber im Grunde wollen wir nur das eine: Hardcore. Damals hatte ich gerade im Kino die letzte Folge der Verfilmungen dieses schwedischen Erfolgsautors gesehen – Sie wissen schon, der gestorben ist, bevor er berühmt wurde – und mich in den Comicpunk der Heldin verkuschelt. Das bin ja ich!, hatte ich in der Dunkelheit des Kinos gedacht, nur eben schon viel länger als die. Es war mir eine Erleuchtung gewesen. Seit vierzig Jahren suchte ich mein Ich. Und da sprang es auf der Leinwand umher, dünner, hübscher, mit Asperger-Syndrom – ich habe weniger spektakuläre, bin auch