Malefizkrott. Christine Lehmann

Malefizkrott - Christine Lehmann


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eine kuriose Geschichte, mit der man sich zum Teil der Legende dieses Ladens machte.

      »Übrigens«, sagte Richard mit untergründigem Lächeln, »ist das Buch so selten, dass ich mich gefragt habe …«

      Das Bimmeln der Türglocke unterbrach ihn.

      Mit Lärm und Wichtigkeit brachen drei Menschen in die Buchhandlung ein, zwei Männer und ein Mädchen. Am dicken schwarzen Haar erkannte ich die Autorin vom Plakat. Lola Schrader war groß und büffelhüftig und sah niemanden, schon deshalb nicht, weil schwarze kinnkurze Haare ihr von beiden Seiten über die Schläfen und Wangen fielen. Sie folgte einem Mann von filigraner Statur, der mit lauter Lehrerstimme »Guten Abend!« rief und auf Durs Ursprung zusteuerte, der das Lächeln auf sein Gesicht zurückzurrte. Die Tür machte ein junger Mann im hellgrauen Anzug mit Schlips zu, der beseligt lächelte.

      »Michel Schrader ist mein Name«, erklärte der Filigrane und wandte sich nach seinem Gefolge um. »Und das ist Julius Hezel vom Verlag Yggdrasil …«

      »Wir haben telefoniert«, sagte Julius strahlend und reichte seine Hand an der Autorin vorbei zu einem kräftigen Händedruck zuerst dem Alten, dann dem Jungen mit dem Knebelbart hinter der Kassentheke, auf der inzwischen zwanzig Exemplare des callgirlroten Taschenbuchs lagen.

      »Ruben Ursprung.« Er streckte die Hand über den Tisch. »Wie Jakobs Erstgeborener. Woran man erkennt, dass mein Vater ursprünglich zwölf Söhne haben wollte. Hat aber nur zu einem gereicht.« Er lachte. Sonst niemand.

      »Und«, nahm Michel Schrader wieder das Wort, »das ist Lola, meine Tochter, Lola Schrader. Aber das haben Sie sich vermutlich schon gedacht.« Es fehlte nicht viel, und er hätte seine Tochter aufgefordert, den Buchhändlern die Hand zu geben. Doch sie erinnerte sich von selbst.

      »Guten Abend«, sagte sie mit überraschend reifer Stimme.

      Ein kleiner Schauer kringelte sich zwischen meinen Schulterblättern.

      Durs Ursprungs Blick lagerte sich auf dem jungen Mädchen ab. Sein Lächeln wurde genießerisch. Sein Sohn starrte ihm hasserfüllt in den Nacken.

      »Und wo … äh … findet das statt?«, fragte Michel Schrader, sich umschauend. Auch einer, der noch nie hier gewesen war.

      Ruben kam hinter der Theke hervor. Der Blick der Autorin taxierte mich blitzkurz, bevor sie die Treppe betrat. Ich kam mir plötzlich durchschaut vor in meiner Montur. Du also auch! Nein, ich nicht! Lola und ich hatten eines nicht gemeinsam: den postpubertären Protest gegen die bürgerliche Bildungskultur. Sie verkörperte alles, was wir immer abgelehnt hatten. Fragen Sie mich nicht, wer wir sind. Unterschichtkinder sagen nicht wir und wollen nicht sein wie die, auch wenn sie die glühend um das beneiden, was sie haben: weiße Kniestrümpfe, Mofas, spendable Verwandte.

      Ich hatte das dringende Bedürfnis zu gehen. Hätte ich es mal getan. So griff ich nur nach meinen Zigaretten. Im Augenwinkel sah ich, wie Richard bedächtig die zwei obersten Bücher eines Stapels anhob und Schloss und Fabrik samt Flugblättern der Kommune 1 darunterschob.

      Es nieselte. Die Geräusche einer milden Geschäftigkeit hallten in den Gassen des Gerberviertels, Autoreifen auf Kopfsteinpflaster, Stimmen von Frauen, die aus einem Laden traten, Gelächter. Ein Autofahrer versuchte krachend einzuparken.

      Richard kam ebenfalls heraus.

      »Gut, dass wir so viel zu früh da waren«, bemerkte ich. »Hattest du das geplant?«

      Er zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch in den Wolkenhimmel, der schmal zwischen den Hausdächern stand.

      »Was wolltest du vorhin noch sagen?«, fragte ich. »Das Buch sei so selten, dass du dich gefragt hast …«

      »Ja das …« Richard zog sich Teer und Nikotin mit gequälter Miene tief in die Bronchien. Rauchen tut weh, und so sah er auch aus. »Ich wollte mir ein unverfänglicheres Exemplar von Schloss und Fabrik besorgen …«

      »Thalheim in Reinform!«

      »Dabei musste ich feststellen, dass es sehr selten ist. Es ist mir nicht gelungen, es über Fernleihe zu kriegen. Nicht einmal die Volksausgabe von 1869.«

      »Fernleihe?« Ich zog ungebildet die Brauen hoch. Ich hatte nie studiert.

      »In den Landes- und Unibibliotheken gibt es viel, aber nicht alles.« Für mich zog Richard nur zu gern alle Schubladen und Karteikästen unnötig gewordener Weltkenntnis auf. »Wenn man ein Buch trotzdem haben wollte, füllte man einen Fernleihschein aus, mit Schreibmaschine: Autor, Titel, Erscheinungsort, Erscheinungsjahr. Den gab man ab, zusammen mit einer Mark fünfzig und einer Postkarte mit der eigenen Adresse, die einem zugeschickt wurde, wenn das Buch eingetroffen war.«

      »Eine feine Sache!«

      »Ja. Die Bibliothekarin suchte in ihren Katalogen nach der nächstgelegenen Bibliothek, die das Buch im Bestand hatte, und schickte den Fernleihschein dorthin. In meinem Fall war das Frankfurt. Dort aber war das Exemplar von 1846 verschollen. Und auch von der Volksausgabe, die auf Wunsch der Arbeiter in den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts gedruckt wurde, war kein Exemplar vorhanden. Ich schrieb einen Brief und erhielt eine höfliche Antwort, dass man mir keine Auskunft geben könne, wer wann welches Buch ausgeliehen habe. Fernleihscheine würden nach Abschluss der Ausleihe stets vernichtet. Außerdem seien große Teile des alten Bestandes beim Brand von 1943 zerstört worden.«

      »Ich verstehe nicht …«

      »Was verstehst du nicht?«

      »Wieso fragst du die Bibliothek, an wen die das Buch ausgeliehen hatte?«

      »Weil das Buch irgendwoher kommen musste, Lisa.«

      »Fotokopieren?«, schlug ich vor.

      »Damals hat man nicht fotokopiert! Kopierer wurden erst Mitte bis Ende der siebziger Jahre üblich. Nein, Lisa. Jemand hat 1967 das Original auseinandergenommen, Fremdtexte eingebunden und das Exemplar mit einem neuen Einband versehen. Und ich habe mich gefragt, wo das Original herkam. Und da es so selten war …«

      »Ah, verstehe.« Aber so richtig immer noch nicht. »Warum haben die denn so ein seltenes Exemplar genommen? Gut, sie wollten Fraktur, weil das eh keiner lesen kann oder will. Aber dann hätten sie auch Courts-Mahler oder Karl May nehmen können. Davon hatten wir noch in Fraktur gedruckte Exemplare in meiner Schulbibliothek.«

      »Eben! Warum ausgerechnet Schloss und Fabrik?«

      »Ah!« Auf den kurzen Moment der Erleuchtung folgte Finsternis. »Äh, und warum?«

      »Weil die Person, die das Buch verwendet hat, nicht wusste, wie selten es ist. Sie hat es für irgendeinen alten Schmacht-Schinken gehalten. Mir wurde auf einmal klar, dass sie es nicht ausgeliehen haben konnte. Es muss sich in der Privatbibliothek des Vaters ebendieser Person oder in der elterlichen Bibliothek einer befreundeten Person befunden haben. Womöglich beschädigt, weshalb es wertlos erschien. Außerdem musste die betreffende oder eine mit ihr befreundete Person Kenntnisse in Buchbinderei haben.« Richards Augen glitzerten heute noch jagdlustig.

      »Und sie musste in Stuttgart studiert haben«, sagte ich.

      »Eher in Tübingen. Niemand hat in Stuttgart studiert. Außerdem …« Ein winziges Lächeln kräuselte Richards Mundwinkel. Er versuchte es zu verbergen, indem er sich abwandte, um die Zigarette am Aschenbecher abzutippen.

      »Also, wie hast du es rausgekriegt?«

      »Ich habe ans Schwarze Brett in der Uni Tübingen einen Zettel gehängt. Auf dem stand: Liebhaberexemplar Schloss und Fabrik, Leipzig, 1846 günstig abzugeben. Dazu meine Telefonnummer, vielmehr die meiner Zimmerwirtin.«

      »Und?«

      »Ich bin täglich vorbeigegangen, um nachzuschauen. Eines Tages stand an der Wand mit den Anschlägen eine … eine junge Frau.« Richard zog an der Zigarette.

      Ich auch.

      »Sie


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