Der undankbare Kontinent?. Группа авторов
etwa, dass seine damalige Konkurrentin oder die Sozialistische Partei (sie noch weniger) hinsichtlich ihrer Afrikapolitik überzeugt hätten oder ihr Verhalten in der Vergangenheit irgendeinen Willen zur radikalen Neuordnung der Beziehungen zwischen Frankreich und seinen Ex-Kolonien erkennen ließ. Der neue Präsident von Frankreich hätte schlicht die Rechnung bezahlt für einen Umgang mit den Immigranten als Innenminister unter Jacques Chirac, seine angeblichen Kontakte zu den Rassisten von der extremen Rechten und seine Rolle in der Vorgeschichte der Aufstände von 2005 in Frankreichs Vorstädten.
Sprache als Vergewaltigung
Bei seiner ersten Rundreise in Afrika südlich der Sahara, als er in Dakar landete, ging ihm ein sehr schlechter Ruf voraus, nämlich der eines umtriebigen und gefährlichen Politikers, zynisch, brutal und machtgeil, der nicht zuhört, aber alles sagt, mehr, als gut ist, nicht zimperlich ist in der Wahl seiner Mittel und Afrika bzw. den Afrikanern gegenüber nur herablassend und verachtungsvoll agiert.
Aber dies war nicht alles. Viele waren auch bereit, ihm zuzuhören. Wenn es nicht seine politische Schläue war, die sie nachdenklich machte, so doch seine Durchschlagskraft bei der Umsetzung seines Wahlsieges. Überrascht von der Aufnahme einer Rachida Dati oder einer Rama Yade19 in die Regierung (auch wenn es während der Kolonialzeit mehr Minister afrikanischer Herkunft in den Kabinetten und den Nationalversammlungen der Republik gab als heute), wollten sie wissen, ob sich hinter den Machtspielen irgendein großes Konzept verbarg, etwa eine echte Anerkennung der Rassenvielfalt und des Kosmopolitismus in der Gesellschaft.
Es gab also gespannte Erwartung. Zu sagen, dass sie enttäuscht wurde, ist eine Untertreibung. Gewiss, das Syndikat der Satrapen (von Omar Bongo, Paul Biya, Sassou Nguesso bis Idris Déby, Eyadema junior und wie sie alle heißen) gratulierte sich zu der Deutlichkeit, mit der sich das Bekenntnis zur Kontinuität in der Frage von »Frankoafrika«20 abzeichnete, diesem System der wechselseitigen Korruption, das Frankreich seit dem Ende der kolonialen Besetzung mit seinen afrikanischen Mündeln verbindet.
Wenn man andererseits von den Reaktionen ausgeht, wie sie sich da und dort als Leitartikel, Leserbriefe, Wortmeldungen auf den Wellen privater Sender und in den Internet-Blogs manifestierten, so fand ein sehr großer Teil des frankophonen Afrika – angefangen bei der Jugend, an die sich Sarkozy wandte – diese Rede wahrhaft unglaublich, wenn nicht gar schockierend. Und dies mit gutem Grund. Wann immer eine der Parteien in einer Beziehung weniger frei und gleich ist als die andere, beginnt die Vergewaltigung häufig auf sprachlicher Ebene, als Rede, die sich unter dem Vorwand, nur die ureigenen Überzeugungen des Sprechers zum Ausdruck zu bringen, jede Freizügigkeit herausnimmt, ohne die Beweggründe klarzulegen, und so die eigene Position absichert, während das ganze Gewicht der Gewalt auf den Schultern des Schwächeren lastet.
Rückschritt
Wer jedoch Frankreich gegenüber keine Erwartungen hegt, empfindet den an der Universität von Dakar gehaltenen Vortrag als sehr aufschlussreich. Tatsächlich liefert die von dem Sonderbeauftragten Henri Guaino redigierte und von Nicolas Sarkozy in der senegalesischen Hauptstadt gehaltene Rede das überaus klare Bild der Schäden, welche eine paternalistisch-rückwärtsgewandte Haltung von Teilen der neuen französischen Eliten (rechtsstehend oder linksstehend, gleichviel) einem Kontinent gegenüber, der vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine radikale Veränderung nach der anderen erlebte, verursachen könnte. Während des kommenden Jahrzehnts könnten die Auswirkungen einer solchen Haltung – mag sie sich nun bewusst oder unbewusst manifestieren, aktiv oder passiv – verheerend sein.
In seiner großen »Offenheit« und »Aufrichtigkeit« enthüllt Nicolas Sarkozy, was bisher formal wie inhaltlich dem Bereich des Ungesagten zugehörte, nämlich das Faktum, dass das geistige Rüstzeug, auf dem die Afrikapolitik Frankreichs beruht, buchstäblich von Ende des 19. Jahrhunderts stammt. Trotz aller Basteleien handelt es sich um eine Politik, deren Strukturen von einem überholten, fast ein Jahrhundert alten Erbe herrühren.
Die Rede des neuen Präsidenten zeigt, wie die neuen Eliten an der Spitze Frankreichs im Zeichen einer oberflächlich-exotistischen Sichtweise das Bild einer Wirklichkeit entwerfen, die zu ihrer fixen Idee und ihrer Wahnvorstellung (Rasse!) geworden ist, von der sie aber in Wahrheit keine Ahnung haben. Wenn sich Henri Guaino an die »Elite der afrikanischen Jugend« wendet, begnügt er sich mit einer fast wörtlichen Wiedergabe des Kapitels, das Hegel in Die Vernunft in der Geschichte21 Afrika gewidmet hat. Nach vielen anderen Kritikern habe ich vor kurzem diesen Text in meinem Buch De la postcolonie (221–230)22 ausführlich beleuchtet. Laut Hegel ist Afrika in der Tat das Land der beharrenden Substanz und der Unordnung einer Schöpfung, die gleichzeitig faszinierend, glückselig und tragisch erscheint. So wie wir die Neger heute sehen, so waren sie zu allen Zeiten. Angesichts der ungeheuren Energie, mit der naturhafte Willkür sie beherrscht, haben bei ihnen weder der Sinn für Moral noch die Ideen der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Fortschritts irgendeinen Platz, irgendeinen Sonderstatus. Wer die scheußlichsten Ausprägungen der menschlichen Natur kennenlernen will, kann sie in Afrika finden. Dieser Teil der Welt hat im Grunde keine Geschichte. Was wir unter dem Namen Afrika erfassen, ist eine geschichtslose, unentwickelte Welt, versklavt vom Naturgeist und immer noch an der Schwelle der Weltgeschichte verharrend.
Von nichts anderem sind die neuen französischen Eliten überzeugt. Dieses hegelsche Vorurteil ist auch das ihre. Im Gegensatz zur Generation der Überväter (de Gaulle, Pompidou, Giscard d’Estaing, Mitterrand oder Chirac), die dasselbe Vorurteil stillschweigend pflegten, aber es vermieden, afrikanische Gesprächspartner vor den Kopf zu stoßen, meinen die »neuen Eliten« Frankreichs, dass jeder, der das Wort an so tief im Nächtlich-Kindlichen verwurzelte Gesellschaften richten will, sich gleichsam ungebremst, mit dem Nachdruck urtümlicher Energie ausdrücken muss. Genau dies haben sie im Sinn, wenn sie mit Seitenblick auf die Kolonialgeschichte heute ganz offen die Idee einer »Nation ohne Komplexe« propagieren.
Ihrer Meinung nach kann man von Afrika und zu Afrikanern nur sprechen, wenn man Verstand und Vernunft gegen den Strich bürstet. Was tut’s, wenn sich jedes geäußerte Wort in den Rahmen generellen Unwissens fügt. Es reicht, die Wörter mit Schwulst und Überschwang anzureichern, alles mit Bildern zu überschwemmen – genau so, wie es in Sarkozys Rede von Dakar geschieht. Dadurch wirkt sein Diskurs eigentümlich abgehackt und stammelnd.
Auch wenn ich alle Sorgfalt walten lasse – in dem langen Monolog von Dakar finde ich Einladungen zum Austausch und zum Dialog nur in Form purer Rhetorik. Was sich zwischen den Zeilen abzeichnet, das sind Forderungen, Vorschriften, Ordnungsrufe (darunter auch Zensurappelle), billige Provokationen, Beleidigungen verpackt in hohle Schmeicheleien – und dazu eine unerträgliche Selbstherrlichkeit, die man, wie ich meine, nur in Dakar, Yaoundé oder Libreville an den Tag legen kann, aber sicher nicht in Pretoria oder Luanda.
Der Präsident als Ethnophilosoph
Neben Hegel gibt es eine zweite Referenz, die von den »neuen Eliten Frankreichs« ohne jeden Skrupel aktualisiert wird. Gemeint ist ein Repertoire von Gemeinplätzen, welche die koloniale Ethnologie gegen Ende des 19. Jahrhunderts festgeschrieben hat. Von dieser Art Völkerkunde nährt sich ein großer Teil des Afrika-Diskurses und darüber hinaus ein Teil des Exotismus und der Gedankenlosigkeit, die dem Rassismus französischer Prägung seine bevorzugten Ausdrucksmittel liefern.
Lévy-Bruhl versuchte in seinen Erörterungen zur »primitiven« oder »prälogischen« Mentalität aus dieser Ansammlung von Vorurteilen ein System zu machen. In einer Serie von Essays über die »inferioren Gesellschaften« (Les fonctions mentales, 1910; La mentalité primitive, 1921) setzte er alles daran, die Unterscheidung zwischen dem vernunftbegabten »Menschen des Westens« und den nicht-westlichen, im Zyklus des Immer-Gleichen und der Zeit des Mythos eingeschlossenen Völkern bzw. Rassen pseudowissenschaftlich zu untermauern.
Leo Frobenius, den der Romancier Yambo Ouologuem in Le devoir de violence23 heftig angreift, hat sich, so wie es Brauch war, stets als »Freund« der Afrikaner präsentiert und zugleich eifrig zur Verbreitung von Lévy-Bruhls krausen Gedanken beigetragen, indem er den Begriff des afrikanischen »Vitalismus« prägte.24 Freilich, die »afrikanische Kultur« stellte