Der Akron Tarot. Akron Frey

Der Akron Tarot - Akron Frey


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Schoß und das Verlangen, mittels Libido und Kraft den Fortbestand der Sippe zu sichern. Ich merkte aber auch, dass aus der gemeinsamen Liebeseuphorie schnell eine verhängnisvolle Magie heraufbeschworen werden konnte, wenn Frau und Mann ihre gegenseitigen Projektionen, sie wären Gott und Göttin und jeder für den anderen das ultimative Ziel ihrer geschlechtlichen Sehnsucht, ineinander verankerten. Niemals darf man ein solches sexualmagisches Statement als persönliche Botschaft werten, die dem materiellen Alltag standhalten kann. Lediglich der geschützte Raum eines Liebesrituals gestattet die Übernahme der Rolle der archetypischen Bilder von Göttern und Göttinnen, die sich als Urformen des ersten Liebespaares begegnen. Werden die kosmischen Kräfte des Männlichen und Weiblichen innerhalb dieses Rahmens als Spannungsbogen benutzt, fliegt der Pfeil der Sehnsucht auf der Sehne der Libido weiter, als die Sonne scheint. Aber aufgepasst: Alle Versuche, das Geheimnis der Kraft zwischen Männern und Frauen zu lösen, sind stets am Schatten des Persönlichen gescheitert, weil dort die Quelle der Enttäuschung sitzt, und aus diesem Schmerz heraus kann das seinen Schatten verdrängende Ich ohne sein Wissen zu einem unerschütterlichen Wächter vor dem Reich der Göttin werden, der seine eigenen, in einem unbekannten Teil seines Wesens formulierten Ziele auf der unbewussten Ebene im anderen gnadenlos bekämpft. Als ich endlich aufhörte, meine Frau und die Frauen der Welt verstehen zu wollen, also den Wunsch, ihre Unberechenbarkeit als Spiegelung meiner inneren weiblichen dunklen Seite zu kontrollieren, wurde ich tief im Gedärm von der betörenden Anima berührt, so als wollte sie mir sagen, dass ich mich jetzt auf den Weg zum Vater machen soll, der einst der Geliebte der finsteren, alten Göttin war. Im Grunde genommen ist es der Auftrag eines jeden Mannes, diesen Vater in sich zu finden, denn solange Männer gegen die dunkle weibliche Seite in sich rebellieren, können Frauen ihren lichten männlichen Teil nicht entwickeln. Erst wenn die Gegenwart der dunklen Mutter in einem Mann erwacht, erhöht sich seine Ausstrahlung und Attraktivität für die Frauen enorm, denn er reitet jetzt den Tiger ihrer Kraft, der ihn überall dahin trägt, wohin er will, von dem er aber niemals mehr absteigen kann, weil dieser ihn sonst zerfleischen würde. Gelangt er schließlich an die Haustür seines inneren Vaters, wird er erkennen, dass er sich selbst die Pforte öffnet, an die er von außen anklopft, und er wird fühlen, dass aus dem Sohn der Vater geworden ist, der die Mutter suchte und die Geliebte fand. Kehrt dieser Mann zum Urbild der Mutter zurück, so kann er sagen, ich habe mich gefunden, und er wird als Geliebter der ewig jungen Alten sich selbst neu erzeugen - das ist das Geheimnis der Schöpfung der verdrängten Anima aus männlicher Sicht. In ihrer Funktion als weibliche Teufelin scheint sie das Laufrad des Lebens anzutreiben, weil sie im Scheitern den Ausgleich der Kräfte vertritt. Nichts ist je verloren gegangen, weil das Chaos, vor dem sich der Kaiser fürchtet, nichts anderes ist als die Ordnung der alles umspannenden Leere, durch die jedes Leben eintritt und wieder geht:

       Ich bin der Grundstein all dessen, was möglich ist, und mein Name ist: »Nichts bleibt verborgen«, denn ich bin das Ja zum Leben

       und das Ja zu deiner Kraft. Erobere die Welt und erkämpfe

       dir deinen Platz, aber wisse, in mir sind alle Dinge auf ewig, weil ich nicht bin!

      In Liebe allen Töchtern der dunklen Göttin in mir

       und dem Fest der Begegnung im Außen gewidmet.

      Von Lussia

      Die entscheidende Erkenntnis zum Thema des inneren dunklen Kindes entstand ganz zufällig während eines Neumond-Rituals beim Herausrufen der schwarzen weiblichen Kraft. Dabei wurde ich mir der ungeheuren, diabolischen Energie des Kindes als der Kehrseite der dunklen Göttin bewusst, die unpersönlich und in eisiger Klarheit alles um mich herum erfasste. Daraus stellte sich mir die Frage: Sollte sie als der finstere weibliche Aspekt im Menschen den Schatten der weiblichen Trümpfe verkörpern, wäre dann der unheilvolle Balg nicht möglicherweise das verlorene Kind der dunklen Mutter, das in der tiefsten Brunnenstube der menschlichen Seele verborgen und unerkannt sein Dasein fristet? Vielleicht liegt die Antwort, dass dieser wichtige Archetyp in der Welt des Tarots bisher noch keinen Zugang gefunden hat, darin, dass wir uns noch nicht lange genug mit den abgespaltenen psychischen Anteilen tiefer auseinandergesetzt haben, also den Pfründen, aus denen das verhängnisvolle Kind in unsere Welt gekommen ist. Denn aus spiritueller Sicht könnte man sagen, dass wir in unserer kollektiven Entwicklung erst jetzt in der Lage sind, eine solche komplexe Energiestruktur wie das, was wir als schwarzes oder abgespaltenes Kind umschreiben, überhaupt zu erfahren. Früher wurden die Krankheitsbilder im Persönlichkeitsaspekt des verletzten und deshalb finster wirkenden inneren Kindes, das sich unverstanden und allein wähnt, mit Begriffen wie endogene Depression, autistisches Verhalten oder manisch-depressiven Neurosen umschrieben. In der Verdichtung der Krise und als Auslösungsfaktor in Zeiten von Überforderung, Verzweiflung, Liebesentzug oder dem Gefühl, nicht mehr geliebt zu werden, resultiert ein ungeheures Angstpotenzial in Form eines psychischen schwarzen Loches. Hockt man erst einmal drin, dann reduziert sich das emotionale Wollen auf Ziele wie Stabilisierung des gekränkten Ego durch Selbstmitleid, d. h. dem Suhlen in den Erinnerungen von Missbrauch und Schmerz. Das enttäuschte Kind errichtet um die Seele einen Schutzwall, der kein äußeres Zeichen der Liebe oder Zuwendung mehr durchdringen lässt und die Psyche zwingt, sich ausschließlich mit jenen Begebenheiten zu befassen, die die Qual alter Verletzungen immer wieder neu auslösen. Beobachtungen zufolge, in denen Menschen aus unverständlichen Gründen plötzlich heimlich und beleidigt davonschleichen, trotzig sich zurückziehen, zerstören oder gar morden, können wir darauf schließen, dass sich in jedem Individuum eine verdrängte, sich aus der Ablehnung nährende Kraft verbirgt, die die verhinderte Liebe oder Nähe in einen trotzigen Abwehrmechanismus umbiegt, um die Welt für ihren Schmerz verantwortlich zu machen. In der Symbolik dieser Karte sind die sabotierenden, nachtragenden und alle Lebensfreuden verhindernden und vernichtenden Enttäuschungsmuster zusammengefasst. Das Kind stellt die Summe aller erlittenen Verletzungen, die es im Laufe seiner Entwicklung erlebt hat, dar und fühlt sich einzig dem Dämon verpflichtet, der ihm in seiner Depression unerschütterlich zur Seite steht, dessen Name Selbstbestrafung ist und dessen Weg der Selbstzerstörung sich in der Vernichtung seiner Peiniger krönt Wo aber liegen die Wurzeln dieses abgespaltenen Persönlichkeitsteiles, der sich so tief in die Schattenkammern der Seele zurückgezogen hat? Ist es grundsätzlich die kollektive Enttäuschung über den Rauswurf aus dem Paradies als ein Zustand vollkommener Einheit? Oder sind es die persönlichen, gekränkten Gefühle, nicht in seiner Eigenart wahrgenommen oder geliebt worden zu sein, denn Übergriffe, Missbräuche oder auch die unerwiderte Liebe zu den Eltern lassen ein tiefes Misstrauen in der Menschenseele wachsen und Flucht, Schmerz und Selbstzerstörung sind letztlich die folgerichtige Konsequenz daraus.

Die Großen Arkana

      0 Der Narr

      All-Ein-Sein, Urquell, kosmische Leere

      Der Narr verkörpert sowohl das Nichts an der Schwelle zum Werden wie auch die grenzenlose Leere des Alls, die am Ende jeder Entwicklung das Sein wieder in sich aufnimmt. Er ist ein Bote reiner, ungefilterter Wahrheit aus dem Zwischenreich zwischen Tod und Geburt, und er verkörpert den schöpferischen, aber nicht personifizierten Willen, der noch keine Absicht, Richtung und Struktur kennt. Vielmehr erschafft er sich einen geistigen Raum durch bestimmte Träume, in deren Spiegelungen er sich das Mysterium visionär erschließt. Er ist ständig damit beschäftigt, sein Inneres über seine eigenen Ahnungen reflektierend zu ergründen. Wir begegnen hier dem sich spiralförmig auf ein neues Ende hin bewegenden alten Anfang, einer neuen Seite im Buch des Lebens, deren Inhalt aber immer noch die Vision des Vergangenen transportiert. Dieser beinhaltet den Ur—Willen, dessen ideelle Atome sich in der Karte des Magiers zu geistig-materiellen Verdichtungen gruppieren. Doch dazu bedarf es der kosmischen Dimension der Zeit. Sie ist der Geburtskanal, durch den das zum Leben berufene Geschöpf ausgetrieben wird. So befindet sich der Mensch fortwährend zwischen einem Ende als Anfang und einem Anfang als Ende. Wenn er zurückblickt,


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