Das große Littlejohn-Kompendium. John Martin Littlejohn
Theorien zur Ernährung und Bewegung dar.
Der Erfolg der Osteopathie hängt davon, ob die Interaktionen zwischen den Nervensystemen und Organen und Geweben des Körpers vollkommen harmonieren. Ebenso müssen die erforderliche Wiederherstellung der vollkommenen Zirkulation in den Organflüssigkeiten, die vollkommene Aktionsfreiheit aller Lebenskräfte und die Entfernung aller Behinderungen der ununterbrochenen Aktivität durch Knochen, Muskeln und Gelenke erfolgen. Darin weicht die osteopathische Schule der Medizin von allen anderen Schulen ab. Die Osteopathie behauptet, dass sie die Erbin des gesamten medizinischen Wissens ist, das in den Zeitaltern von allen anderen Schulen angesammelt wurde. Und sie steht zu der Aussage, dass der Gebrauch von Medikamenten als heilende Agenzien einen Therapiefehler darstellt. Ihr Prinzip ist es, dass korrektes Wissen über die und eine wissenschaftliche Anwendung der anatomischen, physiologischen und hygienischen Mechanismen der menschlichen Natur die therapeutische Grundlage der Erhaltung der Gesundheit und der Vorsorge gegen Krankheiten und für die Heilung derselben bilden.
Dieses Eingreifen der Osteopathie erscheint – insbesondere im Blick auf die langwierigen Konflikte bezüglich des Wertes und des Gebrauchs verschiedener Medikamente – angemessen, um den Bereich der Therapie für sich zu beanspruchen. Sogar die regulären Ärzte verlieren das Vertrauen in die Allheilkraft der Pharmazieprodukte. Die Osteopathie geht aber noch über diesen Schritt reiner Skepsis hinaus, indem sie fest davon ausgeht, dass der Gebrauch von Medikamenten einen Nachteil für das System und eine unwissenschaftliche Methode beim Versuch, Krankheiten zu heilen, darstellt. Sie behauptet, dass die menschliche Natur einen vollkommenen natürlichen Organismus darstellt, der in sich selbst die Heilmittel der Natur hat und folglich die Ressourcen für die erholenden, regenerativen und präventiven Aktivitäten des Körpers besitzt. Krankheit wird schlicht als eine Störung, eine Fehlanordnung bzw. ein anomales Wachstum betrachtet, sodass die Wiederherstellung von Gesundheit das Beseitigen einiger behindernder Elemente, die Anpassung eines gestörten Zustands oder die Entfernung eines nicht notwendigen Anhängsels einschließt. Ob die Störung nun mentaler oder physischer Natur ist:47 Die Osteopathie behauptet, dass die Anwendungen dieses natürlichen Prinzips die Störung und ihre Wirkung auf Geist oder Körper entfernen wird. Jeder Krankheitszustand wird von Symptomen, Zeichen oder pathologischen Zuständen auf ihre primäre Ursache im Kontext mit einem Nerv, Muskel, Blutgefäß, Knochen usf. zurückgeführt. Sobald die Ursache lokalisiert ist, unterstützen wir die Natur mit der Absicht, eine Restitution der normalen Funktion zu erreichen. Durch eine derartige Harmonisierung der Kräfte der Natur, Anpassung der strukturellen Beziehungen, Aufbau der normalen funktionellen Aktivität im Nerven-, Kreislauf-, Verdauungs-, Sekretions- und Exkretionssystem und durch Entfernung der Behinderungen des freien Spiels der Nervenkraft und des freien Kreislaufs von Blut und Lymphe wird ein physiologisches Fundament für einen gesunden Zustand von Geist und Körper gelegt.
Man hat festgestellt, dass die Dislozierung oder Luxation eines Körperteils, egal ob es sich dabei um einen Knochen oder einen Muskel handelt, einen Druckzustand48 im Kontext eines Nerven oder der Nerven und eines Blutgefäßes verursacht, was zu einer Unterversorgung des betroffenen Bereichs mit nutritiven Elementen und Nervenkraft führt. Bei spinalen Läsionen treten hierbei Verdrehungen oder Krümmungen der Wirbel bzw. der Wirbelsäule auf, die einen direkten Druck auf die Nervensubstanz und eine Abschneidung der Zirkulation einschließen und einen mehr oder weniger degenerativen Zustand von Nerven und Muskeln bewirken. Nach einem gut bekannten physiologischen Prinzip tritt eine Degeneration naturgemäß bei Abschneidung des trophischen Zentrums vom versorgenden Nerv ein. Die Degeneration findet vom Zentrum des trophischen Einflusses aus statt. Dass Druck auf einen derartigen Nerv in Form eines Tumors, einer Luxation usf. einen derartigen Zustand hervorrufen kann, ist sogar eine physiologische Maxime. Das Entfernen einer solchen Ursache wird mit Sicherheit das beseitigen, was die Degeneration hervorruft, und prima facie dazu beitragen, den Normalzustand wiederherzustellen. Der Einfluss des Drucks im Kontext der osteopathischen Diagnose beruht auch auf dem physiologischen Prinzip, dass die Stimulierung eines Nerven durch hinreichend mechanische Kraft dessen Substanz pathologisch verändern kann. Die Empfindlichkeit bestimmter Teile des Körpers im Kontext von Schmerz ist weiterhin physiologisch durch die Tatsache erklärbar, dass die weiße Schicht der Nerven mit besonderen nervi nervorum periphericorum ausgestattet ist. Dies allerdings nur in den sensiblen Nerven für die Schmerzempfindung. Folglich zeichnen sich die verschiedenen Nervenbahnen durch unterschiedliche Sensibilität aus, was teils als Schutz der Nerven vor gefährlichen Einflüssen, teils als Signal einer derartigen Störung der normalen Nervenfunktionen dient.
Nun kennen Sie die Grundprinzipien der neuen Wissenschaft der Osteopathie, mit denen wir Sie nun entlassen, damit sie durch Sie verbreitet und angewendet werden mögen. Wir entlassen Sie in dem vollen Vertrauen darauf, dass sie
„Menschen sind, die ihre Rechte und Pflichten kennen, und wissen wie sie die Rechte bewahren können.“
ALTE PRINZIPIEN, ANGEWENDET MIT NEUEN METHODEN
Viele Menschen betrachten die Osteopathie als Auswuchs der Christlichen Wissenschaft, der Vertrauensheilung oder der suggestiven Therapie. Doch gibt es nichts Mystisches oder Hypnotisches in der Osteopathie. Die fundamentalen Prinzipien der Osteopathie sind das gemeinsame Eigentum der Menschheit, wie es in der Geschichte der physiologischen und anatomischen Forschung entwickelt worden ist. In diesen physiologischen Prinzipien wird nichts Neues behauptet, sieht man davon ab, dass sie lediglich neu verpackt werden. Neu an der Osteopathie ist allerdings deren Behauptung, dass diese Prinzipien mittels wissenschaftlicher Manipulation angewendet werden sollen. Der menschliche Körper wurde gerieben, mit Massage behandelt, gebürstet und Schwingungsbewegungen ausgesetzt. Doch all diese Methoden sind im Vergleich zum Versuch der Osteopathie unwissenschaftlich. Wir lokalisieren jeden wesentlichen Orientierungspunkt des Körpersystems mit der Absicht, die entferntesten Teile des Organismus und sogar die verborgensten Anteile des Gehirns auf jenen Bahnen zu erreichen, welche die Natur selbst zum Erreichen dieser Teile zur Verfügung gestellt hat. Mithin muss die osteopathische Behandlung unter Anleitung jenes Geistes durchgeführt werden, der in der Lage dazu ist, selbst die winzigsten organischen Beziehungen im Organismus einzuschätzen. Wie die Finger des Pianisten für die leichteste Dissonanz des Tons empfindlich sein müssen, so müssen die Finger des Osteopathen für die leichteste Anomalie empfindlich sein, sobald sie sich über den Körper bewegen.49 Mithin verlangt die Wissenschaft der Osteopathie von Ihnen nicht nur die umfassende Kenntnis der wissenschaftlichen Bewegungen und Manipulationen, sondern ebenso die Wissenschaft sensibelst geschulter Palpation.
Auf dem osteopathischen Banner ist das Motto eingraviert: „Gesundheit ist natürlich, Krankheit ist unnatürlich.“ Das Banner der Wahrheit und Gesundheit möge lange in den Brisen flattern und die Natur im medizinischen Bereich repräsentieren.
ABB. 5: JOHN MARTIN LITTLEJOHN (CA. 1898)
Littlejohn und seine beiden Brüder reformieren innerhalb weniger Wochen das gesamte Curriculum der A.S.O. und heben den Standard der Ausbildung auf ein für damalige Verhältnisse hervorragendes wissenschaftliches Niveau.
DIE ABSTAMMUNG DER SCHULE AUS DER LINIE DES HIPPOKRATES
Ich glaube, für die Osteopathie ist die Zeit gekommen, um bezüglich ihrer Position im Bereich der Wissenschaft Stellung zu beziehen. Die Zeit der Erprobung und Vorbereitung ist nun nahezu oder gänzlich abgeschlossen. Sofern die Osteopathie nicht jenem Vergessen anheimfallen will, dem viele momentanen und vorübergehenden Auswüchse der Wissenschaft zum Opfer gefallen sind, muss sie sich zu ihrer Überzeugung bekennen und wie ein unerschütterlicher und unbeweglicher Fels stehen. Die Welt ist neugierig und möchte wissen, wofür wir einstehen. Sie sind die Männer und Frauen, die dabei helfen müssen, diese Frage zu lösen. Verfallen Sie nicht in die schwachen Plattitüden bloßer mechanischer Maschinisten. Begreifen Sie vor allem, dass Sie mit der Wissenschaft verheiratet sind und dass Sie sich einer edlen Wissenschaft, einer wunderbaren Profession und der Sache der Freiheit und Humanität in lebenslanger Hingabe verschrieben haben. Kein Mensch, keine Gruppe von Menschen, keine einzelne Profession oder ein Teil einer selbst konstituierten Profession besitzt das Recht, sich anzumaßen, allein den Anspruch erheben zu können, Krankheiten zu