Ursula jagt eine Diebin. Herta Fischer

Ursula jagt eine Diebin - Herta Fischer


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      Onkel Max zog seinen Füllfederhalter aus der Brusttasche und schlug das rote Buch auf.

      Während er noch schrieb, fragte ein Mädchen: »Gibt es auch Preise?«

      »Die beste Gruppe bekommt eine Torte, und die besten Einzelsieger im Wettbewerb der guten Taten erhalten Buchprämien«, versprach der Heimleiter.

      »Eine Torte!«, rief Heinz und forderte seine Freunde auf: »Die müssen wir uns verdienen, Jungs! Das ist etwas für uns.« Gleich darauf erkundigte er sich: »Was für eine Torte? Buttercreme oder mit Früchten und Schlagsahne?«

      »Oder Schokoladentorte?«, wollte ein anderer wissen, und ein Mädchen warf ein: »Nusscreme ist auch was Gutes!«

      Als Onkel Max lachend entgegnete: »Die Siegergruppe darf wählen«, jubelten alle. Nur Iris flüsterte Ursula ins Ohr: »Wenn ich heimkomme, lass’ ich mir von meiner Mutti eine Torte backen, dazu lade ich euch alle ein.« Die beiden Freundinnen waren sich einig: Es lohnt nicht, sich für den Wettbewerb anzustrengen. Schließlich hatten sie sich auf Ferien und Faulenzen gefreut. Spielen wollten sie und schwimmen. Arbeiten? Gute Taten vollbringen? Pah, das sollten mal die anderen tun, die Dummen, die Wichtigtuer. »Wir wollen unsere Ferien genießen.« Sie stießen sich gegenseitig mit den Ellenbogen an und zwinkerten sich vergnügt zu.

      »Gehen wir heute baden?«, fragte Ursula am nächsten Morgen, als sie noch kaum die Augen aufgeschlagen hatte.

      Dora Mühlberg stand im Turnanzug am weit geöffneten Fenster. »Nein, heute sind am Vormittag die Gruppen I und II und am Nachmittag III und IV an der Reihe. Wir können nicht alle auf einmal gehen.«

      »Ooch! Schade!«, brummte nicht nur Ursel enttäuscht, auch die anderen fielen ein: »Das ist aber gar nicht schön.« Iris, die gerade aus ihrem Oberbett hatte springen wollen, zog die Storchbeine wieder ein und maulte: »Da lohnt sich’s auch nicht aufzustehen«, kuschelte sich in ihre Decke und begann zu schnarchen wie ein Bär.

      »Wir spielen Völkerball«, tröstete die Gruppenleiterin. »Aber nun schnell, kommt in den Waschsaal! Oder wollt ihr warten, bis die anderen alle beim Frühstück sitzen?«

      »Bloß nicht!«, rief Karla entsetzt und sprang sofort aus dem Bett. »Das fehlte noch, dass die anderen uns die ganze Erdbeermarmelade wegessen!«

      »Woher weißt du, dass es Erdbeermarmelade gibt?«, fragte Ingrid.

      Karla spreizte sich. »Ich weiß es eben, ihr werdet es ja sehen!« Ingrid erinnerte sich: »Ach, stimmt, deine Mutter ist ja Frau Mälzer, die drüben in der Küche mithilft.«

      Wenig später rannten alle in den Waschraum.

      Beim Frühstück verkündete Heinz, seine Gruppe habe beschlossen, die zum Heim gehörende Spielwiese mit einer Hecke zu umzäunen. Man wollte sich vom Förster beraten und helfen lassen. Gruppe VI erklärte sich bereit, die Pflege des Hausgärtchens zu übernehmen, das ihre Vorgänger eingerichtet hatten. Auch Gruppe I, zu der die Allerkleinsten gehörten, hatte sich schon überlegt, womit sie sich am Wettbewerb der guten Taten beteiligen könnte. Es sollte fleißig Tee gesammelt werden. Gruppe III hatte sich kein bestimmtes Ziel gesteckt, sie wollten, flink wie die Heinzelmännchen, hier oder da zugreifen, wo es gerade nötig sein würde. Die Gruppen II, IV und VII aber waren sich noch nicht darüber einig, auf welche Art sie sich nützlich machen könnten.

      Gruppe Dora äußerte sich überhaupt nicht. Nur Angelika fragte: »Und wir?« Wenn Dora gehofft hatte, ihre Schützlinge ließen sich von der Begeisterung der anderen anstecken, so sah sie sich getäuscht. Von dem Wettbewerb sprachen sie kein Wort. Er schien für sie nicht vorhanden zu sein. Gleich nach dem Frühsport drängten sie zum Völkerballspiel, und als Dora während einer Pause das Gespräch auf das rote Buch lenkte und fragte, ob sie nicht auch etwas Gutes tun wollten, lehnte Ursula ganz entschieden ab: »Ich habe mich in der Schule eben erst am Timur-Wettbewerb beteiligt und habe dreißig Kilo Altstoffe gesammelt. In den Ferien will ich nur spielen.« Iris schloss sich an: »Ich habe mich so aufs Faulenzen gefreut. In den letzten Wochen ging es meiner Mutti nicht gut, da habe ich zu Hause jeden Tag abwaschen und bohnern müssen.«

      Auch Jutta und Ingrid meinten, in den Ferien zu arbeiten, könne kein Mensch ernstlich von ihnen verlangen. Inge nickte zu den Worten der großen Schwester, und auch Karla behauptete, sie müsse sich erholen. Nur Angelika sagte ein wenig bedrückt: »Aber wenn die anderen Gruppen sich alle beteiligen, können wir uns doch nicht ausschließen!«

      »Warum denn nicht?«, Ursula machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wenn die anderen so dumm sind, so lasst sie doch.« Sie streckte sich lang aus im weichen Gras, verschränkte die Arme unterm Kopf, blinzelte gegen die Sonne und sagte prahlerisch: »Wir sind eben klüger. Wir genießen unsere Ferien, und zwingen wird uns gewiss niemand.«

      Hatte sie denn nicht recht? Iris stimmte ihr lebhaft zu. Auch die anderen Mädchen fanden, es sei schöner, Ball zu spielen, über die Heide zu springen, sich faul im Grase zu rekeln oder im Waldsee zu schwimmen als Bügeln zu lernen oder Tee zu sammeln. »Das mögen die Dummen machen«, sagte nun auch Jutta. »Wir sind eben klüger.«

      Schade!

      Angelika bemerkte Doras betrübtes Gesicht und versuchte noch einmal, die Freundinnen umzustimmen: »Dann sind wir die Einzigen, die nicht mitmachen.«

      Iris zuckte mit den Schultern. Jutta meinte gleichgültig: »Das tut doch nichts.«

      Wider Erwarten entgegnete Dora Mühlberg: »Wenn ihr keine Lust habt, ist es besser, ihr lasst von vornherein die Hände davon. Gute Taten, die ihr widerwillig und nur gezwungen tut, haben ohnehin keinen Wert.«

      »Na also«, meinte Ursula befriedigt, »da habt ihr’s!«

      So war es nun beschlossen: Gruppe Dora nahm nicht am Wettbewerb teil. Die anderen Kinder sahen ein wenig verächtlich auf die Mädchen herab, als sie davon erfuhren. Die blonde Lore meinte: »Eigentlich dürften sie dann auch nichts von den Himbeeren bekommen, die wir heute für alle Kinder zum Nachtisch gesammelt haben.« Aber davon wollte Onkel Max nichts wissen. Er lächelte über die Mädchen, die sich so klug vorkamen, weil sie sich am Nachmittag auf der Spielwiese tummeln konnten, während die anderen Gruppen singend davonzogen, die einen, um den Förster aufzusuchen, die anderen, um Tee zu sammeln, die dritten, um das Dorf kennenzulernen und die Produktionsgenossenschaft zu besichtigen. Schon nach einer Stunde kehrten die Jungen der siebenten Gruppe zurück. Sie hatten ein krankes Eichhörnchen gefunden und sich deshalb vorgenommen, dem Tierchen einen Stall zu bauen und es gesund zu pflegen. Und weil Erich eine Eidechse gefangen hatte, schlugen sie vor, auch noch ein Terrarium einzurichten, am besten gleich ein richtiges Tiergehege, das dann dem Ferienheim gehören sollte.

      »Wisst ihr, wie wir uns nennen? Gruppe Schomburgk!«, schlug einer vor. »Wenn wir hier auch keine Elefanten fangen können, der große Afrikareisende und Tierforscher Hans Schomburgk soll unser Vorbild sein!«

      Die anderen stimmten begeistert zu.

      Das Wetter war auch am folgenden Tage herrlich. Die Sonne schien zu wissen, was sie den Ferienkindern schuldig war, und strahlte und lachte, als freue sie sich mit den Jungen und Mädchen, die sich im Wald und auf der Wiese tummelten. Selbst der Wind hielt es mit den Kindern. Kam eine Wolke und wollte sich vor das Sonnenlicht schieben, so blies er sie schnell davon, sprang dann über den See und kräuselte die Wasserfläche zu glitzernden Wellen. Der Waldsee war wunderschön. Am Nordhang wuchsen junge Fichten, dazwischen hohes Gras und Heidelbeerkraut, in dem man so weich lag wie in einem Bett. Gegen Süden trennte ein schmaler Wiesenstreifen den See vom Hochwald. Dort lagerten sich die Mädchen, nachdem sie sich im Wasser ausgetobt hatten. Ursula ruhte mit geschlossenen Augen, das Gesicht der Sonne zugewandt.


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