Attentat Unter den Linden. Uwe Schimunek

Attentat Unter den Linden - Uwe Schimunek


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Pistolen häufig gleich paarweise in entsprechenden Kästen angeboten wurden.

      Gontard, täglich mit den schweren und schwersten Kalibern von Schusswaffen beschäftigt, hielt solche Waffen schlichtweg für zu sperrig und umständlich im Gebrauch - jedenfalls solange sich die jüngsten Erfindungen der Hinterlader samt Perkussionsschloss noch nicht durchgesetzt hatten. Eine Steinschlosspistole wie die im Marstall gebrauchte war wohl tatsächlich eher zum Erschrecken eines Pferdes denn zu einem Mord geeignet.

      Schade, dass er nicht dazu gekommen war, seinem Freund Kußmaul das Spielzeug zu zeigen. Dem, obwohl kein Freund von Feuerwaffen, wäre möglicherweise an der Pistole das eine oder andere besondere Merkmal aufgefallen. Welche Rolle die Waffe beim Tode Streyths wirklich gespielt haben mochte, würde hoffentlich die Obduktion ergeben.

      In der glühenden Sonne des späten Mittags und so weit außerhalb der Stadt hielt sich der Verkehr auf der mäßig gepflegten Kunststraße in erträglichen Grenzen. Weit vor ihm wirbelte eine sechsspännige Kalesche eine gewaltige Staubwolke auf. Gontard verspürte wenig Lust, sich dem Gefährt zu nähern und es zu überholen. Der ruhige Trab des Hengstes ließ ihm genügend Zeit, über von Streyths Ende nachzudenken, wobei in ihm der Gedanke an von Schnödens Order eine leichte Unruhe hervorrief. Was, wenn sich in den nächsten Tagen in dieser Angelegenheit doch das eine oder andere ergab, der übereifrige Criminal-Commissarius Werpel eine unerwartete Aktivität entwickelte oder der Verdächtige Kirchner gar die Flucht ergriff? Nein, das hielt Gontard dann doch für gänzlich ausgeschlossen. Ein preußischer Offizier vom Schlage Kirchners entzog sich nicht auf so ehrlose und billige Weise seiner Verantwortung! Abgesehen davon ging Gontard trotz der eigentümlichen Situation, in der man den jungen Lieutenant angetroffen hatte, vorerst nicht von dessen Verantwortung oder gar Schuld aus.

      Vielleicht war es ein Fehler gewesen, von Schnöden allein das Überbringen der Trauerbotschaft zu überlassen. Er versuchte, sich an Melitta von Streyth zu erinnern, sah ihre hohe, schlanke Gestalt vor sich, vermochte aber im Augenblick kein Gesicht damit zu verbinden. Hatte er nicht geglaubt, Prinz Augusts Züge in den ihren wiederzuerkennen? Nach allem, was er damals erfahren hatte, bestand kein Zweifel daran, dass sie zu den illegitimen Töchtern der umtriebigen Königlichen Hoheit gehörte, über dessen Unersättlichkeit im Umgang mit Frauen überall in Preußen hinter vorgehaltener Hand geredet wurde.

      Der Prinz, eine eindrucksvolle Gestalt mit schlohweißem Haar und großem Charme und in Berlin so etwas wie ein volkstümliches Original, war über drei Jahrzehnte lang bis zu seinem Tode Kommandeur der preußischen Artillerie und Kurator der von ihm begründeten Vereinigten Artillerie- und Ingenieurschule geblieben, gefürchtet wegen seiner strengen Inspektionen und seiner Prüfungen, beliebt jedoch bei Mannschaften und Offizieren.

      Jedermann in Preußen wusste, dass es sich bei dem 1779 im Schloss Friedrichsfelde geborenen Prinzen August um den letzten Spross aus der Hohenzollern-Generation Friedrichs des Großen handelte. Er war ein Sohn von dessen jüngstem Bruder Ferdinand, der seine und Friedrichs Nichte Anna Luise von Brandenburg-Schwedt geheiratet hatte. Augusts unvergessener Bruder Louis Ferdinand war 1806 auf dem Schlachtfeld den Heldentod für Preußen gestorben und genoss noch immer allgemeine Verehrung.

      Welch mutiger Kriegsheld und tüchtiger Artillerie-Inspekteur der Prinz auch war - seine Erfolge im Bett übertrafen die des Kriegers beiläufig um ein Beträchtliches. Bis an sein Lebensende mit fast 65 Jahren unverheiratet, jedoch mit einer 40 Jahre jüngeren Geliebten begnadet, hatte der wackere Kämpfer sich in mindestens zwei längeren Beziehungen ein Dutzend Mal im Fleische verewigt. Die zur Frau von Waldenburg geadelte Schwester der beiden Bildhauerbrüder Wichmann war die Mutter seiner ersten vier Nachkommen, von denen der Sohn Eduard im Mai 1807 in Soissons geboren worden, wohin Karoline Wichmann dem Geliebten in die französische Gefangenschaft gefolgt war, was den nicht daran hinderte, in Paris einer anderen feurig den Hof zu machen. Wenig später verfiel er seiner großen Liebe Juliette Récamier, die ihn über viele Jahre hinzuhalten wusste. Ende 1807 nach Berlin zurückgekehrt, rief ihn der König nach Königsberg, und dort, so wusste Gontard aus Heidenreichs nachgelassenen Notizen, begegnete er, nicht ohne Folgen, einer weiteren jungen Dame aus gutem Hause, die neun Monate später eine Tochter namens Melitta gebar.

      Gontard verfügte über ein gutes Gedächtnis, und der staubige Ritt in der Nachmittagssonne bot ihm ausreichend Gelegenheit, sich die Einzelheiten in Erinnerung zu rufen. Gebhardt Heidenreich hatte nämlich herausgefunden, dass es sich bei Prinz August von Preußen wohl nur um einen vermeintlichen Sohn des 1813 dahingegangenen Prinzen Ferdinand handeln konnte. Dieser Ferdinand, jüngster Bruder des unsterblichen Friedrich und nur angeblich nicht von ähnlicher Abneigung gegen das weibliche Geschlecht befallen wie der und beider Bruder Heinrich, hatte als 25-Jähriger die acht Jahre jüngere Tochter seiner und Friedrichs Schwester Sophie geehelicht.

      Prinz Ferdinand stieg so rasch zu militärischen Ehren auf, wie es einem leiblichen Bruder des Herrschers zustand, musste jedoch die Armee des ruhmreichen F II. als 28-jähriger Generalmajor wegen, wie es hieß, »schwächlicher Leibesbeschaffenheit« verlassen. Fortan führten er und seine junge Frau Luise in Friedrichsfelde, Rheinsberg und im eigens erbauten Lustschloss Bellevue ein eher zurückgezogenes Leben. Nach sechs Jahren Ehe wurde 1761 eine Tochter geboren, der ab 1769 in schooner Regelmäßigkeit sechs weitere Kinder folgten, von denen nur der Jüngste, eben der Prinz August, ein höheres Alter erreichte, während Preußens Kriegsgott, der ältere Bruder Louis Ferdinand kaum 34-jährig in der Schlacht bei Saalfeld sein ruhmreiches Ende fand.

      Die kluge Luise wusste sich anscheinend über die schwächliche Leibesbeschaffenheit ihres Angetrauten hinwegzusetzen. Dessen hochgewachsener Adjutant, Preußens hochgeschätzter Kartograph August von Schmettau, fünf Jahre jünger als Luise, galt insgeheim als der Vater mindestens ihrer sechs jüngeren Kinder.

      Deren Onkel Louis Ferdinand, ein Bild von einem Mann, sechs preußische Fuß groß und blond gelockt, war ein tapferer Militär und noch dazu ein begabter Komponist und Musiker, der leider gegen Ende seines kurzen Lebens dem Alkohol verfiel und täglich ein Dutzend Bouteillen Champagner trank. In Berlin hatte er im Salon der Rahel Varnhagen verkehrt, wo er auch seiner letzten Geliebten Pauline Wiesel begegnet war. Bereits als 16-Jähriger hatte Louis Ferdinand ein Fräulein von Schlieben geschwängert, bevor er später die Magdeburger Bürgerstochter Friederike Fromme kennen und lieben lernte. Sie gebar ihm zwei Kinder, Louis und Blanche genannt, die nach dem Heldentod des Vaters geadelt wurden und im Hause ihrer Tante Luise Radziwil aufwuchsen.

      In jener für Preußen so verhängnisvollen Schlacht gegen Napoleon lieferte auch der junge Prinz August als Chef eines Grenadier-Bataillons Beweise höchster Tapferkeit. Erst in den Sümpfen nördlich von Prenzlau geriet er in französische Kriegsgefangenschaft.

      Zwei Jahre später reformierte und kommandierte er als Generalmajor Preußens Artillerie. Doch nicht diese Tätigkeit, die der scharfäugige Inspekteur später über Jahrzehnte überaus gewissenhaft ausübte, hatte Heidenreichs Interesse erweckt, sondern die zahllosen Affären, die sein Auftreten immer wieder begleiteten. Bei seinem Aufenthalt in England war die englische Thronfolgerin Charlotte in Liebe zu ihm entbrannt. In Wien traf er am Rande des Congresses neben Wilhelmine von Sagan, geborene Prinzessin von Kurland, die exzentrische englische Schönheit Lady Emily Rumbold. War es Zufall, dass seine bald danach in Berlin geborene Tochter den Namen Emilie erhielt, während es ihn schon wieder zu Juliette Récamier nach Paris zog?

      Noch im Nachhinein erstaunte Gontard die Akribie, mit der der Freund Heidenreich dem vielfältigen Liebesleben Augusts nachgegangen war, dessen Liaisons mit bürgerlichen Frauen mindestens zwei neue preußische Adelsgeschlechter begründet hatten.

      Nach der Trennung von Karoline Wichmann teilte der Prinz sein privates Leben mit der achtzehnjährigen Auguste Arend, der Tochter eines jüdischen Geldverleihers. Sieben Kinder, darunter drei Söhne, entsprossen der vierzehn Jahre andauernden Verbindung. Standesgemäß wurden Auguste und ihre Kinder mit dem Namen »von Prillwitz« geadelt. Davor und dazwischen kam es immer wieder zu neuen Affären. 1826 bezichtigte ihn eine Siebzehnjährige, der Vater ihrer Tochter Agnes zu sein. August bestritt es nicht, versuchte jedoch, die fällige Entschädigung herunterzuhandeln, bis sich das dafür zuständige Königliche Pupillenkollegium einmischte. Die junge Mutter erhielt schließlich fünfhundert Taler und monatliche Alimente für das geistig


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