Schaurige Geschichten aus Berlin. Jan Eik

Schaurige Geschichten aus Berlin - Jan Eik


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Sarkophage der ersten Hohenzollern noch eine Spur der Weißen Frau. Selbst in den noch vorhandenen Tropfsteingewölben unter dem einstigen Kaiser-Wilhelm-Denkmal am Spreekanal mag es unheimlich sein – Hohenzollern-Gespenster gehen dort nicht um. Und welcher Geist hinter der Schlossfassaden-Kopie im Humboldtforum herrschen wird, muss sich erst erweisen.

       Katastrophen

       Der Berliner Unwillen

      Die Quellenlage über die ersten Jahrhunderte Berliner Geschichte ist schlecht; nicht einmal ihre Gründungsurkunde haben die alten Berliner gerettet. Schuld daran waren vor allem die immer wieder auftretenden Brände im ausgehenden Mittelalter, die selbst die steinernen Kirchen nicht verschonten.

      Im Jahre 1376 brannte ein großer Teil von Berlin nebst einem Teil des Rathauses sowie der Nikolai- und der Marienkirche ab. Auch bei dem verheerenden Feuer am 10. August 1380 meinte man, den Brandstifter zu kennen: den Ritter Erich Valke von der Lietzenitz auf Saarmund.

      Es war der schwerste Brand in der Stadtgeschichte, und als man Valke zehn Jahre später endlich fing, tötete man ihn sofort. Damit nicht genug, man machte dem Toten formal den Prozess. Sein abgeschlagenes Haupt wurde auf dem Oderberger Tor in der heutigen Rathausstraße ausgestellt.

      Zur Zeit der ersten Hohenzollern verschärfte sich der Widerspruch zwischen den die Städte beherrschenden Patriziern, dem »borgermeister und seinen ratmannen«, und den Handwerken, die endlich an der städtischen Selbstverwaltung beteiligt sein wollten. Die Situation gipfelte schließlich im sogenannten Berliner Unwillen von 1447/48.

      1442 baten die Handwerker »ihren« Kurfürsten Friedrich Eisenzahn um Hilfe, was dem gerade recht kam. Er wollte die Privilegien der Städte Berlin und Cölln ohnehin beschneiden, löste kurzerhand die Verwaltung auf und ließ sich die Schlüssel der Stadttore aushändigen. Dann setzte er einen neuen Rat ein, in dem die Handwerker wesentlich vertreten waren. Dafür schränkte er die Rechte der Städte ein und forderte einen Bauplatz für die kurfürstliche Burg, zu der er am 31. Juli 1443 an der nördlichen Stadtbefestigung von Cölln den Grundstein legte. Doch während Friedrich in Pommern Krieg führte und ihn verlor, vereinigten sich Berlin und Cölln, zum Widerstand entschlossen. 1447/48 kam es zum bewaffneten Aufstand gegen den Kurfürsten. Die Bürger öffneten im Februar 1448 die Wehre des Mühlendamms und überschwemmten das kurfürstliche Baugelände. Sie entwaffneten Friedrichs Söldner, vertrieben seine Zöllner und Mühlenmeister und plünderten die kurfürstliche Kanzlei im Hohen Haus an der Klosterstraße.

      Friedrich Eisenzahn machte seinem Namen alle Ehre. Er zog mit einer fränkischen Streitmacht heran, und 600 Mann zu Pferde besetzten die Stadt. Sodann erhob er Klage gegen die aufrührerischen Städter, insbesondere gegen einzelne Bürger aus der Oberschicht. Es hagelte Verbannungsurteile, Enteignungen und Geldbußen. Aus den freien Stadtbürgern waren unversehens kurfürstliche Untertanen geworden. Zum Zeichen dafür erhielt der Bär im Stadtsiegel, über dem nun der Adler hockte, ein Halsband. Drei Jahre später bezog der siegreiche Kurfürst 1451 seine Residenz zu Cölln.

      Ereignisse dieser Art verzeichnet die Berliner Stadtchronik nicht eben häufig. Meist heißt es nur lapidar: »Anno 1484 ist das Rathaus zu Berlin zum andern mahl abgebrannd …«

       Der Calvinistentumult in Cölln

      Ein gewichtiges Ereignis ist zu Beginn des 17. Jahrhunderts verzeichnet. Im Jahre 1615 brachte der Calvinistentumult ganz Cölln in Aufruhr. Zu Weihnachten 1613 war der Kurfürst Johann Sigismund, der seit 1608 residierte, zum reformierten calvinistischen Glauben übergetreten, während seine Frau Anna von Preußen und Jülich-Cleve-Berg (1576–1625) und ein Teil der Geistlichkeit am Luthertum festhielten, das seit 1525 in Preußen und seit 1539 auch in Brandenburg Staatsreligion war. Die herrschsüchtige Anna war die älteste Tochter des schwachsinnigen Hohenzollern-Herzogs Albrecht Friedrich, der dem von seinem Vater Albrecht I. begründeten Herzogtum fünfzig Jahre lang (1568–1618) vorstand und selbst in offiziellen Dokumenten »unser gnädiger blöder Herr« heißt.

      Die Berliner waren offensichtlich nicht so leicht von ihrem neugewonnenen lutherischen Glauben abzubringen. Im März und April 1615 kam es in ganz Cölln zwischen dem Schloss und der Petrikirche zur gewaltsamen Konfrontation zwischen den Lutheranern und den Calvinisten. Der Diakon Stüler hielt eine anticalvinistische und damit gegen den Landesherrn gerichtete Predigt und floh anschließend vorsichtshalber. Am traditionellen blauen Montag, auf dessen Einhaltung die Berliner Handwerksgesellen hartnäckig bestanden, versammelten sie sich zusammen mit etlichen Landsknechten vor der Petrikirche und zogen am Abend bewaffnet in die Brüderstraße. Die ersten Schüsse fielen, und die Glocken läuteten Sturm. Vor dem Schloss wurde der Statthalter des Kurfürsten, der Markgraf von Brandenburg-Jägerndorf, als Hurensohn beschimpft und bei Handgreiflichkeiten verletzt.

      Am nächsten Tag waren die Rädelsführer geflohen. Nach langen Verhandlungen akzeptierten die Parteien das vom Leipziger Schöppenstuhl abgesegnete Urteil, das einen Kompromiss darstellte. Den Cöllnern und Berlinern blieb die Religionsfreiheit erhalten.

       Der zersprungene Pulverturm

      Einen breiten Raum nimmt in Jakob Schmidts Sammlungen Berlinischer Merck- und Denckwürdigkeiten der zersprungene Pulverturm ein, eine Katastrophe von beachtlichen Ausmaßen. Berlin war zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine Garnisonstadt mit über 4000 Mann Militär. Obwohl nach dem Dreißigjährigen Krieg ausgedehnte Stadtbefestigungen um Berlin, Cölln und den Friedrichswerder herum errichtet worden waren, deren Spuren sich noch heute im Berliner Stadtbild finden, standen noch immer Teile der ältesten Befestigungsanlagen von Cölln und Berlin. So wurden die beiden Türme der nördlichen Stadtmauer aus dem 13. Jahrhundert in der Burgstraße an der Spree und am Spandauer Tor als Pulvertürme genutzt.

      Im Sommer 1720 sollte nun der Pulverturm beim alten Spandauer Tor abgebrochen werden, nachdem der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. 1717–19 die neuen königlichen Pulvermühlen und das Pulvermagazin nach Moabit an die Spree vor dem Unterbaum hatte verlegen lassen – auf das Areal des späteren Lehrter Bahnhofs. Zwei Dutzend Artilleristen räumten den Turm aus; der Explosionsgefahr wegen trugen sie nur Filzsocken und durften nicht rauchen.

      Ein zeitgenössischer Stich, der auch die Post, die in dem fatalen Moment vorbeifuhr, und den blessierten Wallschmied abbildet, dessen Haus getroffen wurde, vermittelt zusammen mit der ausführlichen Bildlegende einen treffenden Eindruck von dem schrecklichen Vorgang. Es handelt sich dabei um den wahrhaften Bericht über die Explosion, der sich wie folgt liest:

       Prospect desjenigen Theils der Stadt Berlin, ohnweit dem Spandauer Thor, wie selbiger bei dem erbärmlichen Unglück, so daselbst am 12. August 1720, zwischen 10 und 11 Uhr vormittags durch Zerspringung eines Pulverthurms passiret, anzusehen war. Dieser Thurm zersprung in fünf Stücke, wovon die dick gemauerte Spitze das Kirchen Haus und Lazareth in den Grund darnieder schlug. Das eine Theil warf in dem damals von Herrn Obrist von Glasenapps Wohnung das halbe Dach und eine Ecke des Hauses nieder, das andere Theil schlug die halbe Garnison-Schule zu Boden, und machte in der Kirche eine große Öffnung. Das dritte Theil schlug des Herrn Hofraths Kühnens Hauses Obertheil und die Ruppiner Herberge nieder. Das vierte Theil traf die Hospital Ecke, auch die Heilige Geist Kirche. Der jämmerlich ertödteten Menschen waren in Summe 72 Personen, worunter 35 Soldaten Kinder, so in der Schule höchst erbärmlich zerquetschet worden ferner des Rectoris 12jähriger Sohn, so eben im unglücklichen Augenblick bei der Schule gewesen, des Küsters Kind samt ihm … Die etlichen 40 Verwundeten sind mehrentheils wieder genesen.

      Nicht einmal das Fernsehen könnte exakter sein in der Berichterstattung. Im Übrigen wurde noch 24 Stunden danach ein sechsjähriges Kind lebend unter den Trümmern hervorgezogen; einen Fremden in der Ruppinischen Herberge barg man erst nach drei Tagen unverletzt. Der König selbst, der willens gewesen war, die Soldaten im Pulverturm zu beaufsichtigen (und mit dem Stock anzutreiben), entging dem Tod nur dadurch, dass er sich auf der Wachtparade verspätet hatte. Die Vorsehung hatte in die deutsche Geschichte eingegriffen. Immerhin war der Soldatenkönig tief erschüttert, und das wollte bei dem Mann etwas heißen!

      Der Ort der Explosion befand sich etwa auf


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