Schwarzmarkt Magie. Jek Hyde

Schwarzmarkt Magie - Jek Hyde


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Darauf prunkte ihr Reiseziel: Nirgendwo. Alex dachte, wenn sie „Nordsee“ schriebe oder was auch immer, würde sie niemand mitnehmen, aber „Nirgendwo“? Wer schrieb auf ein Anhalterschild schon „Nirgendwo“? Sie hoffte jedenfalls, dass es das Interesse von irgendjemandem wecken würde, und so war es auch.

      Nachdem einige Autos an ihr vorbeigerauscht waren, hielt ein wuchtiger, weißer Wagen ohne Automarke, der das Wort „Glamour“ förmlich ausstrahlte. Die Tür ging auf und am Steuer saß eine dünne Gestalt mit spitzem Kinn, schulterlangen, lockigen Haaren und einer wuchtigen Sonnenbrille, die über die Hälfte des Gesichtes einnahm. Der Mann trug ein rosarotes Hemd, das leicht geöffnet war, und lauter Ringe und Kettchen an seinen Fingern. Die kurz geschnittenen und rund gefeilten Nägel waren golden lackiert. Auf der Rückbank lagen ein dicker, weißer Pelzmantel und ein weißer Hut mit einem ebenso rosaroten Hutband mit Leopardenflecken und einer spitzen, roten Feder. Nicht gerade die vertrauenerweckendste Gestalt, der man begegnen konnte, aber irgendetwas ging von ihr aus. Etwas Selbstsicheres. Dieser Mann stand mit seinem strahlenden Schlachtschiff einfach an der Leitplanke, hatte das Warnblinklicht eingeschaltet und die Autos fuhren um ihn herum, allerdings mit einer leichten Verärgerung.

      Unbeholfen stand Alex da. Er klopfte mit seinen gebräunten Händen – echte Bräune, nicht wie die von Mr. Knochen – auf den Beifahrersitz. „Was ist nun, Kleine? Springst du rein oder bleibst du wie eine Salzsäule stehen?“ Alex stand immer noch da, das Schild in den Händen, und schaute diese Erscheinung an. „Hey, mach schon! Ich stehe hier auf einer Straße, ich halte alles auf. Also, steigst du ein oder bleibst du stehen?“ Die Reaktion darauf würde Alex’ Leben verändern, so viel war ihr klar. Ob zum Guten oder zum Schlechten, sie würde richtungweisend sein.

      Alex stieg ein.

      Sie schloss die Tür, warf das Schild auf die Rückbank und wusste, als der Wagen sich in Bewegung setzte, dass sie wahrscheinlich den größten Fehler ihres Lebens begannen hatte. Aber was sollte es? Zur Not konnte sie ihm ins Lenkrad greifen und beide würden in einem schrecklichen Unfall sterben. So war Alex damals, zu allem entschlossen, entwurzelt, desillusioniert und achtzehn Jahre alt.

      Als sie fuhren und er die Warnblinklichter zum Schweigen gebracht hatte, fragte er: „Also, Kleine, wie heißt du? Und was verfickt noch mal wichtiger ist: Warum willst du nirgendwohin?“

      „Alex. Und eigentlich will ich zur Nordsee.“

      „So, so. Warum?“

      „Ich muss ans Meer und darüber nachdenken, wie mein Leben weitergehen soll.“

      „Hast du keine Familie?“

      „Nicht zwingend“, entgegnete Alex.

      Er brüllte los vor lachen, riss das Maul auf wie der böse Wolf, der er gern wäre. „Das ist ja irre!“ Er hielt ihr seine Hand rüber. „Ich bin Nino Goldfinger, ich bin tätig in der Erwachsenenunterhaltung“, stellte Nino sich vor. Alex schüttelte seine Hand. „Okay, Alex“, sagte er, als er seine Hand zurückzog. „Warum läufst du denn weg? Probleme in der Familie?“

      „So ähnlich“, sagte Alex, die Reisetasche mit ihrem Leben auf dem Schoß haltend.

      „Hey, wenn dein Vater was Unartiges gemacht hat, dann kann ich ein paar richtig miese Typen zu ihm schicken, die ihm mal so richtig den Arsch aufreißen.“

      Alex musste schmunzeln. Was war das für ein irrer Freak, an den sie da geraten war? Aber irgendwie erweckte er ihr Vertrauen. „Äh … Sie drehen Pornos?“

      „Jo, genau das tue ich. Im Handschuhfach liegt mein erster Film, ist ein Glücksbringer.“

      Alex griff über ihre prall gefüllte Reisetasche hinweg und öffnete mit etwas Mühe das Handschuhfach. Sie ertastete die Kassettenhülle und zog sie hervor. Es war ein rotes Bild mit drei Frauen – eine weiße in der Mitte und zwei grün angemalte mit künstlichen Antennen auf dem blonden Kopf daneben. In aufgeplusterten, gequollenen, stechend pinkfarbenen Buchstaben stand dort: „Lesbische Gladiatorinnen vom Mars; eine Goldfinger Produktion.“ Alex schaute sich die Rückseite an, auf der stand: „Die Astronautin Erika landet nach jahrelanger, unbefriedigender Reise auf dem Mars, wo sie auf die geilen, lesbischen Gladiatoren trifft. Neunzig Minuten.“

      „Eh, du hast doch sicher schon mal einen Porno gesehen, oder? Weißt du, was mich stört?“

      „Äh … nein. Was denn?“

      „Dass es größtenteils billige Clips sind. Das ist eine Kunstform, Baby, und ich werde ihr aus diesem Urschleim an Billigclips heraushelfen! Ich werde sie hoch hinaufhieven, zu den abendfüllenden Programmen! Es wird in Berlin so eine Art Oscar-Nacht für Pornos geben, wo der Goldene Ständer verliehen wird. Das ist mein Traum, Alex. Hast du auch einen Traum?“

      „Ich weiß nicht.“ Alex legte die Kassette zurück und schloss behutsam das Schubfach. „Ich muss darüber nachdenken, wie mein Leben weitergehen soll.“

      „Ach so … Ich hatte vorhin nicht verstanden, warum du weggelaufen bist.“

      Alex konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie diesem auf verdrehte Art liebenswerten Freak vertrauen konnte. Sie war ohnehin schon so weit gegangen, also los: „Ich, äh … bin ein … Zwitter“, murmelte sie.

      „Du bist ein echter Intersexueller?“, fragte Nino.

      „Äh … ja“, gab Alex etwas beschämt zu.

      „Darum bist du weggelaufen?“

      „Na ja, ich …“ Sie dachte nach. „Intersexueller?“ Das Wort hatte sie noch nie gehört.

      „Klar, das bedeutet Zwitter. Oder Hermaphrodit. Warum bist du deswegen weggelaufen? Es gibt in Deutschland eine ganze Menge vom dritten Geschlecht.“

      „Ja, äh …“ Alex fasste Mut und ging aufs Ganze: „Meine Eltern wollten einen Jungen, also haben sie meine … du weißt schon … wegmachen lassen.“

      „Das ist übel“, meinte Nino. „Wie geht’s dir?“

      „Ganz gut. Die haben es schon vor langer Zeit weggemacht, als ich noch ein Baby war. Ich wusste nicht, dass ich ein Herm… äh?“

      „Hermaphrodit“, half Nino.

      „Ja, Hermaphrodit bin. Hab es erst vor Kurzem erfahren. Ich mag das Meer, dachte, ich gehe hin und denke nach, wie ich weitermache.“

      „Hm …“ Nino überlegte. „Egal, wie du dich entscheidest, du wirst Geld brauchen. Was hältst du davon, bei einem meiner Pornos mitzuspielen?“

      „Was?!“

      „Keine Angst, Alex. Ich habe schon eine Idee und suche nach Hermaphroditen, die mitmachen wollen. Es soll um ein Mädchen gehen, das sich wünscht, von seiner besten Freundin gefickt zu werden. Und der Wunsch geht eben in Erfüllung. Du könntest die beste Freundin spielen. Ich habe schon die Dialoge und das Drehbuch fertig.“

      „Ein Drehbuch für … einen Porno?“

      „Jo, ich sage doch, ich will aus den Clips abendfüllende, ernst zu nehmende Filme machen. Du könntest auch bei Lesbische Gladiatorinnen vom Mars 2: Jetzt wird es doppelt so geil mitspielen.“

      Als Alex in diesem Moment darüber nachdachte, während sie auf dem Parkplatz nahe des grauen, groben Gebäudes in eine Parklücke fuhr, musste sie wegen dieses verrückten Typen, der in seiner eigenen Welt lebte, den Kopf schütteln. In einer Welt, in der man die Geschichte nicht wegspulte. „Was für ein Träumer“, sagte sie, aber sie musste zugeben, dass sie diesem Träumer einiges verdankte, den Ford Escort EXP zum Beispiel, in dem sie gerade saß und dessen Motor sie abstellte.

      Alex schwang ihre Beine heraus, schlug die Tür hinter sich zu und schloss ab. Sie ging um den alten, grauen Kasten von einem Gebäude herum zu dem kleinen Eingang, durchquerte einen Raum mit wuselnden Leuten, Stühlen und Möchtegern-Pornostars, die gleich das Trauma ihres Lebens erleben würden, durchschritt einige weitere Räume und betrat schließlich einen großen Raum, der zur Hälfte aus einem blendend hellen Weiß bestand. Er


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