Estrichgeschichte. Walter Böhl

Estrichgeschichte - Walter Böhl


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gebrannt (Hochbrandgips) und mit Halbhydrat gemischt. In den 50er- und 60er-Jahren gab es einige Gipswerke, die Estrichgips durch Brennen produzierten. Es waren sicher unter anderem folgende Gipswerke: Gebrüder Knauf, Perllit und Glättperllit als Gehschicht. Walkenrieder Gipsestrichfabrik, Albrecht Meier & Co. (Harz). Anmerkung: Diese Gipswerke konnten vom Autor während seiner Manuskripterstellung leider nicht weiter überprüft werden.

      Im Gipswerk Entringen wurde bis 1979 noch DIARA-Estrich-Gips hergestellt.

      Werbung für DIARA-Estrich-Gips im Jahre 1965. Produziert wurde im Gipswerk Entringen bis 1979.

       2.6 Verlegung von Gipsestrich in den 30er- bis 60er-Jahren

      Nachstehende Beschreibung ist auszugsweise einer Arbeit des Instituts für Bauforschung e. V. Hannover entnommen („Der Fußboden“, bearbeitet von Gerhard Braun, Bauverlag GmbH, Wiesbaden, 1960). [13] Dieses Werk ist eine umfassende Zusammenstellung der damaligen Fußbodentechnik.

       Im allgemeinen wird auf die vorhandene Bodenkonstruktion zunächst eine Lage Sand in 2 bis 3 cm Dicke aufgebracht. Zweckmäßigerweise ist der Sand anzufeuchten, um zu verhindern, dass allzu trockener Sand dem Estrichgips das Wasser zu schnell entzieht. Bei Deckenkonstruktionen, bei denen ein Abrieseln des Sandes zu erwarten ist, z. B. Holzkonstruktionen, muss eine gut überlappende Pappe ausgelegt werden.

      Die nachfolgenden Abbildungen stammen ebenfalls aus diesem Buch.

      Das Mischen des Gipsestrichs erfolgte meist direkt an der Einbaustelle durch Durchschaufeln (Bild aus „Der Fußboden“, bearbeitet von Gerhard Braun, 1960).

      Abziehen des Gipsestrichs auf einer Sandschicht (Bild aus „Der Fußboden“, bearbeitet von Gerhard Braun, 1960).

      Verdichten des Gipsestrichs (Bild aus „Der Fußboden“, bearbeitet von Gerhard Braun, 1960).

      Anfeuchten der Unterschicht (Bild aus „Der Fußboden“, bearbeitet von Gerhard Braun, 1960).

      Zweischichtiger Gipsestrich (Bild aus „Der Fußboden“, bearbeitet von Gerhard Braun, 1960).

      Aufbringen und glätten der Gehschicht (Bild aus „Der Fußboden“, bearbeitet von Gerhard Braun, 1960).

      Um eine wohnfertige Oberfläche zu erhalten, wurde eine zweite Schicht, eine sogenannte Gehschicht, von 5 bis 10 mm Dicke aufgebracht, die häufig mit Eisenoxidpigmenten eingefärbt wurde. Diese Schicht wurde meist frei Hand ohne die Verwendung von Lehren aufgetragen. Nach kurzem Ansteifen wird die Fläche geglättet. Nach der Trocknung wurden direkt begehbare Gipsestriche mit Leinölfirnis getränkt und danach gewachst.

       2.7 Steinbrückboden

      Eine Variante der Gipsestrichverlegung stellte der „Steinbrückboden“ dar, der in den 30er-Jahren patentiert wurde. Dabei wurden in den feuchten Sand kasettenartig Rillen eingedrückt. Dadurch entstanden beim darauf verlegten Estrich Verstärkungsrippen, die einerseits die Bruchsicherheit des Estrichs erhöhen und andererseits die Sandbettung einfassen sollten, um ein Verrieseln zu verhindern.

      „Steinbrückboden“ – Rippensystem (Systemskizze) (Bild aus „Der Fußboden“, bearbeitet von Gerhard Braun, 1960).

       2.8 Gipsestrich, Anhydritestrich

      Gipsestrich aus gebranntem Gips und Hochbrandgips, gemischt mit Halbhydrat, gab es noch vereinzelt bis in die 70er-Jahre (z. B. DIARA von den Stuttgarter Gipswerken bis 1979). Estrichgips, der durch das Brennen sein Wasser verloren hat, ist eigentlich nichts anderes als natürlicher Anhydrit. Sulfatisch angeregter Anhydritbinder (Leukolith) wurde bereits ab 1922 in der Umgebung von Berlin als Baustoff eingesetzt. [14]

      Mit natürlichem Anhydrit als Estrichbindemittel konnte man Anfang der 50er-Jahre noch nicht richtig umgehen. [15] In der ehemaligen DDR schreibt Eichler 1952 in der „Schriftenreihe des VEB Verlags Technik Band 68“ nur ganz kurz:

       Soll Anhydrit verlegt werden, so gelten die gleichen Ausführungsregeln wie für Gipsestrich. Empfohlen wird jedoch eine Gesamtstärke nicht unter 50 mm. Die Erfahrungen, die der Verfasser mit basisch und sulfatisch angeregten Anhydrit-Estrichen bei zahlreichen Versuchen gemacht hat, berechtigen leider nicht dazu, diese Ausführung zu empfehlen.

      Das muss sich in der ehemaligen DDR schnell und radikal verändert haben. Schon 1955 beschreibt Eichler die Anhydritbinder Rowid und Pyramid als zwar mit eher nachteiligen Eigenschaften behaftet, aber durchaus brauchbar. Der damals neu entwickelte, kombiniert angeregte Leunit von den Leunawerken wird aber sehr gelobt:

       Der neue Leunafußboden ist in letzter Zeit immer mehr verbessert worden. Seine Unterschicht kann stark mit Sägespänen und Hobelspänen versetzt werden. Auch als schwimmender Estrich ist der Leunaboden mit Erfolg eingesetzt worden.

      Fortan entwickelte sich Anhydritestrich in der ehemaligen DDR zum dominierenden Estrichmaterial.

      In der Bundesrepublik wurde für schwimmende Estriche ab 1958 synthetischer Anhydrit als Sekundärprodukt der Flusssäureherstellung verwendet. Anbieter sind die Farbenwerke Bayer AG, Leverkusen. Die Firma Bayer richtete dazu den Geschäftsbereich Anhydit-Bayer ein, der 2004 zu Lanxess wurde. Ein weiterer Anbieter zum Beginn der Entwicklung ist die Firma Reimers. Synthetischer Anhydrit bewährte sich für Estriche von Anfang an.

      Natürlicher Anhydrit kam in der Bundesrepublik bis in die 80er-Jahre als Estrichbindemittel kaum zum Einsatz. Die Firmenchronik der Firma Knauf [17] berichtet, dass Karl Knauf und Bruno Wandser schon Anfang der 50er-Jahre an einen Anhydrit-Sand-Estrich dachten. Von 1957 an wurde von Knauf auch ein Anhydritestrich aus Naturanhydrit, der in Hüttenheim unter Tage abgebaut wurde, unter dem Namen ISOVAG vertrieben. Dieser erlangte aber nur regionale Bedeutung. Der Martktanteil des Anhydritestrichs aus Naturanhydrit blieb in der Bundesrepublik eher sehr gering. Der Durchbruch kam erst mit dem Fließestrich Mitte der 80er-Jahre und vor allem nachdem nach der Wiedervereinigung die Erfahrungen der ehemaligen DDR einflossen.

      Werbung für synthetischen Anhydrit von Bayer 1965. Manche der Werbeaussagen sollte man heute besser nicht ganz so wörtlich nehmen. (Bild: aus Schütze, „Der schwimmende Estrich“, Bauverlag, 1965)

       2.9 Anreger

      Der wesentlichste Fortschritt ist der Einsatz von Anregern. Ohne dieses Hilfsmittel wäre die bautechnische Anwendung nicht denkbar. Man errinnere sich an die beschriebene Verarbeitung von Hochbrandgips, der mehrere Tage bis zur Erhärtung brauchte, zwischenzeitlich trocknete und Risse bekam, die durch Stampfen oder Schlagen wieder geschlossen werden mussten.

      Als Anreger dienen Sulfate der Alkali- und Schwermetalle, Hydrogensulfate, Weißkalkhydrat, CEM I, CEM III und Hüttensand. [18]

      Da der Abbindechemismus über das Löslichkeitsprodukt läuft, wird die Lage des Gleichgewichts durch


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