Von Hühnern und Menschen. Tatjana Adams
als der Mensch, der dieses Tier „erlösen“ sollte, auf den Hof kam, hatte ich das Gefühl, dass das nicht richtig ist.
Aber nun gab es irgendwie kein Zurück mehr.
Der Hase und die Hühner
Einige Tage später sprach ich mit meinem Huhn, Ludmilla.
Aus einer Eingebung heraus fragte ich sie, wie sie den Vorfall mit dem Hasen erlebt hatte. Ihre Antwort war: „Das mit dem Hasen war so ´ne Sache. Es war nicht richtig, ihn totzuschlagen. Er hätte noch Zeit gebraucht, sich zu lösen.“
Ich konnte das Leiden nicht mehr ertragen!
„Ihr seht das falsch. Es gehört zu unserem Leben dazu. Das ist der Lauf der Dinge. Jeder bekommt, was er verdient.“
Aber so ein Leiden hat doch keiner verdient.
„Nein - das Leiden nicht. Aber er brauchte das für seine Persönlichkeitsentwicklung. Davon hast du ihm jetzt ein Stück genommen. Aber du hast es in bestem Wissen und Gewissen getan, deshalb war es in Ordnung.“
Es fällt mir schwer, das mit dem Leiden so zu akzeptieren.
„Das darfst du so nicht sehen. Mitleid ist nie gut, nie produktiv.“
Ich muss zugeben, dass mich das sehr beeindruckt hat. Neugierig geworden fragte ich ein weiteres meiner Hühner, Paula.
Ihre Antwort auf die gleiche Frage:
„Ich sehe das ähnlich wie Ludmilla. Wobei sie etwas zu hart zu dir war, finde ich.
Du konntest es einfach nicht aushalten und das ist auch okay.
Ist ja auch schwer zu ertragen, wenn man wie ihr als Menschen meint, überall mitreden zu müssen.
Wir kümmern uns nur um uns selbst.
Dann kommen wir nicht in solche Situationen.“
Paulas Tod
Paula ging es seit einiger Zeit schlecht.
Bessere Zeiten wechselten sich mit schlechteren ab.
Aber eines Tages war klar, dass es nun zu Ende geht.
Sie hat ihren Tod mit einer solchen Würde getragen, dass es mich noch heute sprachlos macht.
Das Einzige, was sie sich von mir gewünscht hat war, dass ich sie in ihr Nest setze.
Sie wollte gerne dort sterben und war selbst schon zu schwach, um dort hinaufzukommen.
Ihr Tod dauerte mehrere Tage, und sie durchlebte verschiedene Phasen. Sie hatte Schmerzen und sie hatte Angst. Allerdings hatte sie keine Angst vor dem Tod an sich. Es ging dabei mehr um den Prozess des Sterbens und das Loslassen des Lebens. Aber sie hat das alles souverän bewältigt und ist letztendlich ganz friedlich in ihrem Nest eingeschlafen.
Für mich war es eine harte Lektion.
Der erste Impuls war natürlich, ihr zu helfen, sie umzubringen.
Aber wem helfe ich damit wirklich? Mir oder ihr? Diese Frage musste ich mir nach dem Hasen-Erlebnis ja nun stellen.
Paula war bis zum letzten Atemzug geduldig mit mir und ausgesprochen liebenswürdig.
Ich habe sie natürlich persönlich gefragt, was SIE möchte.
Ihre Antwort:
„Ich will jetzt sterben. So macht es keinen Spaß mehr.
Unterstützen (meine Versuche, sie zu heilen) hilft jetzt nicht mehr. Ich bin schon auf dem Weg.
Es war gut, in Ruhe Abschied nehmen zu können.
Ich weiß, dass du mich sehr geschätzt hast und traurig sein wirst. Aber das brauchst du nicht! Ich lebe weiter - in dir. Du wirst mich nicht vergessen und das ist viel wert.
Du brauchst mir nichts Nettes mehr zu sagen. Ich sehe direkt in dein Herz.
Ich möchte keine Hilfe beim Sterben. Ich schaffe das alleine. Sonst melde ich mich.
Es macht dir Angst, ich weiß. Das macht es mir nicht leichter, das weißt du auch.
Aber es ist nur menschlich. Ihr habt den Tod aus eurem Leben ausgeklammert. Aber er gehört dazu. Fürchte ihn nicht.
Du wirst lernen, damit umzugehen.
Lass mir meine Ruhe und gib mir Zeit. Dränge mich nicht.
Halte es aus.“
Kurze Zeit später war sie tot.
Alle Hühner, die im Anschluss die Gelegenheit hatten, sich dazu zu äußern, haben ihren Tod als sehr friedlich und gut empfunden.
Von uns allen begleitet und getragen.
Sie alle haben gesagt, dass sie sich den Tod ebenso wünschen würden, wenn sie es sich aussuchen könnten.
Henriettes Tod
Ungefähr zwei Wochen später starb Henriette. Es kam völlig überraschend und ging sehr schnell.
Ihr ging es körperlich sehr viel schlechter als Paula und mein erster Impuls als ich sie fand war - wegrennen, Hilfe holen, sie erlösen.
Das habe ich nicht getan.
Ich bin bei ihr geblieben, habe mit ihr gesprochen und sie bis zum letzten Atemzug begleitet.
So war es ihr Wunsch.
Sie war außerordentlich tapfer und sehr stark.
Was mich an ihrem Tod am meisten berührt hat ist, dass sie in all ihrem Leid noch die Kraft und das Bedürfnis hatte, mir etwas mit auf den Weg zu geben.
Sie hat mir wirklich geholfen, das beim Hasen bereits aufgetretene Thema „Leiden“ mit anderen Augen zu sehen.
Sie war zu keinem Zeitpunkt verzweifelt oder desolat. Im Gegenteil! Tiere fügen sich auf eine Art und Weise ohne zu klagen in ihr Schicksal, die den meisten von uns völlig fremd ist.
So weit sind wir wohl noch nicht.
Die Tiere haben allerdings auch einen großen Vorteil. Sie wissen, wohin sie nach ihrem Tod gehen, wissen, was kommt.
Und sie wissen, dass es gut ist.
Paula sprach davon, nach Hause zu kommen. Henriette davon, von ihren irdischen Qualen erlöst zu werden.
Das heißt aber nicht, dass es ihnen leicht fällt, das irdische Dasein loszulassen.
Beiden war es zwar wichtig, diesen Weg selbstständig bis zum Ende gehen zu dürfen, sie wollten dabei aber gerne begleitet sein, indem jemand einfach bei ihnen war.
Und ich kann sagen, es fühlte sich richtig und gut und friedlich an und ich bin dankbar, dass sie mich daran haben teilhaben lassen.
Fortuna
Nachdem nun zwei unserer Hühner gestorben waren, beschlossen wir, uns neue dazuzukaufen.
Meine Eltern waren gerade zu Besuch und machten sie uns zum Geschenk.
Als Dank durften sie jeder einem Huhn einen Namen geben.
Meine Mutter suchte sich also eines aus und nannte es Fortuna.
Ich fand diesen Namen für ein Huhn etwas dick aufgetragen, aber sie durfte ihr Huhn ja so nennen wie sie wollte.
Also hieß sie nun Fortuna. Gut.
Das Huhn meines