Wahre Römer. Stephan Berry

Wahre Römer - Stephan Berry


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an den Euphrat

       Zenobia: Fürs eigene Kind nur das Allerbeste

       Spätantike (4.–6. Jh. n. Chr.)

       Flavius Abinnaeus: Nicht die erste Wahl

       Egeria: Wie war doch gleich der Name?

       Aspar: Barbarische Machtkämpfe

       Artabanes: Der armenische 007

       Epilog: Die Sache mit der Identität

       Literatur

       Quellen

       Moderne Literatur

       Bildnachweis

       „Wir befinden uns im Jahr 50 v. Chr. Ganz Gallien ist von den Römern besetzt … Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten …“

      Von diesem Lichtblick einmal abgesehen, sieht es aber ansonsten ziemlich finster aus: Nicht nur (fast) ganz Gallien ist von den Römern besetzt, sondern auch große Teile der antiken Welt darum herum. Das Mittelmeer ist längst zu einer Art römischem Binnenmeer geworden und heißt dementsprechend bei den Römern mare nostrum – „unser Meer“.

      Offensichtlich haben es die Römer im Verlauf einiger Jahrhunderte geschafft, sich ausgehend von ihrer Heimatstadt über ein derart großes Gebiet auszubreiten. Aber wie war das möglich? Auf der Suche nach einer Antwort müssen wir einen Blick darauf werfen, wer diese Römer überhaupt waren.

      Iulius Caesar z. B., der Eroberer Galliens, war unzweifelhaft ein wahrer Römer. Ebenso Cato der Jüngere – zwar eine Nervensäge, die schon den Zeitgenossen mit moralinsauren Phrasen von altrömischer Zucht und Tugend auf den Geist ging –, aber gerade deswegen ohne Frage ebenfalls ein wahrer Römer. Und erst Cicero: Seine Bewunderer halten ihn für einen der größten, wenn nicht den größten Römer aller Zeiten (eine Einschätzung, die Cicero ohne Weiteres geteilt hätte).

      Selbst eine eher schräge Gestalt wie Nero ist gewisslich ein wahrer Römer. Die Nachwelt hat ihm so ziemlich alles abgesprochen: die Befähigung zum Regieren, die geistige Gesundheit, jegliches Moralempfinden sowieso, und sogar – was ihn am meisten getroffen hätte – das musikalische Talent. Nicht jedoch sein Römertum, im Gegenteil: Nero ist ja geradezu die Verkörperung all der Klischees von Dekadenz, Wahnsinn und Grausamkeit, die ein durch Hollywood geschultes Publikum heute mit dem Begriff Rom zu verbinden beliebt.

      Wer aber waren die wahren Römer denn nun wirklich? Haben sich tatsächlich die Einwohner einer einzelnen Stadt, angetrieben von unersättlicher Gier und Kriegslust, über drei Kontinente ausgebreitet, um schließlich als dünne Oberschicht von Herrenmenschen über ein Millionenheer unterworfener Sklaven zu gebieten? So populär und auf den ersten Blick plausibel diese Kurzfassung der römischen Geschichte auch sein mag, hat sich das alles in Wirklichkeit ein wenig anders abgespielt.

      Zugegeben, die Römer waren kriegerisch und expansionistisch, aber das war damals so ziemlich jedes Volk und jeder Staat: Gerade auch Menschen wie die Gallier, die man heute bevorzugt als Opfer der römischen Aggression wahrnimmt, oder ebenso die Athener, obwohl sie heutzutage vor allem als Dichter und Denker gelten – die Erfinder der Demokratie! –, während die imperialistische Außenpolitik Athens in Vergessenheit geraten ist, sie alle waren ebenfalls auf Zugewinn von Macht aus. Wir alle „wissen“, dass Athen in den Schlachten von Marathon und Salamis die „Freiheit Europas“ gegen den orientalischen Despotismus der Perser verteidigt hat. Dass zuvor die Athener gegen Persien den Krieg eröffnet hatten – nicht etwa umgekehrt –, weil der Gedanke an den riesigen Goldschatz der persischen Könige einfach zu verlockend war, ist nicht in die Mastererzählung des abendländischen Bewusstseins eingegangen.

      Die Besonderheit Roms in dieser Welt von kriegslüsternen Staaten war seine grundsätzliche Offenheit gegenüber Fremden, und das führt uns geradewegs zurück zur Frage nach den wahren Römern: Rom hatte die Fähigkeit und die Bereitschaft, aus besiegten Gegnern zuerst Verbündete und am Ende Bürger des eigenen Staates zu machen. Ein wahrer Römer war im Prinzip jemand, der das römische Bürgerrecht hatte – Punkt. Zusätzlich konnte auch römische Bildung (humanitas) nicht schaden, aber eine spezielle „römische Rasse“, „römisches Blut“ oder eine „rein römische Abstammung“ spielten keine Rolle. Grieche war man entweder von Geburt an oder man war es nicht – Römer konnte man werden, indem man Bürgerrecht und humanitas erwarb. Dieses neuartige Konzept von Staatsbürgerschaft, das nicht mehr an ethnische Herkunft, Sprache oder Wohnort gebunden war, war eines der Geheimnisse des römischen Erfolgs. Das andere bestand darin, dass man ein Römer sein konnte, ohne es ausschließlich sein zu müssen.

      In der Forschung herrschte zwar lange die Vorstellung, dass „Romanisierung“ die Ausbreitung einer mehr oder weniger einheitlichen Zivilisation bedeutete, die von den Provinzbewohnern passiv übernommen wurde – oder ihnen sogar einfach übergestülpt wurde. Das aktuelle Bild dieses kulturellen Diffusionsprozesses ist jedoch wesentlich facettenreicher, und spannender ist es obendrein. Die Völker des Imperiums hatten einen wesentlich aktiveren Part, als man früher dachte: Sie haben sich die römische Kultur selbst angeeignet, und dabei obendrein für ihre eigenen Bedürfnisse angepasst und weiterentwickelt. So gab es streng genommen in der römischen Kaiserzeit nicht die eine römische Kultur, sondern ein ganzes Bündel von verwandten provinzialrömischen Kulturen. Sie hatten erkennbar eine gemeinsame Wurzel, aber auch deutlich individuelle Züge, in denen vorrömische Traditionen in vielfältiger Weise fortlebten (Abb. 1).

      Abb. 1: Gallo-römischer Umgangstempel (Rekonstruktion auf dem Martberg/​Eifel). Die Versatzstücke der Architektur wie Säulen und Ziegeldächer sind römisch. Solche Tempel entstanden im gallischen Raum erst unter römischem Einfluss. Die Anlage des Baus jedoch, eine zentrale Cella mit einem umlaufenden Gang für Prozessionen, ist eine gallische Neuschöpfung, die den Bedürfnissen der hergebrachten, vorrömischen Kultpraxis dient.

      Damit taucht auch die Frage nach möglichen Analogien zu unserer eigenen Zeit auf, denn das multiethnische Imperium Romanum war mit Herausforderungen konfrontiert, um die auch aktuelle Debatten kreisen – siehe die Stichworte Integration, Multi-Kulti, Identität und Toleranz. Auf die Frage der Aktualität, der möglichen „Message“ für uns heute, werden wir am Schluss des Buches kurz zurückkommen.

      Am Ende des römischen Integrationsprozesses steht dann beispielsweise jemand wie Pontius Pilatus: Im Verfahren gegen Jesus von Nazareth verkörpert er die römische Staatsmacht, aber er selbst hat samnitische Wurzeln. Und die Samniten waren jahrhundertelang Erzfeind und gefährlichster Gegner Roms auf der italischen Halbinsel – der Feldherr Gavius Pontius, der den Römern die berühmte Niederlage bei den Caudinischen Pässen im Jahr 321 v. Chr. bereitete (das besiegte Heer wurde „unter das Joch“ geschickt), gehört vielleicht zu den Ahnen des Pilatus.

      Keltische Wurzeln hat hingegen höchstwahrscheinlich ein anderer bekannter Römer, der kaiserzeitliche Historiker Cornelius Tacitus. Und im Osten des Imperium Romanum war das antike Multi-Kulti noch ausgeprägter, denn als die Römer dorthin kamen, fanden sie bereits einen Mix aus griechischen und vorgriechischen Kulturen vor. Domitius Ulpianus, einer der wichtigsten römischen Juristen überhaupt, ist


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