Wahre Römer. Stephan Berry

Wahre Römer - Stephan Berry


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von Kaiser Justinian veranlasst wurde, nehmen Passagen von ihm eine zentrale Stellung ein. Zu Ulpianus’ Zeiten, drei Jahrhunderte zuvor, erhielt seine Heimatstadt Tyros überhaupt erst den begehrten Status einer römischen colonia. Die Stadt und ihre Einwohner betrachteten sich zu diesem Zeitpunkt als „griechisch“, aber ursprünglich war Tyros eine phönizische Gründung.

      Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um auf die folgenden Kurzporträts einzustimmen. Denn der kulturellen Vielfalt im Imperium Romanum werden wir uns nicht abstrakt nähern, durch theoretische und tief schürfende Überlegungen zum Wesen einer globalisierten und multikulturellen Gesellschaft, sondern durch einen Blick auf konkrete Menschen. Ausgewählt wurden gerade diese Frauen und Männer, weil sie uns einen ganzen Reigen verschiedener Lebenswelten in sozialer, kultureller, ethnischer und religiöser Hinsicht vor Augen führen. Dabei bilden die ersten Jahrhunderte der Kaiserzeit einen Schwerpunkt, denn in dieser Zeit war die Integration der Mittelmeerwelt und Westeuropas am stärksten ausgeprägt. Nie zuvor hatte es derart intensive wirtschaftliche und kulturelle Verknüpfungen in einem Raum vom Atlantik bis zum Schwarzen Meer, von Britannien bis Ägypten, gegeben, wie unter dem Schutzschirm der Pax Romana. Zivile und militärische Karrieren verpflanzten Menschen von einer Ecke des Imperiums in die andere, aber auch private Reisen sorgten dafür, dass man in der Welt herumkam: Sportliche und kulturelle Events zogen wie heute die Massen an, man besuchte Heiligtümer und Orakel. Vor allem die Genesung versprechenden Asklepios-Heiligtümer hatten einen ähnlichen Zulauf wie Lourdes heute, aber auch rein touristische Neugier war den Menschen nicht fremd – die Wunder Ägyptens waren damals schon ein Muss für kulturbeflissene Reisende. Die Reisefreude der wahren Römer wird auch an Beispielen aus diesem Buch deutlich werden.

      Die meisten der hier Vorgestellten sind zudem Personen, die bei weltgeschichtlichen Ereignissen eher in der zweiten Reihe gestanden haben, oder sogar in der dritten und vierten. Die ganz Großen der Historie wie Caesar oder Cicero, deren Lebensumstände wahrlich schon mehr als einmal erzählt wurden, bleiben außen vor. Selbst für diese ganz Großen könnte man übrigens oft keine komplette Biografie im modernen Sinn schreiben, von Tacitus beispielsweise kennen wir das Geburtsdatum gar nicht und den Vornamen nicht sicher – wahrscheinlich Publius, aber auch Gaius kann nicht ausgeschlossen werden. Deshalb ist in diesem Buch mit gutem Grund nur von Kurzporträts die Rede, von Schlaglichtern, die auf die antiken Lebensverhältnisse fallen.

      So wird die Annäherung an unsere wahren Römer eine archäologische und historische Spurensuche sein, bei der auch epigraphische und papyrologische Belege eine Rolle spielen: Texte und Textfragmente auf Stein, Bronze, Papyrus und dergleichen mehr. Es ist spannend, einmal dieses reichhaltige, aber meist verstreut dargebotene Material unter einer gemeinsamen Perspektive vorzustellen: Wer sich mit römischer Wirtschaft beschäftigt, stößt früher oder später auf Eurysaces; Liebhaber der Rechtsgeschichte kennen Babatha und ihr Archiv; und im Zusammenhang mit spätrömischer Militärgeschichte begegnet einem unweigerlich Abinnaeus, ebenfalls mit seinem Archiv (der übrigens vielleicht nicht glücklich wäre über das Bild, das er so der Nachwelt hinterließ). Es wird Zeit, diese drei und noch andere einmal gemeinsam auftreten zu lassen.

      Karte I: Die Römische Welt

Frühe und Mittlere Republik (ca. 500 – 133 v. Chr.)

      Die römischen Kaiser wurden schon in der Antike in „gute“ und „schlechte“ eingeteilt, und dieses starre Schema hält sich bis heute – was verwunderlich ist, wenn man bedenkt, wie sehr sich die moralischen und politischen Maßstäbe seit damals geändert haben. Zu den wenigen Kaisern, die das Privileg einer differenzierteren Bewertung genießen, gehört Tiberius (14 – 37 n. Chr.): Nicht eindeutig gut oder schlecht, sondern eher schwierig, kompliziert, undurchschaubar oder, wie der Historiker Zvi Yavetz in seiner Tiberiusbiografie hervorhebt, traurig. Die Moderne hat für den komplexen Charakter dieses Kaisers eine einfache Erklärung: Sie liegt vermeintlich in seiner schwierigen Kindheit und Jugend in der kaiserlichen Patchwork-Familie, verbunden mit den daraus resultierenden frühkindlichen Traumata etc. Die Erklärung der Alten ist noch simpler: Er war eben ein typischer Claudier.

      Der kaiserzeitliche Historiker Suetonius beginnt deshalb auch seine Tiberius-Biografie mit einer Parade verschiedener Claudii, welche den zwiespältigen Charakter der Familie belegen sollen:

       „Viele Claudier erwarben sich hervorragende Verdienste um den Staat, viele vergingen sich aber auch gegen seine Interessen.“

      (Sueton, Tiberius 2.1; Übers. A. Lambert).

      Unter den berühmten Vorfahren des Tiberius findet sich z. B. Appius Claudius Caecus, der Erbauer der ersten großen Wasserleitung wie auch der Via Appia. Dazu gehört auch Claudius Caudex, der im Ersten Punischen Krieg die Karthager aus Sizilien vertrieb, und ebenso Claudius Nero, der im Zweiten Punischen Krieg Hannibals Bruder Hasdrubal besiegte. Aber Suetonius zählt auch Negativbeispiele auf, die den Hochmut der Claudier zeigen sollen:

      „Claudius Drusus ließ sich eine mit dem Königsdiadem geschmückte Statue in Forum Appii errichten und wollte sich mithilfe seiner Klienten zum Herrn von Italien machen. Claudius Pulcher ließ in Sizilien, als bei der Vogelschau die Hühner nicht fressen wollten, diese ohne jede religiöse Scheu ins Meer werfen, gleichsam damit sie tränken, wenn sie nicht fressen wollten, und begann so die Seeschlacht; nach seiner Niederlage bekam er vom Senat den Auftrag, einen Diktator zu ernennen, und wie um sich über seinen Mißerfolg lustig zu machen, ernannte er seinen Amtsdiener Glykias.“ (Sueton, Tiberius 2.2).

      Tatsächlich wird dieses patrizische Geschlecht, die gens Claudia, in den Quellen immer wieder als hochmütig und verbohrt beschrieben, zudem als eine Familie patrizischer Hardliner, in permanenter Opposition zur Masse des Volkes, den Plebejern. Der Baseler Althistoriker Jürgen von Ungern-Sternberg schlägt als Erklärung vor, „daß es vor allem erzählerische Absichten waren, die die Galerie claudischen Hochmuts geschaffen haben“ (VON UNGERN-STERNBERG 2006 : 297).

      Sein Kollege Uwe Walter aus Köln hat eine andere Deutung parat: Er weist darauf hin, dass in der römischen Republik – wo jährlich gewählt wurde und praktisch immer Wahlkampf war – solche Familientraditionen wohl auch bewusst kultiviert wurden. Damit erschienen einzelne gentes als wiedererkennbare Marken, und das bot einen Vorteil für Bewerber im Wahlkampf, die sich selbst noch nicht ausgezeichnet hatten, aber durch das Vorbild der Vorfahren verlässlich und berechenbar erschienen.

      Die gens Claudia jedenfalls gehörte rund 500 Jahre lang zu den tonangebenden Familien in Rom, und das spricht sicher für das politische Geschick dieses Clans. Die Claudier sind aber noch in anderer Hinsicht interessant, weshalb auch einer der ihren unsere Porträtgalerie eröffnet. Denn wir können den Ursprung dieses Patrizierclans in Zeit und Raum lokalisieren: Ein gewisser Attus (oder auch Attius) Clausus verließ im Jahre 504 v. Chr., wenige Jahre nach der Vertreibung des letzten römischen Königs, seine Heimatstadt Regillum im Sabinerland und siedelte mit einer großen Schar von Gefolgsleuten nach Rom über. Fortan nannte er sich in latinisierter Form Appius Claudius, und so wurde ein Sabiner zum Stammvater eines urrömischen Geschlechts.

      Andere patrizische gentes mögen zwar noch weitaus älter und ehrwürdiger gewesen sein, aber im Gegensatz zu den Claudiern verliert sich ihre Frühgeschichte im Dunkel der Mythen. Die Iulier und die Servilier etwa führten ihre Ursprünge auf die legendenumwobene alte Königsstadt Alba Longa zurück, wobei Erstere für sich sogar eine Abstammung von der Göttin Venus in Anspruch nahmen.

      Die Claudier sahen keinen Anlass für die Erfindung solcher Märchen aus ferner Zeit, sie widmeten sich gleich nach ihrer Ankunft in Rom der Gegenwart: Clausus-Claudius und seine Gefolgsleute erhielten Land zur Ansiedlung und das römische Bürgerrecht. Der folgerichtig nächste Schritt war der Aufstieg der Familie in den Senat und in Spitzenämter der Republik: Unser Appius Claudius wurde bereits 495 v. Chr. Konsul, sein älterer Sohn Appius Claudius Crassus Inregillensis Sabinus 471 v. Chr.,


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