Eine verborgene Welt. Alina Tamasan

Eine verborgene Welt - Alina Tamasan


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schon in die Haut eingezogen, bevor du es abgeschleckt hast.“

      „Die Essenz deiner Mutter war noch deutlich vorhanden. Ich habe den Geschmack noch im Mund. Aber wonach schmecke ich eigentlich?“ Finilya hob ihren Kopf und sah Rangiolf fragend an.

      „Hm“, er zupfte an den Haaren ihrer Ohrspitze „teilweise salzig, dann irgendwie blumig, und nach rosa Springkraut duftend.“

      „Wirklich?“

      „Ja“, meinte Rangiolf, „ich liebe diesen Duft. Im Spätsommer ist die Luft am Fluss davon erfüllt, und da, wo deine Haut ganz weich und zart ist, da riechst du genauso! Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich eine Frau kennenlerne, die nach Springkraut duftet. Hast du dich auch eingerieben?“ Die Gniri schüttelte den Kopf. „Das habe ich mir gedacht. Es zeigt, dass du genau die Richtige für mich bist. Ich hoffe, ich dufte für dich auch gut, wenn ich nicht eingerieben bin?“ Rangiolf sah sie erwartungsvoll an.

      „Na ja“, lachte die Gniri, „letztes Mal auf der Wiese, da hast du nach diesem Zeug gerochen, das der Menschenbauer auf sein Feld tut.“ Der Gniri verzog naserümpfend das Gesicht. „Aber sonst, hm, harzig, ein wenig wie Baumharz. Salzig und harzig, ziemlich herb, ich mag das! Als Kind habe ich das Harz von den Bäumen geknabbert und heute liebe ich es auch noch“, lächelte sie. Rangiolf entspannte sich.

      Retasso spürte die Müdigkeit in allen Knochen. Mit einem Fläschchen Schnaps in der Hand saß er mit Pythera vor den glühenden Kohleresten des vergehenden Feuers. Er hatte viel getanzt, viel gegessen und viel zu viel getrunken. Sein Kopf fühlte sich schwer an.

      „Lass uns schlafen gehen“, schlug Pythera müde vor.

      „Ich würde sagen“, der Gniri hob den Kopf, „das ist eine gute Idee. Ich werde mich ausschlafen, danach muss ich weiterziehen.“ Er erhob sich, sackte aber sogleich wieder in sich zusammen.

      „Komm, ich helfe dir.“ Pythera griff ihm unter die Arme und gemeinsam gingen sie zu ihrer Behausung.

      „Wenn man sich etwas bewegt, geht es wieder einigermaßen“, keuchte Retasso, derweil er seine Krallen in trunkener Selbstzufriedenheit in das Holz der Tür bohrte.

      „Es ist nicht groß bei mir, aber das weißt du ja, nicht wahr?“

      „Ich liebe deine kleinen Räume“, der Gniri schlang seine haarigen Arme um Pytheras Hals und kicherte.

      „Schlaf bei mir“, beeilte sich Pythera zu sagen, als sie sah, dass er sein Lager auf dem Boden ausbreiten wollte. Retasso hob fragend den Kopf. „Wenn du magst …“, meinte sie errötend.

      „Na klar, danke“, brummte Retasso. „Eine weiche Liege ist mir tausendmal lieber als der harte Boden, auf dem ich noch oft genug schlafen werde.“ Pythera zog sich aus und legte sich auf das weiche Bett.

      „Komm“, sie breitete ihre Arme nach ihm aus. Retasso erhob sich mühsam und schlurfte zu ihr hin. Dann ließ er sich wie ein nasser Sack auf das Lager fallen.

      „Du erwartest wohl nicht, dass ich dich ganz alleine ausziehe? Ein wenig helfen musst du mir schon.“

      „Ja“, murrte er, „mach ich.“

      „Was treibt dich nur dazu Hemden zu tragen?“, beklagte sich Pythera, während sie umständlich an den Knöpften nestelte, „das ist nur was für eingebildete Dhàrdhats und Menschen!“

      „Ähm“, schmatzte er unbestimmt. Dann schob er ihre Hände beiseite und knöpfte sein Hemd trotz Krallen mit schlaftrunkener Sicherheit auf. „Geschafft“, murmelte er erschöpft und schmiegte sich an sie. „Die Liege ist so klein“, murmelte er entschuldigend, „da muss man halt zusammenrücken.“

      „Ist gut“, lächelte sie und strich ihm durchs Haar. Sie leckte ihm liebevoll das Ohr und deckte sich und ihn zu. Es dauerte nicht lange und der Gniri war eingeschlafen. Pythera genoss seine Nähe, fühlte mit Entzücken seinen gleichmäßigen Atem auf ihrer Haut und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. „Ach, könntest du doch nur bei mir bleiben“, flüsterte sie.

      Murrend erwachte Rangiolf von einem ohrenbetäubenden Tumult.

      „Aufstehen, ihr Schlafmützen“, hörte er jemanden sagen. Finilya drehte sich auf die andere Seite und schlief weiter. „Nein, nicht schlafen“, drängte die Stimme und eine Hand begann die beiden zu rütteln. „Los, aufstehen, die Leute warten. Außerdem bricht Retasso abends auf …“

      „Retasso?“, riefen Finilya und Rangiolf gleichzeitig und waren sofort hellwach.

      „Ja!“, sagte Gabra. „Ihr wollt doch mit ihm ziehen? So weit ich in Erfahrung gebracht habe, ist euer Weg ein Stück weit derselbe.“ Breitbeinig stand er vor dem Paar, schaute von einem zum anderen und grinste keck. „Hat sich gelohnt, das mit dem Fett, nicht wahr, mein Junge? Wie ich sehe“, er trat näher und schob die Behaarung an Finilyas Bauch etwas auseinander, „seid ihr erfolgreich gewesen.“ Mit seinem knorrigen Finger wies er auf den weißen Streifen, der sich von ihrer Scham bis zum Herzen zog. „Ihr erwartet ein kleines Bündel.“ Finilyas Blick folgte seinem Finger und sie errötete. „Nichts, was ich nicht schon mal gesehen habe!“, wiegelte Gabra lachend ab. „Ehe ich’s vergesse, mein Kind, zieh das hier an. Schließlich bist du nun eine Frau!“ Ein reich verzierter Rock landete in ihren Armen. „Das ist ein Geschenk deiner Mutter Irukye. Die Frauen haben zusammengelegt und ihr beim Nähen geholfen! Ein schöner Rock für eine schöne Frau! Was das Kleid anbelangt, so taugt es freilich für Hochzeitszeremonien, jedoch nicht für den Alltag! Sie dachte, es sei eine größere Überraschung, wenn ich dir diesen Rock überreiche!“

      „Oh, danke!“, murmelte Finilya gerührt. Sie hatte zwar von den Gästen schon einen Rock bekommen, aber an diesem hier hatte ihre Mutter mitgearbeitet, das machte ihn zu etwas Besonderem. Gabra nickte lächelnd und verließ den Raum.

      „Halt mal still, ich will mir den Streifen ansehen“, murmelte Rangiolf und betrachtete eingehend den Bauch seiner Frau. „Gestern Nacht konnte ich es nicht sehen, nur fühlen und heute … ah, das ist schön.“ Der Gniri grinste über das ganze Gesicht. „Lass uns jetzt aufstehen!“ Sie zogen sich eilig an und gesellten sich zu den anderen.

      „Siehst gut aus, Finilya“, gurrte Yhsa und reichte der Gniri einen kleinen Tiegel, in dem sich mehrere Raupen wanden. Finilya steckte sich ein paar davon in den Mund und kaute bedächtig darauf herum.

      „Danke, ich freue mich sehr darüber, meine Mutter hat daran mitgearbeitet.“

      „Ich auch!“, brüstete sich Yhsa.

      „Tatsächlich? Oh, danke!“, Finilya reichte den Tiegel mit den Raupen an Rangiolf weiter und umarmte die alte Frau herzlich.

      „Wie schön du bist!“, erwiderte Yhsa stolz.

      „Wir müssen raus!“ Rangiolf unterbrach die sentimentale Begegnung zwischen den beiden. Er stopfte Finilya den Rest der Raupen in den Mund, ergriff ihre Hand und rannte mit ihr zur Tür. Vor dem Baum warteten schon viele Gniri auf sie. Als die beiden ins Freie traten, brach ein Jubel aus. Kaum, dass das Paar unten angekommen war, wurden sie von Leuten umringt. Sie brachten ihnen Glückwünsche entgegen, tätschelten ihre Schultern und beschauten sich voller Neugier und Faszination Finilyas Bauch. Hin und wieder zupfte einer Finilyas Haare auseinander, um den Streifen für jeden deutlich zu machen. Für das Volk am Eichenhain war jede Schwangerschaft eine Besonderheit. Das erste Kind aber wurde mit besonders großem Triumph aufgenommen! Vor allen Augen segnete die Heilerin das Ungeborene.

      „Herzlichen Glückwunsch“, freute sich Retasso und reichte dem Paar die Hand. Während Finilya verlegen zu Boden blickte und nur ab und an einen zögerlichen Blick in die Menge wagte, schien Rangiolf in der Anerkennung förmlich zu baden. Stolz und glücklich zog er seine Frau hinter sich her und zeigte sie allen Anwesenden.

      „Ja, das ist mein Zäb-zäb“, lachte er immer wieder. „Schaut, wie schön sie ist!“ Als alle das Paar bestaunt und beglückwünscht hatten, gingen sie wieder ihren Tagesgeschäften nach. Finilya und Rangiolf aber machten sich für den Aufbruch bereit. Die Vorbereitungen gingen bis in die Abendstunden.


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