Oooh, Dicker, mein Dicker .... Jamo Mantam

Oooh, Dicker, mein Dicker ... - Jamo Mantam


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geschah nicht. Dieses MEHR passierte erst später. Um einiges später, um es genauer einzugrenzen. Doch bis es so weit war, geschah nichts. Außer dass ich mich in der Obhut eines hektischen, polternden und lautstarken Ungeheuers wähnte, welches mich wirklich nach bestem Wissen und nicht ohne hingebungsvolle Liebenswürdigkeit umhegte und umsorgte. Auch wenn ich inmitten seines Gewusels und Geschluders ab und an in unmittelbare Lebensgefahr geriet. Nein, es geschah nichts. Selbst dann nicht, wenn ich unbekleidet vor ihm stand und seine Finger sich mit meiner Entblößtheit beschäftigten, um dieser zur Bedeckung zu verhelfen, so fasste er mich doch niemals an. Selbst, wenn er gewollt hätte, wenn ich gewollt hätte, wenn wir beide gewollt hätten – es wäre nicht gegangen. Es dauerte drei lange Wochen, in welchen meine Blessuren mich in Atem hielten oder vielmehr in atemloser Qual. Es dauerte drei lange Wochen, ehe die Schmerzen nachließen und mein Schlüsselbein endlich wieder Halt genug bot, um die Gangschaltung an meinem Auto wieder betätigen zu können. Und was noch wichtiger war: ich kam erst nach diesen drei langen Wochen ohne fremde Hilfe wieder ins Bett und auch wieder heraus. Und erst nach diesen drei Wochen gebrochener Knochen und nur langsam verheilender Prellungen, Quetschungen, Abschürfungen und Platzwunden, drei Wochen, in denen ich tagtäglich und nachhaltig bis zur Narkose gequasselt und niedergequatscht worden war, fand ich endlich Kraft und Willen genug, um Abschied zu nehmen und die Heimreise anzutreten.

      Zuvor noch fuhr ich am Bahnhof in der Großen Kreisstadt vorbei, um dort den Herrn Glaubert abzugeben, der eine längst gebuchte Urlaubsreise anzutreten gedachte.

      Es war noch immer nichts geschehen. Wir umarmten uns zum Abschied, wir wünschten uns alles mögliche, wir trennten uns. Er fuhr nach Mexiko. Ich fuhr nach Piepshausen.

      Dort setzte ich mich, nach wie vor im Krankenstand und noch immer leicht betäubt von den gewalttätigen Quasselattacken der letzten drei Wochen, in mein Wohnzimmer, atmete tief durch, genoss meine wieder erlangte Freiheit und stellte nach bereits zwei Tagen fest, dass etwas fehlte …

      Um dieses Verlustgefühl noch zusätzlich zu schüren, begab sich der Her Glaubert seinerseits im fernen Mexiko in ein dort installiertes Telefonhäuschen und stürzte sich in vermeidbare Unkosten, um sich täglich um das Wohlergehen der Dame des Hauses zu erkundigen. Dies tat er, wenn möglich, zweimal am Tage, nämlich morgens und abends, um auf diesem Wege persönlich am weiteren Heilungsprozess meines lädierten Selbst teilzuhaben. Er gab also auch aus dem Ausland keine Ruhe mehr.

      Unerklärlicherweise störten mich diese Telefonate, da zeitlich nur beschränkt, weil teuer, nicht weiter. Vielmehr freute ich mich, täglich zwei Mal aus dem fernen Mexiko zu hören, zumal diese Distanz mich ja vor weiteren Unbillen, ausgelöst von einer reinrassigen Kravallschachtel, bewahrte. Doch diese Distanz währte nicht ewig, und als der Tag näher rückte und ich Anweisung erteilt bekam, mich alsbald wieder zum Bahnhof in der Großen Kreisstadt zu begeben, um dort Abgegebenes wieder abzuholen, da beschlich mich eine leise Vorahnung, die ich noch nicht zu deuten wusste. Sicher, in meinem Piepshausen, in dieser anheimelnden, sicher gestellten Enklave der Ruhe und Beschaulichkeit, wähnte ich mich geborgen, gut aufgehoben. Doch allein schon der Gedanke an dieses breite, verquere Grinsen, diese Quirligkeit und Unerschütterlichkeit, die mir drei Wochen lang in Brummelbach zuteil geworden waren, ließ, einer unreifen Sechzehnjährigen gleich, meinen Magen flattern.

      Wollte sich da etwas einstellen, fragte ich mich nervös? Oder war all das nur auf die einsetzende Langeweile zurückzuführen, die mich nach den turbulenten Brummelbacher Zeiten nun, noch immer zu Krankenstand und Untätigkeit verdonnert, beschlich?

      Ich wusste es nicht. Ich wusste nur eines: sollte hinter diesem pubertären Bauchgefühl mehr stecken, als zunächst befürchtet, so würden Ruhe und Beschaulichkeit meine bisherige Daseinsform für alle Zeiten verlassen! Das war mir in meiner zunehmenden Verwirrung rasch klar geworden. Ich musste nun eine Strategie ersinnen, wie ich diese bedrohlich sich anbahnende Situation so rasch als möglich wieder entschärfen konnte. Ich durfte sie ganz einfach gar nicht erst aufkommen lassen, so einfach war das! Ich würde zum Bahnhof fahren, den Heimkehrer einladen, ihn nach Brummelbach fahren, dort abladen, ihm Dank sagen für all seine Hilfsbereitschaft, ihm alles Gute und alles Glück für die Zukunft wünschen, nein, ich komme nicht mehr mit herauf, und nein, mache dir bitte keine falschen Hoffnungen, und nein, es geht einfach nicht, ich bin nicht bereit dazu, ja, Freunde können wir bleiben, vielleicht ab und zu mal – …

      Ob er wohl braun geworden war in Mexiko? Was er wohl alles so erlebt hatte? Und – oh – vielleicht hatte er ja ein nettes Mädchen kennen gelernt! Ein Mädchen ganz aus der Nähe vielleicht. Aus Greifswald oder Rostock. Zu dem es ihn unweigerlich hinzog, und das sich schon jetzt ganz schmerzlich nach ihm verzehrte! Ein süßes Mäuschen, ein Ebenbild der noch ganz jungen Andrea Berg. Mit einer Figur wie ein Stundenglas und einem ausgeprägten Faible für durchgeknallte, frühberentete und Flaschen sammelnde Sachsen!

      Doch das Ergebnis dieser zum Großteil durch ein schlechtes Gewissen angeleierten Gedankengänge meinerseits war, dass er kein nettes Mädchen mehr kennen zu lernen BRAUCHTE! Denn – er hatte ja schon eines! Ich wusste es nur noch nicht …

      Ich wusste es in dem Moment, in welchem ich wieder zum Bahnhof fuhr, um ihn nach Brummelbach zu transportieren. Um nach Brummelbach zu schaffen, was nach Brummelbach gehörte. Denn – mein Magen flatterte nicht mehr nur. Er rotierte …

      Und als der Zug einfuhr mit kreischenden Bremsen und dann der Herr Glaubert aus selbigem hinaus stolperte mit schwerem Gepäck und kreischendem Gelächter und kreischenden Grüßen, mich kreischend an seine Brust drückte und der ganzen großen Welt die kreischende Beteuerung leistete, ich hätte ihm gefehlt, – SO GEFEEEHLT!!! – …

      Da ging mir das Herz auf …

      Ab sofort war mir klar, dass mein weiteres Leben ganz anders aussehen würde. GANZ anders. Denn hier würde ich so ohne weiteres und ganz ohne Blessuren an Leib und Seele nicht mehr herauskommen! Ab sofort hatte ich ein großes, großes Problem. Und dieses Problem habe ich noch heute, acht Jahre später. Dieses Problem stellte sich ein in dem Moment, als ich mich am Bahnhof drücken und herzen ließ. Und in dieser Umklammerung stecke ich, jetzt und acht Jahre gereifter, noch immer. Ein Druck und ein Würgegriff, den nur Liebende aushalten können.

      Ja, richtig. Denn nach all diesem Schlamassel, Knochen brechend und wirr an Sinn und Geist, ist dann doch etwas geschehen. Es hat noch einmal ein paar Wochen gedauert, dann geschah doch etwas mehr als Drücken und Herzen. Es geschah trotz aller Bedenken, Ängste und Sorgen, und wie dieses ETWAS ausgesehen hat, – ich denke, da muss ich keine Zeichnung machen, wie? Alle Bedenken und Ängste und Sorgen sind nach diesem ETWAS geblieben, sie werden nicht weniger, im Gegenteil. Sie wachsen und gedeihen und treiben mich bis hin zur Panik, sie werden größer und facettenreicher, mein Leben ist aus den Fugen geraten, lässt sich nicht mehr sortieren. Ich stehe ständig auf Alarmstufe Rot, kämpfe tagtäglich gegen drohenden Herztod, stehe ohne Unterlass dicht an der Schwelle zum blanken Wahnsinn, und wenn ich gefragt werde, weshalb ich mir das antue, so kann ich nur antworten: Ich weiß es nicht.

      Ich weiß nur eines: MIT ihm geht es nicht. OHNE ihn geht es auch nicht mehr. Und so zappeln wir eben wie zwei außer Rand und Band geratene atomare Teilchen umeinander herum, krachen zusammen, stoßen uns ab, taumeln gemeinsam durchs Leben, klammern uns dabei aneinander fest und drohen uns gegenseitig in den Abgrund zu reißen. Eine gut meinende Seele erklärte mir auf mein Wehklagen hin mal, dies sei eben echte Liebe. Nun, wenn echte Liebe sich dergestalt ausdrückt, dass man sich täglich versucht fühlt, bei der nahe gelegenen Irrenanstalt zu klingeln und zu fragen, ob man künftig dort wohnen dürfe, muss man sich ernsthaft fragen, was man da eigentlich TUT! Und warum! Und mit wem …

      Das Warum wurde mir ja bereits erklärt. Wegen der Liebe eben. Das Mit-Wem kann ich allein beantworten. Mit dem Herrn Glaubert, genannt Der Dicke. Der Dicke, der keinesfalls dick ist und in etwa über so viel Hirnschmalz verfügt, wie in einen Fingerhut passt, dieses mickerige Kontingent jedoch in Schwindel erregendem Eifer und unverbrüchlichem Selbstvertrauen einsetzt und damit die Leute vor den Kopf stößt, die Welt ins Wanken bringt und sich und mich unmöglich macht, ohne es zu merken oder gar zu kapieren! Das ist mein Dicker. Der gehört jetzt mir. Und das alles, weil ich mal vom Fahrrad geflogen bin …

      Und diesen verqueren Hampelmann werden wir im Anschluss


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