Oooh, Dicker, mein Dicker .... Jamo Mantam
weigerte ich mich noch einige Wochen mit Hinweis auf meine noch ganz frischen Wehwehchen und mein stark angekratztes Selbstvertrauen. Dann kam 2006 der liebe Frühling, und den Dicken hielt nichts mehr! Er schob mir kurzerhand mein eigenes Damenrad Marke Pegasus unter den Hintern, meinte, ich sei zu fett und müsse endlich was tun! Somit begann ich, übervorsichtig und mit vollen Hosen, hinter ihm her zu zockeln, ganz langsam. Das wurde dann mit der Zeit schon ein bisschen besser, das schon. Aber es wurde nie richtig gut! Ich falle nach wie vor ab und zu um, liege auf der Nase und lecke dann meine Wunden. Wenn ich montags ins Büro komme, schaut mich die ganze Mannschaft kurz an, zählt meine Pflästerchen und weiß: Aha, gestern war’s wieder so weit … Ich muss da gar nichts mehr groß erzählen. Die grinsen sich schon eins, wenn ich mal wieder zur Arbeit erscheine wie frisch aus dem Kriegsgebiet.
Lustig wird es auch, wenn ich mich verfahre. Was bedeutet, dass ich den Anschluss an den Dicken verliere. Das kommt auch schon mal vor, liegt aber nicht an mir, da ich ja so oder so nur ganz langsam Fahrrad fahre. Aber der Typ vor mir, der vergisst manchmal, dass ich ja auch noch da bin. Der fährt vorne weg und entdeckt dann was, das man unbedingt näher unter die Lupe nehmen muss! Der tritt dann in die Eisen, so schnell kann ich gar nicht gucken, wie der auf und davon ist! Da kann ich schreien und klingeln, wie ich will. Der haut halt einfach ab! Was mache ich dann? Meines erhöhten Unfallrisikos vollauf bewusst, steige ich ab und schiebe hinterher. Langsam. Weinend. Verzweifelt. Und allein. So allein.
Während mein Dicker glücklich einem neuen Sonnenuntergang entgegen radelt …
Es kann passieren, dass ich in einer solchen Situation eine halbe Stunde lang ganz einsam meinen Pegasus neben mir her schiebe, nicht mehr weiß, wo ich bin, keine konkrete Vorstellung davon habe, wo ich hin will, umkehren kann ich auch nicht, weil ich keine Ahnung habe, wo es lang geht. Also schiebe ich halt weiter und immer weiter, allein gelassen in großer Fremde, bis mein kleines Dickerchen nach ungefähr 15 Kilometern feststellt, dass was fehlt. Dann dreht er um, fluchend und zeternd, radelt zurück, sammelt mich, tränenverschmiert und bitter schluchzend, wieder ein, überhäuft mich mit Vorwürfen, schimpft und hält mir vor, was denn wohl gewesen wäre, wenn mich unterwegs fremde Männer angesprochen hätten! Nun, wäre das tatsächlich der Fall, ich würde zugreifen! Sofort zugreifen! Und dann wehre ich mich, brülle zurück, er sei einfach so abgehauen, und ich hätte noch geschrien und mit der Klingel geklingelt, aber er höre ja nicht, wenn er nicht hören will. Und so bleibt ihm nichts anderes, als meine Taubheitsbezichtigung zu bestätigen: „Hab’ ick nich’ jehöat …“
Und wieder haben wir einen schönen, reibungslosen und absolut harmonischen Radel-Tag erlebt!
Wir versuchten es mit unseren Handys. Denn wenn mein Freund in die Pedale tritt, vergisst er, dass er ja noch was dabei hat. Ich stehe dann mutterseelenallein in der Pampa und warte vergeblich darauf, dass mich fremde Männer ansprechen. Mal ehrlich, welcher fremde Mann ist schon erpicht darauf, eine Rotz und Wasser heulende Mittvierzigerin, die einen alten Drahtesel neben sich her schiebt, anzusprechen? Also nahmen wir die Handys mit. Um uns untereinander unsere Koordinaten durchzugeben, sozusagen. Für den Fall, dass der Dicke mal wieder durchstartet und die Mama allein zurück auf der Strecke bleibt. Das ist, als wenn ein großer Hund, den man an der Leine mit sich führt, einem plötzlich durchgeht. Da hat man als schwache Frau nur zwei Möglichkeiten: entweder, man lässt die Leine samt Hund los, oder man lässt sich ein Stück mitschleifen. Das ist mit dem Dicken auf dem Fahrrad nicht anders. Wenn ich den anleine, und der legt einen Sprint an den Tag, kann ich auch nur entweder loslassen, oder aber ich werde durch die gewaltige Zugkraft mitgerissen – und falle um. Wieder einmal.
Also Handys. Damit konnten wir uns nicht mehr verlieren. Dachten wir. Denn ich habe ein Problem. Als meine Mama mich unter Qualen, wie sich das so gehört, geboren hatte, hatte sie doch glatt vor lauter Schmerzen vergessen, mir einen Orientierungssinn frei Haus mit auf den Weg zu liefern. So etwas soll ja hin und wieder mal vorkommen. Ich bin also auch nicht gerade mit Perfektion gesegnet, oh nein! Ich habe Schwierigkeiten mit dem Autofahren. Im unmittelbaren Umfeld geht es schon noch, doch wenn ich über den Tellerrand hinausfahren soll, kann es passieren, dass ich irgendwo herauskomme, wo ich noch nie gewesen bin. Und auch gar nicht hin wollte. Im Prinzip bin ich schon froh, wenn ich sagen kann, wo ich wohne, falls ich gefragt werde. Meiner Mama ging das übrigens genau so. Womit wir bei der Vererbungslehre wären, aber so weit will ich gar nicht gehen. Mit dem Autofahren habe ich also Orientierungsprobleme, warum soll das mit dem Radfahren anders sein? Vor allem, weil ich beim Radeln die Nase ja immer nur zwei Meter vor mir habe, damit mir nichts im Wege sei, das mich zum Sturze kommen lasse.
Nun also begaben wir uns in unser Handy-Experiment. Beide hochgerüstet mit modernen Kommunikationsmedien, schlotterten wir auf unseren Rädern durchs Weltgeschehen, er vorne weg, ich zittrig hintan, dann kam der Moment, da mein Fiffi seinen nächsten Ausbruchversuch durchzog und mich allein zurückließ. Für mich hieß es wieder absteigen, schieben, weinen und auf fremde, Radfahrerinnen ansprechende Männer warten, die da nicht kamen. Und plötzlich durchzuckte mich die Erkenntnis: Moment mal! Du hast ja jetzt dein Handy! Eifrig schritt ich zur Tat, ganz ausgelassen über die Tatsache, dem Schicksal ein Schnippchen geschlagen zu haben, und wählte. Und horchte. Und horchte. Und lauschte. Es klingelte und klingelte, bis mir die Maschine freudig und mit weiblicher Computerstimme erklärte, mein gewünschter Gesprächsteilnehmer habe leider seine Ohren zu Hause liegen gelassen. Somit versuchte ich es erneut, wählte, horchte, wählte, horchte, und der Computer versuchte mir klar zu machen, dass der Dicke offenbar keine Lust habe, mit mir telefonisch zu kommunizieren. Ich gab auf, begann wieder, bitterlich zu weinen und darauf zu warten, dass ich wieder eingesammelt wurde. Nach ein, zwei Stunden etwa.
Doch dann, nach der obligatorischen halben Stunde, gab mein Handy Laut! Ich wurde, nachdem ich tränenreich mein Leid geklagt hatte, scharf getadelt, weshalb ich nicht angerufen hätte, nachdem er mir mal wieder verloren gegangen war? Sofort versicherte ich meinen fünfmaligen sinnlosen Versuch, forderte ihn auf, nachzusehen, denn das Schöne am Handy ist ja, dass man solche Fehlversuche auf dem Display nachträglich noch ersehen kann. Woraufhin wir feststellen mussten, dass der Dicke, wenn er Rad fährt, das Handy einfach nicht hört. Anschließend forderte er mich auf, ihm langsam nachzufolgen. Er würde mich über die Distanz telefonisch zu seinem gegenwärtigen Standpunkt lotsen. Doch hierzu musste erstmal festgestellt werden, wo ich mich überhaupt befand! Damit entstand folgender Wortwechsel.
Er: „Wo bist’n du?“
Ich, noch immer leise schluchzend: „Auf der Straße …“
Er: „Ja, uuf WELCHA?“
Ich: „Ich weiß nicht …“
Er: „Du musst doch wiss’n, wo de bist! WO BIST’N???“
Ich: „Weiß nicht. Hier halt irgendwo …“
Er: „WO?“
Ich: „Kei-keine Ahnung …“
Er, verhalten knurrend: „Mensch, Kleenäää! Du muss’ doch wiss’n, wo …! Nee, ma’ anners: Wie sieht’s ’n da aus, wo de jetz’ bist’?“
Ich, mich zaghaft umsehend: „Also, hier hat’s so Häuser …“
Er: „Wat füa Häusa?“
Ich: „Tja, also, – große. Und kleine. So Häuser halt …“
Er, langsam nervös werdend, und wenn er nervös wird, wird er laut: „Un’? Wat noch? Irjend wat Besonnered? Kaufhaus oda so?“
Ich: „Nee. Da – da ist ein Acker. Kann ein Kartoffelacker sein. Oder auch nicht. Blühen die Kartoffeln schon?“
Er, verdattert: „Gardoff’ln??? Mensch, Mädel, sach’ mia, wo de BIST!“
Ich: „Ich weiß es doch nicht …“
Pause. Nachdenken. Dann er wieder: „Kugg ma’ nach ’nem Straß’nschild.“
Ich schaute mich um, fand ein Schild und piepste: „Marktstraße.“
Das half natürlich überhaupt nicht. Denn in jedem, wirklich jedem noch so mickrigen Kaff gibt es eine Marktstraße. In jedem Weiher, in allen Metropolen dieser großen Welt, überall wimmelt