Oooh, Dicker, mein Dicker .... Jamo Mantam
mehr wegzuleugnen aus meinem Leben. Es ist da, klebt an mir wie eine hässliche, riesengroße und widerwärtige Warze, die alle Welt sehen kann! Und – was noch viel entsetzlicher ist und meinem ansonsten absolut makellosen Leumund nicht unbedingt günstig – auch hören! Denn sobald dieses Etwas den Mund aufzumachen gedenkt, und dies zu allem Unglück auch noch während meiner Anwesenheit, so wird aller Welt einmal mehr die Fundamentalität eines Zitates aus der legendären Bergpredigt klar gelegt, in welcher unser Lieber Herr Jesus unter anderem feststellte: Selig sind die, die arm im Geiste. Ja. Diese Tatsache muss man in dem Moment anerkennen, sobald die warzenartige Kreatur, die wie eine Klette an mir hängt, das Wort ans Volk richtet.
Selig sind die, die arm im Geiste …
Oh ja …
Aber Sie merken schon, ich greife vor. Oh, du lieber Himmel, ich glaube, ich verzettle mich hier schon ganz zu Anfang, und dabei wollte ich das alles doch in aller Gemütsruhe angehen. In Ruhe und Vernunft. Doch Gemütsruhe gibt es bei mir schon lange nicht mehr, ehrlich. Meine bis dahin hoch gerühmte innere Ruhe habe ich in jenen folgenschweren Wochen am Wurststand zurückgelassen, und meine Vernunft ist von ganz alleine auf der Strecke geblieben. Wie also soll ich ein solches Projekt, das ich nun in Angriff zu nehmen gedenke, stilistisch handfest und in der Abfolge logisch aufgebaut angehen, nachdem all diese charakterlich notwendigen Attribute, die zum Entstehen einer Geschichte nötig sind, bei mir nicht mehr vorliegen? Grundlegende Stärken, deren Existenz aufs Drastischste hinweggefegt wurden mit einer einzigen, einwörtigen und alles entscheidenden Frage, die da lautete: „Schmeckt’s?“
Wie soll ich über jemanden eine gängige, stilsichere Einleitung hervorbringen, dessen hervorstechenste Eigenschaft darin besteht, dass er total plemplem ist? Dieses Ding. Das zu allem Unglück auch noch mir gehört …
Also gut. Versuchen wir es noch einmal. All meiner drohenden Hysterie zum Trotze, fangen wir nochmal an diesem Wurststand an.
Ja, es stimmt schon. Da war eines schönen Tages so ein seltsames Männlein um mich herum, das mir zunächst überhaupt nicht auffiel. Ein Männchen auf einem Fahrrad. Welches mich immer am Dienstag in meiner Mittagspause in seinen Fokus nahm. Ein Männlein auf einem Rad. Welches mir, zunächst noch aus respektvoller Entfernung, dabei zusah, wie ich mir jeden Dienstag an einer Bratwurstbude, nur unweit von meinem Arbeitgeber installiert, ein Thüringer Rostbratwürstchen mit Semmel und Senf einverleibte. Dies war eines meiner wenigen Rituale, die ich damals hegte und pflegte, und hätte ich nur einen blassen Schimmer von dem bekommen, was dieses Ritual mir für den Rest meines Lebens einbrocken sollte, ich hätte vermutlich – nein, ganz ohne Zweifel! – sehr schnell von Rostbratwürstchen als auch Ritual wieder meilenweit Abstand genommen. Wäre meiner Wege in andere Richtungen gezogen. In irgendwelche sicheren Gefilde, in welchen es keine Männchen auf Fahrrädern gab. Doch ich sah das Unglück nicht kommen, das da seinerseits meine Wenigkeit entdeckt und fortan beschlossen hatte, ab nun zu meinem mich behütenden Schatten zu werden. Zuerst nur dienstags. Dann, ab dem 13. November 2005, für immer …
Wie kommt so etwas? Was wird das für eine Geschichte?
Nun, fangen wir bei mir an. So wird es einfacher. Mein Name tut nichts zur Sache, wie es in diversen Action-Filmen und Kriminalromanen so schön heißt, denn schon allein die Peinlichkeit, diesen radelnden Affen auf dem Pelz zu haben, rät mir, nicht allzu viel von mir preis zu geben. Es reicht schon vollkommen aus, mich in meinem unmittelbaren Umfeld in seiner werten Gegenwart der Lächerlich anheim zu stellen. Also belassen wir es einfach mal bei einem Incognito, nennen wir mich einfach die Kleine. Das langt. Ich bin also die Kleine, das Monster an meiner grünen Seite ist der Dicke. Ganz einfach. Die Kleine und der Dicke. Wie es zu diesen abstrusen Kosenamen kam, werde ich später noch erklären. Jedenfalls sei ab hier ersichtlich, dass es sich bei den weiteren Ausführungen um Männlein und Weiblein handelt.
So. Was noch? Inzwischen zähle ich satte 53 Lenze, die ersten 45 davon verlief mein Leben in relativ geordneten und geregelten Bahnen. Dann, Ende 2005, geschah etwas ganz Grauenhaftes, an dem ich vermutlich noch bis ins hohe Alter zu knabbern habe, sofern ich ein solches überhaupt erreiche. Die Tendenzen in diese Richtung stehen schlecht, - aber so weit sind wir noch nicht. Ich bin kinderlos, nicht verheiratet, aber zu meinem grenzenlosen Unglück liiert, und ich lebe im so genannten Schwäbischen, bin nahe der rauen Alb zur Welt gekommen und aufgewachsen. Hier lebe und arbeite und wohne ich. Meinen Wohnort nennen wir einfach mal Piepshausen. Piepshausen liegt etwa sieben Kilometer von unserer Großen Kreisstadt entfernt, und in dieser Großen Kreisstadt – etwa 50 000 Einwohner – gehe ich zur Arbeit. Neben unserer Großen Kreisstadt, die ich namentlich ungenannt lassen möchte, findet sich gleich angrenzend eine Kleine Kreisstadt, die wir ebenfalls mal links liegen lassen wollen. Und um dieses ganze Spektakel drum herum tummeln sich lauter kleine, mehr oder weniger verschlafene Gemeinden, vom Schwaben gemeinhin als „Käffle“ tituliert. Stuttgart liegt ungefähr 50 Kilometer in die eine Richtung entfernt, Ulm etwa 50 Kilometer in die andere. So gesehen ist die Große Kreisstadt, also MEINE Große Kreisstadt, ein zentraler Punkt. Was aber nicht unbedingt bedeutet, dass meine Große Kreisstadt als ein spektakulärer Standort zu werten ist. Ländlichkeit herrscht hier. Biederes Schwabentum, behäbig; hier nimmt sich die Zeit noch richtig Zeit, um zu vergehen. Alles in allem eine ruhige Beschaulichkeit, in der ich da groß geworden bin. Tja, und einer dieser schwäbischen Biedermänner – in meinem Fall also Biederfrau – bin ich. Aber im Gegensatz zu unserer selbst beweihräuchernden Eigenwerbung – Wir können alles außer Hochdeutsch – KANN ich selbiges. Denn ich bin von hochdeutsch sprechenden Eltern erzogen worden, und daher werde ich mich dieser Ausdrucksform im weiteren Werdegang dieses Projektes auch befleißigen. Ich werde in diesem Buch NICHT schwäbisch sprechen, denn derlei dialektischer Absurdität werden wir uns noch anderweitig gegenübersehen.
Ich lebe also in Piepshausen und arbeite in der Großen Kreisstadt. Dort gibt es ein Geldinstitut, dem ich als Angestellte seit über 35 Jahren meine Treue halte. Ich bin das, was man eine propere Bürodame nennt. Nicht in der Kundenbetreuung tätig, sondern im Verwaltungsbereich, was eine Bank ja schließlich auch braucht, und ich verdiene recht ordentlich. Aber das nur am Rande. Das bedeutet also, ich mache mich morgens in der Frühe hübsch, zupfe mich adrett zurecht, verbringe in dieser adretten Aufmachung meinen Arbeitstag an meinem Schreibtisch, um ebenso hübsch und adrett nach Feierabend den Betrieb wieder zu verlassen und in Ruhe nach Hause zurück zu kehren. So sollte es jedenfalls sein. So war es zumindest noch bis zum November 2005. Und so ist das ja auch noch. Am Montag, Dienstag und Donnerstag. An diesen Tagen kehre ich hübsch und adrett nach Hause zurück, so wie ich mein Heim am Morgen verlassen habe. Mittwochs sieht das etwas anders aus. Mittwoch abends verlasse ich zwar hübsch und adrett meinen Arbeitsplatz, doch bis ich dann zu Hause bin, ist von hübsch und adrett nicht mehr viel übrig! Meine mittwöchige Heimkehr gestaltet sich Woche für Woche als Fiasko, nach welchem ich noch im Flur meiner Piepshauser Wohnung auf die Knie sinke, ins Wohnzimmer rutsche, wo ich vor acht Jahren in einer besonderen Ecke einen kleinen Schrein errichtet habe, und vor diesem lauthals drei Gegrüßet-Seiest-Du-Maria und fünf Rosenkränze als innigen Dank für eine glückliche Heimkehr herunterleiere. Und eine Kerze anzünde.
Warum? Nun, weil ich seit November 2005 am Mittwoch immer vom Büro abgeholt werde! Von diesem Männchen. Aber nicht mit dem Fahrrad, sondern mit dem Auto! Ganz stilecht! Ich sollte eigentlich richtig stolz ob dieser Fürsorge sein! Aber ist schon mal jemand mit DEM am Steuer im Auto mitgefahren?
Das kommt noch. Kommt alles noch, wir werden schon sehen …
Nun stellt sich die Frage, wie die propere Bürodame ihre hübsche, adrette Heimkehr des Freitags gestaltet. Nun, gar nicht. Denn am Freitag hat sie gefälligst gleich nach Feierabend ihre Aufwartung in einem anderen „Käffle“ namens Brummelbach zu machen. Weil dort das Männlein, das dort wohnt, seine Kleenäää schon sehnsüchtig erwartet! Das wird dann ein jedes Mal eine nervenaufreibende Aufwartung, die bis zum Sonntag Nachmittag andauert. Ja, diese Aufwartung übers Wochenende gestaltet sich so Kräfte zehrend, dass am Sonntag Abend die propere Bürodame um 17 Uhr weder hübsch noch adrett ihre Heimkehr nach Piepshausen absolviert, sondern wie ein an Leib und Seele ramponiertes Etwas, aschfahl und mit dem Blick eines gehetzten Tieres, die eigene Wohnung wieder betritt, die Tür hinter sich zuknallt, zweimal abschließt und erneut kniewärts Richtung Wohnzimmer und Schrein kriecht, um dort eine Viertelstunde lauthals