Oooh, Dicker, mein Dicker .... Jamo Mantam

Oooh, Dicker, mein Dicker ... - Jamo Mantam


Скачать книгу
fahren müssen …

      Am Montag in der Frühe habe ich mich dann so weit wieder erholt, um eine neue Runde propere Bürodame aufs Parkett zu legen.

      Resümee: der Mittwoch ist versaut, der Freitag ist versaut, Samstag ebenfalls, Sonntag arbeite ich mich wieder aus der durchlebten Katastrophe heraus, - der Rest gehört mir. Darauf bestehe ich! Die schönsten Tage der Woche sind für mich der Montag, der Dienstag und der Donnerstag. Alles andere ist der blanke Horror. Seit dem 13. November 2005. Denn seit diesem Tag gehört sie mir, diese wandelnde Katastrophe. Mir ganz allein. Und ich werde sie nicht wieder los.

      Diese allgegenwärtige Katastrophe hat einen Namen. Sie heißt Dicker. Mein Dicker, ja ja …

      Nun, eigentlich heißt er anders. Nennen wir ihn einfach Glaubert. Jürgen Glaubert. Aber zu Anfang unserer Zwangssymbiose konnte ich mich mit diesem Namen nicht anfreunden, zumal einer meiner Verflossenen ebenfalls Jürgen geheißen hatte, und dann hatte ich noch mal einen Jürgen irgendwann später, und bei der Nummer Drei kam ich irgendwie ins Schleudern. Somit schaffte ich diese Irritation kurzerhand aus der Welt, indem ich mich zu einem kurzen, prägnanten „Dicker“ entschloss, und darauf hört er. Meistens. Er nennt mich „Kleine“. In seinem ihm ganz eigenen Jargon „Kleenäää“. Nur um des besseren Verständnis willen: Er trumpft bei einer Körpergröße von 1.84 Meter mit einem Gesamtgewicht von knappen 80 Kilogramm auf. Er ist also keineswegs dick. Und ich messe 1.70 Meter. Bin also nicht kleinwüchsig. Theoretisch hätten wir uns auch Dick und Doof nennen können, aber wir haben es bei „Dicker“ und „Kleenäää“ bewenden lassen. Wir jedenfalls wissen, wer gemeint ist.

      So. Ich denke mal, das Wesentliche haben wir jetzt. Wie also kam es nun, dass ich mir diese Katastrophe auf zwei Beinen – oder auf einem Fahrrad – überhaupt auf die Pelle gezogen habe und sie nun nicht mehr wieder los kriege? Fangen wir noch einmal beim Wurststand an.

      Zu Anfang bemerkte ich ihn gar nicht, wenn ich am Dienstag in meiner Mittagspause zum Bratwurststand pilgerte, um an meinem Hüftgold zu arbeiten. Immer nur am Dienstag machte ich das, einmal die Woche, und ich dachte mir nichts, als er mir das erste Mal überhaupt auffiel. Als er mich sozusagen entdeckte. Auf seinen ewigen Touren durch die Stadt. Später hat er mir mal erzählt, ich hätte ihm einfach gefallen, und mein dienstägliches Ritual habe er erst durch Zufall erkannt. Jeden Dienstag ab dem Sommer 2005, nachdem er meinen pünktlichen Rhythmus kapiert hatte. Da wartete er schon auf mich. In respektvoller Entfernung zunächst, schaute er meinem unspektakulären Treiben am Wurststand zu, umradelte mich behutsam in weiten, vorsichtigen Kreisen, beobachtete, schätzte ab. Und mit jeder Woche, die folgte, wagte er sich mitsamt seinem treuen Drahtesel ein wenig näher heran. Wie gesagt, ich bemerkte zunächst nichts, war zu sehr mit mir selbst und meinem vollkommen ruhigen Dasein eins und wurde in meinem Tran erst später seiner überhaupt gewahr, wie er da jeden Dienstag Mittag gegen 12.30 Uhr auf seinem Radel um mich herum mäanderte. Dienstag um Dienstag immer ein paar Meter näher. Bis er sich dann eines Tages, als er sich bis auf fünf Meter an mich herangearbeitet hatte, genug Mut zusammengekratzt hatte, um mich, die ich Wurstsemmel kauend in die Gegend hinein träumte, mit jenem einzigen Wort ansprach, das ab sofort mein ganzes Leben auf den Kopf stellen sollte.

      „Schmeckt’s?“

      Ich hätte sofort weglaufen sollen …

      Statt dessen hob ich meinen verschlafenen Blick zum ungebetenen Frager, blinzelte träge und schaute erstmals in meinem Leben in dieses eigenartige, durchaus ansprechende Koboldsgesicht, nicht schön, nicht hässlich, leicht schiefe Nase, unrasiert. Hellblaue Augen, breiter Mund, der sich sogleich in dieses typische, so bezeichnende Clownsgrinsen verzog, dem ich zwar nicht verfiel, das mich aber irgendwie in seinen Bann zog. Und da ich ja ein höflicher Mensch bin, nickte ich, nachdem ich meinen Bissen geschluckt hatte. Ja, es munde mir. Diese Würstchen hier seinen nicht schlecht! Er schenkte mir wieder dieses Clownslächeln, weilte bei mir, wobei er ruhige Achten auf seinem Rad um mich herum zog. Als ich mein Mahl beendet hatte, verabschiedete ich mich mit den Worten: „Na, ich muss dann mal wieder“, brach auf und verschwendete keinen Gedanken mehr an diese seltsame Kreatur.

      Ich hätte weglaufen sollen.

      Am nächsten Dienstag war er dann wieder da. Und am übernächsten. Ab sofort jeden Dienstag. Und immer dieses Lächeln, immer dieses Fahrrad, immer dieses „Schmeckt’s?“

      Eigenartig …

      Irgendwann, nach dem fünften oder sechsten „Schmeckt’s?“, beschlich mich in meiner verschlafenen Trance dann doch der vage Verdacht, einem indirekten Belagerungszustand ausgesetzt zu sein, und nachdem mich dies Männlein auf seinem Fahrrad zum x.sten Male um den Wohlgeschmack meines Nahrungsgutes befragt hatte, trug ich meinerseits den Vorschlag vor, er möge sich doch selbst ein solches Thüringer Rostbratwürstchen erwerben, um sich ein Bild von meinen kulinarischen Vorlieben machen zu können. Woraufhin er abwinkte und dann nach einem weiteren halben Dutzend um mich herum gezogener Achten zu meinem hellen Entsetzen beantragte, einmal von meiner eigenen Wurstsemmel abbeißen zu dürfen … Selbstverständlich nur, um sich einfach von dieser von mir heiß frequentierten Wurst überzeugen zu können!

      Dieses mein Entsetzen übermannte mich nicht nur angesichts jener überaus kühn vorgetragenen Bitte, einen mir eigentlich wildfremden Mann von meiner Stulle beißen zu lassen! Sondern vielmehr angesichts seiner Aussprache! Einer Aussprache, die es mir, einem reinrassigen, stolzen Schwabenmädel, eiskalt den Rücken herunterrieseln ließ! Denn dieser Slang, der sich mir bot, war bis vor dem legendären November 1989 in unseren so genannten westlichen Gefilden nur sehr, sehr vereinzelt vernehmbar gewesen, und wenn, dann wurde dieser Akzent belächelt und nachgeäfft. Gut, heutzutage hört man ihn überall, diesen eigentümlichen Dialekt; mittlerweile ist ja alles verseucht von ihnen. Doch dass ausgerechnet mir, die ich mir meine Gefährten an meiner Seite stets aus dem selben Stall ausgesucht hatte, nun ein Vertreter dieser wahrhaft seltsamen Spezies gegenüberstand und verlangte, von meiner Wurst abbeißen zu dürfen, das schockierte mich bis in die Knochen! Handelte es sich doch da um einen echten kleinen Sachsenbuben, der mich umkreiste! Ein Sachse reinsten Geblüts, dessen Art der Artikulation einem glattweg die Schuhe auszog und dieses Silben schluckende, Umlaute zerquetschende, näselnde Geknötel einem den Schweiß auf die Stirn trieb!

      In meinem abgrundtiefen Schrecken ob dieser obskuren Art der Verständigung ließ ich ihn, all meine Grundsätze über das Abbeißen von fremden Broten über Bord werfend, tatsächlich mein Mahl mit mir teilen, wobei er mit einem gewaltigen Bissen zwei Drittel meines Brötchens samt Wurst und Senf vertilgte und er meine saubere, kleine Brötchenhand mit einer gewaltigen, schmutzigen Pranke umklammert hielt! Und noch während er begeistert kaute, schlang und würgte, als stünde er knapp vorm Hungertod, vermeldete er mit vollem Munde und Senf verschmierten Mundwinkeln sein nicht sonderlich schmeichelhaftes Urteil über mein Mittagessen: „Na, det wusst’ ick doch glei’, dat det keene Thieringa is’, die is’ ja noch nich’ ma’ an Thiering’ voabai jeloof’n!“

      Für alle, die so etwas noch nie gehört haben, hier die Übersetzung: Na, das wusste ich doch gleich, dass dies keine Thüringer ist, die ist ja noch nicht mal an Thüringen vorbeigelaufen.

      Was ihn jedoch bei unseren weiteren Dienstags-Treffs nicht davon abhielt, jeweils um einen Bissen anzufragen. Das ging so lange, bis es mir zu blöde wurde, mir jedes Mal mein Essen wegfressen zu lassen und ich dazu überging, ihm schon immer ein zusätzliches Wurstbrötchen mitzukaufen. Zwar, so versicherte er mir, seien diese Brötchen samt den gefälschten Thüringern ihr Geld nicht wert, doch sobald ich ihm ein eigenes erwarb, nahm er gern, wenn auch mit herablassender Hochnäsigkeit an. Und hierbei legte er mir folgende Weisheit, die ja durchaus eine gewisse Wahrheit beinhalten mag, ans Herz: Die Schwaben können keine Wurst machen. Ja, das ist tatsächlich nicht von der Hand zu weisen, wie ich viel später bei einem unserer Besuche in seiner alten sächsischen Heimat feststellen durfte. Für einen wahren Liebhaber und Kenner von wahrhaft himmlischen Brat- und Brühwürstchen mutet alles, was jenseits der ehemaligen Grenzen nach Osten hin hergestellt wird, wie das Eldorado an. Aber musste man mir das wirklich jeden Dienstag aufs Neue vorkauen?

      Nun, jedenfalls sah ich mich hier einem reinrassigen Sachsen gegenüber, der sich zu allem Unglück und erfolglos in schwäbischer Artikulation versuchte, alles


Скачать книгу