Herzensöffnung (2): Versöhnung. Hero Leander
„Ja, und am nächsten Tag war ich schwanger!“, sagte Andrea etwas zynisch.
„Na und? Bereust du es?“
„Heute nicht mehr. Aber damals schon.“
„Warum? Du hast einen Mann, der dich sogar geheiratet hat. Denk mal an mich. Ich hatte es viel schwerer. Wolfram hat zu mir immer gesagt, dass ich nichts zu bereuen hätte. Ich solle einfach dazu stehen, denn es ist meine Vergangenheit und gehört zu mir. Das hat mir über vieles hinweggeholfen.“
„Das hat Wolfram wirklich gesagt? Dann scheint er mit deiner Vergangenheit wirklich kein Problem zu haben. Du bist zu beneiden!“, sagte Andrea. „Und das sagt eine frisch verheiratete Frau!“ erwiderte Maria lächelnd und kopfschüttelnd.
Jetzt mussten beide lachen. Da klopfte es an die Tür und Eva rief: „Das Mittagessen ist fertig.“ Andrea verstaute die Bilder an einer Stelle, an der sie vermutlich niemand sofort entdecken würde, und anschließend gingen sie mit Eva runter ins Wohnzimmer.
Nach dem Essen verabschiedeten sich Maria und Wolfram von den Eltern. Die Kinder ließen sie da, weil sie sonst während der ganzen Veranstaltung allein im Hotel gewesen wären. Dann sagten sie, dass Pappa und vor allem Andrea möglichst zwanzig Minuten vor 16.00 Uhr im Hotel sein sollten. Wolfram und Maria fuhren zum Hotel zurück und ruhten sich dort noch eine Stunde aus, eh sie sich auf die Veranstaltung im Saal vorbereiteten. Maria hatte dabei nicht viel zu tun, aber Wolfram vertiefte sich in Dokumente, Berechnungen und Zeichnungen.
Gegen 15.30 Uhr gingen sie dann wieder nach unten. Wolfram hatte dafür extra einen hellbraunen Anzug aus Sonnenberg mitgebracht, den er jetzt trug. Sie nahmen die Hochzeitstafel gleich als Präsidium. Wolfram saß in der Mitte und rechts von ihm Maria, dann Olaf. Links von ihm saßen Sven und Andrea. Vom DJ, der diese Veranstaltung mit seiner Technik sicherstellte, bekam er das Mikrofon auf einem kleinen Tischständer. Als Marias Vater kam, war ungefähr das halbe Dorf da. Kjeld fand es gut, dass er unter den anderen im Saal sitzen konnte.
Pünktlich 16.00 Uhr begann Wolfram: „Liebe Freunde aus Håp Land. Ich bin vor zehn Monaten das erste Mal hier gewesen. Sie wissen das. Damals war ich von Ihrem Land so begeistert, dass es mich auch jetzt noch immer wieder hierherzieht. Und diese Begeisterung liegt nicht nur an Maria. Es sind die unberührte Natur, die Wälder mit ihren Tieren und die Ruhe, die diese Natur ausstrahlt. All das werden Sie in Deutschland nur selten finden. Deutschland ist dicht besiedelt. Von einem Ort zum anderen sind es oft nur ein bis zwei Kilometer. Dazwischen liegen meist Felder für die Landwirtschaft. Für Wälder und unberührte Natur ist da nicht viel Platz; höchstens in den Gebirgen. Aus dem Grund haben viele Deutsche Sehnsucht nach Natur und Ruhe.
Bei Ihnen ist das eher umgekehrt. Sie würden gern mehr in Wohlstand leben, Ihre Häuser modernisieren, vielleicht auf Öl- oder Gas-Heizung umstellen und etwas von der Welt sehen. Bei dieser Erkenntnis ist mir die Idee gekommen, dass beiden geholfen werden kann, Ihnen und auch den Deutschen. Ich habe Monate darüber nachgedacht, bis ich eine Lösung gefunden habe, die auch für Sie von Vorteil ist. Dazu habe ich mit den Verantwortlichen in unserer Firma gesprochen, bis ich sie überzeugt hatte.
Wie können nun die Bewohner von Håp Land zu Wohlstand kommen? Durch einen Industriestandort hier in der Nähe nicht. Håp Land liegt viel zu abseits, als dass sich hier eine Industrie ansiedelt. Aber mit Tourismus geht das sicher. Touristen lieben das Abgeschiedene und die unberührte Natur. Nun hätte es aber wenig Sinn, wenn hier ein neues, größeres Hotel entstehen würde. Dieses hier verschandelt schon die Gegend, aber es ist nun einmal da. Wie wäre es denn, wenn Sie bei sich Touristen aufnehmen würden? So könnten Sie auch an ihnen verdienen. Das wäre ein Arbeiten von zu Hause aus. Etwas Besseres gibt es nicht.
Natürlich weiß ich, dass die meisten Häuser in Håp Land dafür zu klein sind und deutsche Touristen, um die es ja jetzt geht, Komfort gewöhnt sind. Also, wenn wir diese Touristen hierherlocken wollen, dann müssen wir ihnen etwas bieten. Na ja, ich weiß, die Deutschen sind hier nicht wirklich beliebt, aber sie würden Ihnen das Geld bringen, das Sie dringend benötigen. Hören Sie sich deshalb einmal meine Idee an.
Sie alle haben größere Grundstücke. Wenn Sie nun zuließen, dass auf Ihrem Grundstück ein modernes Ferienhaus gebaut würde, das nach vier Jahren in Ihren Eigentum überginge, müssten Sie dabei nichts bezahlen und hätten auch kein Risiko. In diesen Ferienhäusern würden Angehörige aus unserer Firma Urlaub machen. Das sind keine anonymen Menschen. Sollte es Probleme geben, reicht eine Beschwerde an den Beauftragten in unserer Firma. Hier gibt es seit heute eine Verbindungsperson zu unserer Firma. Es ist Andrea Aglund, bis vor Kurzem Lizell. Aus dem Grund sitzt sie hier vorn. Sie hat seit vier Tagen ein Telefon und auch einen Internetanschluss. Damit ist sie direkt mit unserer Firma verbunden. Das heißt, Beschwerden können innerhalb von 24 Stunden bearbeitet und auch abgeklärt werden. Maria ist in Deutschland der Übersetzer und auch Interessenvertreter für Sie. Sie können ihr vertrauen. Sie wird sich immer für Sie einsetzen.
Doch zurück zu den geplanten Ferienhäusern. Ein solches Ferienhaus würde ungefähr 725.000,- NOK kosten. Das würde unsere Firma bauen lassen und finanzieren. Pro Jahr zahlen die Touristen zusammen bis zu 180.000,- NOK. Nach vier Jahren wäre somit das Ferienhaus bezahlt. Wenn aber jemand unter Ihnen sein Haus modernisieren, zum Beispiel eine Zentralheizung einbauen möchte, der kann dies über das Ferienhaus mitfinanzieren. So würde er dann erst nach vielleicht fünf Jahren Eigentümer des Ferienhauses sein. Das lässt sich alles machen. Sollte gar kein Urlauber kommen, werden trotzdem pro Jahr 180.000,- NOK abgeschrieben. Es ist Sache der Firma, dass sie Urlauber für die Ferienhäuser findet. Ein Ausbleiben der Touristen kann Ihnen nicht zur Last gelegt werden.
Nun werden einige fragen: Was nützt es uns heute, wenn wir erst in vier Jahren von den Urlaubern Geld bekommen? Auch darauf habe ich eine Antwort, die Ihnen gefallen könnte. Ich gehe mal davon aus, dass die meisten Frauen immer zu Hause sind, das heißt nicht außerhalb des Dorfes arbeiten. Sie könnten den Urlaubern Frühstück und Abendbrot anbieten und bei Bedarf auch Mittagessen. Diese Verpflegung bekommen Sie natürlich von den Urlaubern bezahlt. Ein Frühstück für 50,- NOK ist für Deutsche preiswert!“
Ein Raunen ging durch den Saal. Doch Wolfram sprach weiter: „Ein Abendbrot für 100,- NOK und ein Mittagessen für 150,- NOK sind für Deutsche ebenfalls preiswert. Für Kinder sind die Deutschen gewohnt, die Hälfte zu bezahlen. Ich glaube, mit diesen Preisen wäre eine Verköstigung der Urlauber auch für Sie interessant. Was halten Sie von diesem Vorschlag? Könnten sich einige unter Ihnen vorstellen, auf diesen Vorschlag einzugehen?“
Die Dorfbewohner im Saal diskutierten. Olaf Jansen sagte zu Wolfram, er würde auf dieses Angebot eingehen, wenn er noch ein paar Antworten bekäme. Da meldete sich der Wirt von der Dorfschenke und fragte: „Mir würde so ein Ferienhaus gar nichts nützen. Ich habe schon Gästezimmer und die bleiben auch fast ständig leer.“
„Stimmt!“ Viele nickten und gaben ihm recht.
„Für Sie und auch den Bürgermeister von Håp Land gibt es besondere Informationen direkt nach dieser Veranstaltung. Ich würde Sie dann an unseren Tisch bitten. Selbstverständlich müssen Sie keine neuen Quartiere bauen, sondern könnten Ihre jetzigen eventuell modernisieren. Eines kann ich Ihnen aber versprechen. Wenn wir uns einig werden, dann werden Ihre Zimmer bald nicht mehr leer sein. Interessenten gibt es genug in Deutschland. Sie wissen nur nicht, dass es hier in Håp Land ein solches Angebot gibt.“
Da meldete sich Jens Bergström: „Bekommen wir alle diese Zusicherungen auch schriftlich?“
Wolfram antwortete: „Selbstverständlich! Sie sind Teil des Vertrages, den Sie unterschreiben würden. Natürlich würde jeder Vertrag den einzelnen Wünschen und Bedingungen angepasst und ausgerechnet, bevor Sie ihn unterschreiben. Alles wird offen, ehrlich und fair zugehen.“
„Und was verdienen Sie oder Ihre Firma dabei?“
„Ihre Frage ist verständlich. Aber die Antwort wird Sie vermutlich verwundern. Die Preise entsprechen den Kosten für den Bau. Daran verdient weder die Firma noch ich.