Im Schatten des Burn-outs. Pina Petersberg

Im Schatten des Burn-outs - Pina Petersberg


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zu erstatten.

      „Pina, bitte, schwing dich zum Posing auf Antoinettes Rücken“, forderte er mich enthusiastisch auf. Und das noch dazu mit einem Tritthocker! (Aus dem Alter, in dem ich von hinten über die Kruppe aufgrätschen konnte wie beim Voltigieren, war ich heraus.) Glücklicherweise gelang es mir, diesen Auftrag, mit dem ich mich nicht wirklich identifizierte, an eine junge, hübsche Azubi zu delegieren, die sichtlich gern diese Chance der Publicity ergriff und wirksam ihre blonde Mähne und die nostalgischen Hängerohrringe in Position schüttelte. Gern ließ sich Panther mit ihr für die Titelseite ablichten, mit vor Stolz geschwellter Brust neben Siliconpolstern stehend, denn die modische Azubi hatte der Natur nachgeholfen.

      Nach einer Woche war der Spuk vorbei. Die Gäste hatten ihren Zweck erfüllt und bei sinkenden Pegelständen und nach erfüllter Werbemission wurden die Lieblinge zu ihren Besitzern entlassen. Antoinette erhielt eine ausschleichende Dosis Lebenselixier und wurde aufbauend auf Vollwertkost mit Möhren, Äpfeln, Heu und Hafer umgestellt, während ihr Konterfei weiter mit Panther an ihrer Seite auf Werbeplakaten prangte. Von nun an graste sie ökologisch in meinem Mondscheingarten inmitten einer weißen Blumenpracht von Hortensien, Rosen, Margeriten, Rhododendron und nicht zuletzt Gänseblümchen, die allabendlich in der Dämmerung leuchteten, wenn ich von meinem Tageswerk heimkehrte.

       DIE ESSBARE STADT STEIGERT DEN ABSATZ

      Panthers Modellprojekt, die essbare Stadt, war ebenfalls zu großen Teilen überflutet worden. Wenn ich auch sonst wenig Mitleid mit Panther hatte, dies tat mir aufrichtig leid, denn in dieser Stadt wuchs in allen Gärten Gemüse und Obst, ebenso wie auf Brachflächen Nutzpflanzen angebaut wurden, insbesondere Kartoffeln, Möhren und Bohnen. Wein rankte an Friedhofsmauern. Auf den Dächern wuchs Gemüse unter Plexiglas, so reiften Gurken, Salat, Tomaten, Basilikum und köstlich erfrischende aromatische Wassermelonen. Diese Form der Selbstversorgung war transparent und schaffte Nähe zur Landwirtschaft und urbanen Natur. Die Produkte waren ausgezeichnet durch ihre Regionalität, Frische, geringe Schadstoffbelastung, kurze Transportwege und Wertschöpfungsketten. Es war eine Form des Rückzuges auf das Wesentliche, Authentische vor der eigenen Haustür. Purismus statt Hype. Alle Bewohner gingen äußerst achtsam mit diesem neuen Lebensraum um und hatten sich jeweils mit ihren individuellen Fähigkeiten bei der Gartenpflege eingebracht: die jüngeren mit ihrer körperlichen Kraft und Geschicklichkeit bei der Anlage und Pflege der Beete und der Beseitigung überflüssiger Zierpflanzen, beim Fällen nun nutzloser Nadel- und Laubbäume, während die ältere Generation ihren Erfahrungsschatz bereitstellte. Hierdurch war ein enormer sozialer Zusammenhalt entstanden, nicht nur unter den Bürgerinnen und Bürgern, auch in der Tierpopulation. Kein Hund oder Straßenköter hob mehr sein Bein an diesem essbaren Grünraum. Selbst die Hündinnen pinkelten in Gullys. In einem effizienten, ökologischen Kreislaufsystem nutzen die Gärtner Sonnenenergie, Regenwasser, Abwärme und Abwasser der Gebäude. Panther hatte dieses Vorzeigeprojekt besonders dadurch honoriert, dass es acht Wochen Biokoka in Hülle und Fülle geben sollte, zu Werbezwecken natürlich und mit dem entsprechenden Medienrummel verbunden. Nun war der Deich durch diese ungewohnte Vegetation an einer entscheidenden Stelle porös geworden und die innovative Pracht wurde nach dem Dauerregen von reißenden Strömungen überschwemmt. Eilig ließ Panther von Mutter, der fürsorglichen, dabei energischen ersten Sekretärin, eine außerordentliche Sitzung der gesamten Belegschaft einberufen.

      „Neptun“, hub Panther bedeutungsschwer an, „ich lege die Rettungsaktion unseres Vorzeigeobjektes vertrauensvoll in Ihre erfahrenen Hände – die ja bekannter Weise mit allen Wassern gewaschen sind“, endete er in dem ihm eigenen, leicht ironischen Tonfall und lächelte jovial und selbstgefällig. „Ich hoffe, Sie machen Ihrem Namen alle Ehre.“

      Neptun lief puterrot an vor Überraschung, denn insgeheim bereitete auch er sich auf seine Pensionierung vor und hatte gehofft, es sei Zeit, dass das Ruder von Nachwuchskräften oder zumindest jüngeren Kollegen geschwungen wurde. Aber er fing sich alsbald und ließ Gummistiefel austeilen.

      „Präferieren Sie lange Öljacken oder Goretex-Anzüge?“, fragte er pragmatisch in die Runde. Sofort entbrannte eine lebhafte Diskussion und das Team spaltete sich in die Anhänger der alt bewährten signalfarbenen gelben Öljacken und die Verfechter von Atmungsaktivität durch Luftdurchlässigkeit gegen Transpiration. Ich enthielt mich diplomatisch der Stimme, was mir einen Ellbogenstoß von Gesine einbrachte, die Unentschiedenheit nicht ausstehen konnte. Schließlich stimmte Neptun zu, dass alle Rettungskräfte wahlweise ausgestattet werden durften, solange das Konzern-Logo sichtbar imprimiert war und auch die Goretex-Jacken eine gelbe Signalfarbe aufwiesen.

      Für den folgenden Morgen bestellte Neptun den Betriebsbus und kommandierte die gesamte Belegschaft unseres Konzerns – selbst die ältere Generation – zum Füllen von Sandsäcken ab. Der ärztliche Dienst hatte außerdem notdürftig erste Hilfe zu leisten.

      Meine besondere Mission war es, an die frustrierte Bevölkerung der essbaren Stadt unser Lebenselixier zur Förderung regenerativer Energien zu verteilen. Dies hinterließ ein unangenehmes Gefühl in meiner Magengrube, denn ich war keineswegs von der nur wohltuenden Wirkung unserer Hausmarke überzeugt und es erfüllte mich mit Trauer, dass selbst die Not dieser vom Schicksal gebeutelten Menschen noch zu kommerziellen Zwecken genutzt werden sollte. Es war ja keinesfalls ein freigiebiges, uneigennütziges Geschenk von Panther, sondern er erhoffte sich durch den Reklameeffekt weitere Absatzsteigerungen. Deshalb murmelte ich bei der Abgabe an sich mir erwartungsfroh entgegenstreckende Arme schuldbewusst und kaum hörbar: „Grüner Tee mit Zitrone stärkt auch sehr gut die Abwehrkräfte“ und verteilte zusätzlich Senchabeutel aus meinem eigenen Bestand.

      Ein kleines, rothaariges Mädchen mit Sommersprossen spuckte den Energydrink tatsächlich aus, offensichtlich hatte sie ein gesundes Empfinden. Ihre Mutter, in Gummistiefeln, zerzaust und durchnässt von allen Strapazen, zog sie eilig weg, während sie in die Pfützen stapfte und aufmüpfig krähte: „Plitscheplatsch, pudelnass. Das macht Spaß.“ Ich bereitete ihr die Freude, gemeinsam in meinen nagelneuen, signalgelben Gummistiefeln durch die Miniaturseenlandschaft zu stapfen. Sie fand mich lustig, vermutlich, weil ich mit meinen grünen Augen mit den von vielen Regentropfen leicht geröteten Rändern und den vor Feuchtigkeit struppigen Haarsträhnen, die in alle Richtungen abstanden, aussah, wie das Pendant zum Wassermann. Es fehlte da nur der Seetang.

      Nach zwei Tage dauerndem, unermüdlichen Einsatz war endlich Land in Sicht, die Pegelstände sanken. Erste Anwohner konnten in ihre Häuser zurückkehren und die Aufräumarbeiten dort fortsetzen. Offensichtlich hatten sogar die meisten Nutzpflanzen am Boden überlebt, wenn auch die Ernte dieses Jahr karger ausfallen würde und überwiegend durch den Dachanbau bestritten wurde. Tatsächlich steigerte diese erfolgreich unterstützte Rettungskampagne den Absatz unserer Wunderdroge Biokoka nahezu um das Doppelte.

       AUSGEBEUTETE BEUTE

      Nachdem wir erschöpft in den Konzern an unsere Schreibtische zurückgekehrt waren, nahm dementsprechend der Papierkrieg zu, denn alle Details der erfolgreichen Rettungsaktion mussten für die Metaanalysen minutiös dokumentiert und ausgewertet werden. Hierfür wurde aus zeitökonomischen Gründen und zur Optimierung der Effektivität die elektronische Akte optimiert. Leider steckte ihre Technik noch in den Kinderschuhen. Sie konnten nur schrittweise und nach dem Käsekästchenprinzip von billig akquirierten Hilfskräften seitenweise eingescannt werden. Das Entziffern der Käsekästchen war sehr mühsam und zeitintensiv, denn jede Seite musste einzeln angeklickt werden und es war nicht möglich, zu scrollen oder gar elektronisch zu blättern. Das blieb Zukunftsmusik. Übersichten gab es nur im Miniaturformat, sodass Stecknadeln in Heuhaufen gesucht werden mussten. Meine Augen brannten, die Bindehaut trocknete aus und bereits am frühen Nachmittag flimmerten und tanzten mir die elektronischen Buchstaben auf der Nase herum. Sie führten ein Eigenleben. Was ich nicht auf den Schirm bekam, würde früher oder später eine wie auch immer geartete Kontrollinstanz auf den Screen rufen. Diese Furcht nagte an mir, die ich hilflos wie in einem Hamsterrad gegen die Schrumpfung der Gegenwart ankämpfte.

      Zum Scannen flog Fade Leiharbeiter aus Übersee ein. Sie wurden wie Ware gehandelt, teilweise direkt durch wechselnde Überlasserfirmen oder über weitere Ombudsmänner. Er setzte sie auch für Putz-


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