Briefgeschichte(n) Band 2. Gottfried Senf

Briefgeschichte(n) Band 2 - Gottfried Senf


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jedweder Art, diese Oberflächlichkeiten immer und überall, das geht auf die Dauer nicht gut.

      Der Lehrerin in Dover, Frau Shuler, habe ich vor Weihnachten einen langen Brief geschrieben. Leider erhielt ich noch keine Antwort. Ich fürchte, dass wieder mal ein Brief verschütt gegangen ist oder übermäßig lange unterwegs war. Das trat doch in unserem Briefwechsel auch einmal auf, jedenfalls auf dem Weg von Deutschland nach drüben. Sie hat doch bestimmt eine E-mail-Adresse. Gunter Neuhaus, der in den letzten Jahren auch mit ihr in Verbindung stand, wusste ebenfalls nichts Neues. Schade. Mit Virginia gibt es ab und zu ein FAX. Letztens schrieb sie, am liebsten würde sie mich mit "Gottfried" anreden. "Warum nicht?" konnte ich nur antworten. Jetzt scheinen sie aber wieder unterwegs zu sein, obwohl es ihrem Mann Robert gesundheitlich nicht gut gehen soll. Weißt Du etwas Näheres? Beide sind ja nun auch nicht mehr die Jüngsten.

      Unsere Woche in Bad Birnbach, die zweite nun schon, verlief wieder ganz nach unseren Erwartungen. Birnbach liegt bei Passau und wirbt mit dem Slogan "Das ländliche Bad". Deine Befürchtung, wir seien krank, trifft nicht zu! Uns bekommt das Thermalbaden sehr gut. Wir bezahlen alles selbst, Arzt und Krankenkasse haben gar nichts mit diesem "Kurlaub" zu tun. Karin hat sich inzwischen auch an die Sauna gewöhnt. Viel Spazierengehen und Kneippbaden, Schwimmen – alles in sehr angenehmer ruhiger Atmosphäre. An einem Tag in der Woche nehmen wir uns eine Sehenswürdigkeit vor, z.B. Passau (Dom mit der größten Orgel Europas), Salzburg (Kommentar überflüssig), das Museumsdorf im Bayerischen Wald. Dieses Jahr waren wir auf dem Obersalzberg. Seit Herbst 1999 gibt es dort ein ausgezeichnetes Dokumentationszentrum, wirklich gut gemacht und zwar so, dass etwaige Nostalgie-Touristen, die nach irgendwelchen "Spuren des Führers" süchtig sind, ernüchtert werden. Nach dem Besuch der Ausstellung fragt man sich wieder einmal: 12 Jahre - so eine winzige Zeitspanne und welche Wirkungen! Welch eine Begeisterung und welch ein "Anhimmeln" der Masse gegenüber einer Clique von Machthabern! Zahlreiche Bergbauern mussten von 1933 bis 39 ihre Höfe aufgeben, wurden "umgesiedelt", damit Bonzen wie Göring, Goebbels, Bormann dort ihre "Hütten" errichten konnten.

      Zu Ostern ist eine Woche Fuerteventura mit dem Enkelsohn angesagt. Leider ist der Hinflug zeitlich äußerst ungünstig. Start 5.00 Uhr in Dresden! Thüringen und Sachsen haben gerade einmal gleichzeitig Ferien. Allerdings muss der Enkel bis dahin noch tüchtig in der Schule arbeiten. Unsere Tochter hat so einige Probleme mit ihm. Er geht in die 6. Klasse des Gymnasiums und es fehlt an der nötigen Ausdauer und Hartnäckigkeit----- siehe oben: FUN-Gesellschaft, Fernsehen, Computerspiele, CD .... Aber die Schule hat ebenfalls ein Teil der Schuld: sehr viel Ausfall, eine erschreckende Gleichgültigkeit einiger Lehrer, fast fehlender Kontakt zwischen Schule und Eltern.

      Was gibt es sonst noch?

      Wenn das Wetter besser wird, gibt es draußen in Tautenhain im Garten eine Menge zu tun. Zur Zeit ist es recht unangenehm, kein richtiger Winter, aber nass und kalt, windig und schmuddelig. Das Radfahren kam sehr kurz und ich merke es am Bauch! Das viele Sitzen am Computer macht sich bemerkbar. Karin hat mit der Schule vollauf zu tun. Aber die Woche in Bad Birnbach hat ihr gut getan. Ich gebe nebenbei (im Rahmen meiner Hinzuverdienstgrenze) an einigen Tagen der Woche Unterricht in Mathematik und Physik an einer Privatschule bzw. mit einigen Schülern bei mir zu Hause. Über Langeweile kann ich wirklich nicht klagen. In Geithain geht alles so seinen Gang. In der Stadtverwaltung scheint Kontinuität eingetreten zu sein. Mir ist der Bürgermeister Galisch eigentlich ganz sympathisch, obwohl immer mal in der Zeitung Gegenstimmen zu Wort kommen. Das Eckhaus Risse mit dem Nachbarhaus "Ratskeller" wurde vor einigen Wochen restlos abgebrochen, inzwischen sind die Konturen eines neuen Wohn- und Geschäftshauses bereits erkennbar. (Bild 13a,b) Das Porphyrportal und die Wand zum Markt hin werden erhalten, insgesamt scheint die Ecke recht gut zu werden. Von Risses Haus war ja schon seit Mitte der 1980er nichts mehr vorhanden. Die Terrasse mit den stilisierten Stadtmauerstücken diente in den letzten Jahren lediglich der Präsentation einiger Geithainer mit ihren Hunden und Trinkutensilien!!

      Damit soll es für heute genug sein. Wir wünschen Euch ebenfalls ein schönes Osterfest und sonst natürlich Gesundheit und Wohlergehen! Schön wäre es, wenn wir uns in Georgetown einmal wiedersehen könnten. Aber in diesem Jahr ist so etwas rein zeitlich leider nicht möglich. Und wie ist es bei Euch? Kommt Ihr dieses Jahr nach Deutschland, vielleicht auch zur Weltausstellung in Hannover?

      Viele liebe Grüße und alle guten Wünsche von Geithain nach Georgetown von Karin und Gottfried

       14. März 2000

      Lieber Gottfried, liebe Karin, gestern war großer Empfangstag: Zum Lunch kam Dein geradezu sagenhaft langer Brief vom 06. März mit Einlage. Nach dem Abendessen brachte uns unsere Tochter den Ausdruck des Anhangs Deiner E-Mail an sie mit dem interessanten Artikel des Herrn Holz aus der Leipziger Volkszeitung. Sehr vielen Dank für diesen Briefsegen. Ich will auch gleich antworten, sonst lassen mir die Vorbereitungen unserer Englandreise (4. April) keine Zeit mehr. Alles, was Du berichtest über Deine Geschichtsforschungen, ist faszinierend und natürlich kommt Dir da Dein Fenster zum Internet zugute. Mit Deinen Interessen lohnt es sich, modern zu sein. Das „Historic Emigration Center“ - toll, dass es so etwas gibt. Da erscheinen wir möglicherweise auch. Inhaltsverzeichnis? Wird das ein Buch, das man kaufen kann? Ein Titel? Es gibt ein schönes Buch von Fontane, „Wanderungen in der Mark“. Wie wäre es mit „Erkundungen im Geithainer Land“?

      Kurt Klein: Was hat der wohl unterrichtet an der Paul-Günther-Schule in den 1930er Jahren? Ich kann mich nicht an ihn erinnern. Aber Rudolf Walter Leonhardt ist mir natürlich durch „Die Zeit“ sehr gut bekannt. Da las ich gerade (in „Die Zeit“) eine Besprechung der Erinnerungen des DDR-Historikers Fritz Klein. Ein Verwandter von Kurt Klein? Es ist toll, dass Leonhardt in Geithain aufgewachsen ist. Die Welt ist klein!

      Ich finde, wenn Sachen interessant sind, dann sind sie um ihrer selbst willen wert, erforscht zu werden. Um geldlichen Lohn sorgt man sich da nicht. Durch Guenther bin ich auch meiner Heimatstadt näher gekommen. Das ist ein schönes Ergebnis. Auf das Buch von Kurt Klein freue ich mich.

      „Unverbrüchlich“. Da musste ich lachen. Das hat etwas damit zu tun, dass wir (wir Menschen) sentimental und leicht zu Tränen gerührt sind. Ich würde es nicht nur den Deutschen zur Last legen, wenn sie sich von Leuten an der Macht beschwatzen und hereinlegen lassen. Das ist universal. Wie lange ist es her, dass ein amerikanischer Präsident wirkliches Format hatte? Roosevelt, Truman, Eisenhower. Die waren, jeder in seiner Art, von einer gewissen Größe. Kennedy? Da bin ich mir nicht so sicher. Nach ihm? Einige furchtbare Nieten, einige guter Durchschnitt, keiner sehr bedeutend. In derselben Zeit hatte Deutschland keinen richtigen Versager und mehrere Große, was nicht heißt, dass man unbedingt mit ihnen übereinstimmte. Aber Adenauer, Brandt, Schmidt, auch Kohl – trotz seiner Verfehlungen - die waren schon was. Amerika sieht sich gern als das „Land der Freien“. Inwieweit stimmt das? Es stimmt überhaupt nicht. Die Amerikaner sind die Opfer ihrer eigenen Legenden. Sie sitzen sozusagen im Gefängnis ihrer selbst fabrizierten Spinnereien. Irgendwann geht das schief, so wie es in Deutschland schief ging. Hitler hat uns nicht hintergangen. Er hat genau das gesagt, was wir hören wollten und uns mit unseren falschen Ideen von unserer Größe und Einmaligkeit besoffen gemacht. Dass hinterher keiner etwas gewusst haben wollte, war nichts als schlechtes Gewissen. Da wollte man sich vor der Verantwortung drücken. Der Papst? Wie schwer auf ihm die Geschichte der Kirche lastet! Ich beneide ihn nicht. Wenn er die Wahrheit sagen würde, dass das Ergebnis der Verteufelung der Juden als Gottesmörder durch die Kirche schließlich der Versuch der Ausrottung der Juden war, wenn er das zugeben würde, wäre es mit der Kirche aus. Das ist das wirklich Furchtbare an Auschwitz: dieser Ort ist die Grabstätte des Christentums. Was einmal so wunderbar anfing (mit dem Juden Jesus, der Mitleid und Liebe und Toleranz predigte) endete in der totalen Pleite, weil die machthungrigen Beamten der Kirche weder Mitleid noch Toleranz noch Liebe aufbrachten, sondern Verfolgung und Ausrottung Andersdenkender auf ihren Schild schrieben. Die christlichen Kirchen werden natürlich weiter bestehen und Leute werden sonntags zur Andacht gehen, aber als Gewissen der Menschheit hat dieser Verein ausgedient.

      Das Unglück Ostdeutschlands war, wenn ich das richtig sehe,


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