Briefgeschichte(n) Band 2. Gottfried Senf

Briefgeschichte(n) Band 2 - Gottfried Senf


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mich recht erinnere war er der „Bursche“ meines Vaters aus dem 1. Weltkrieg. Offiziere hatten „Burschen“, Soldaten, die ihnen die Uniform und Waffen in Ordnung hielten. Herr Stein erkrankte in noch jungen Jahren an Asthma und war ein Invalide für den Rest seines Lebens. Ich erinnere mich an ihn, ein geduldiger Mensch, der immer nach Luft rang und sich kaum bewegen konnte. Damals gab es keine Mittel für diese Krankheit. Er hatte eine Frau und einen Sohn, der etwa 5 oder 6 Jahre jünger als ich war. Sie lebten in einer unserer Wohnungen. Frau Stein war eine tüchtige Frau. Sie arbeitete auf dem Hof und an Waschtagen im Haus. Ihr Mann hatte eine Rente. Was wohl aus dem Jungen geworden ist? Herr Wüstner ist natürlich unser späterer Hofmeister, eine Seele von einem Menschen, durch und durch anständig. Alfred Rätzer, den Schweizer, habe ich nicht gekannt. In den späten dreißiger Jahren war Herr Uhlmann unser Schweizer, der Vater von Frau Anneliese Weissinger, die in Geithain wohnt und uns mit ihrem Mann Klaus im August d. J. hier besucht hat. Ja, der Sommerhof entstand aus zwei Bauernhöfen, dem der Familie Bauch und dem der Familie Götze. Der Letztere steht noch, halbwegs zwischen dem Sommerhof und der Tautenhainer Straße.

      - Die Broschüre von Paul Hammer zur Geschichte der Geithainer Schule habe ich gelesen und ich schicke sie demnächst mit Bemerkungen zurück.

      - Die sächsischen Herrscher von August dem Starken an (wenn ich mich nicht irre): August der Starke, Kurfürst von Sachsen, König von Polen/August III, Kurfürst von Sachsen, König von Polen/ Friedrich August I, König von Sachsen, von Napoleons Gnaden und Großherzog von Warschau, Anton I, König von Sachsen/ Friedrich August II, König von Sachsen/ Johann I, König von Sachsen, bedeutender Dante-Übersetzer/ Albert, König von Sachsen/ Georg, König von Sachsen – beide sind Söhne von Johann Friedrich August III, König von Sachsen. Er dankte, wie alle deutschen Fürsten, 1918 ab. Mein Großvater Ferdinand Sommer war ein „natürlicher Sohn“ (ein besseres Wort für „unehelich“) von Albert, der mit seiner Frau, einer Prinzessin aus dem Hause Wasa, keine Kinder hatte. Mein Großvater(s. Bild 1) war intelligent und ruhelos, aller paar Jahre tat er etwas anderes. Vor 1900 hatte er ein Hotel in Joketa, das „Hotel zur vogtländischen Schweiz“, er baute es aus und machte aus Joketa einen Luftkurort. Er war Ehrenbürger von Joketa und eine Straße ist heute noch nach ihm benannt. Um die Jahrhundertwende kaufte er Rittergut Lauterbach bei Oelsnitz. 1912 oder 1913 zog er nach Leipzig und im ersten Weltkrieg nach Geithain. Sie wohnten in der Villa am Bahnhof, die später der Zahnarzt Dr. Waurick kaufte. 1929 zogen meine Großeltern zurück in ihre Villa in Joketa. Er starb 1931 und meine Großmutter 1937. Er wollte, dass seine 3 Söhne Offiziere würden. Einer wurde General. Paul, der Jüngste, war Kampfflieger in der Richthofen-Staffel. Mein Vater Kurt wollte zunächst Landwirt werden und wurde auf der Landwirtschaftlichen Schule in Döbeln ausgebildet. 1904 meldete er sich freiwillig zur Schutztruppe in Süd-West-Afrika. Er war dort acht Jahre. 1912 kam er, an Malaria leidend, nach Deutschland zurück. 1914 meldete er sich bei Kriegsbeginn in Borna beim Karabiner-Regiment. Er war als Offizier in Kurland und Ungarn. 1919 traf er meine Mutter in Leipzig.

      - In Verbindung mit den Bodenreformbeilagen: der Sommerhof, 68 ha groß, lag damit unter der Grenze (100ha) der zu enteignenden Güter. Wie ich in meinen Erinnerungen zum Jahr 1945 geschrieben habe, hatten wir der Kommandantur (etwa 40 Soldaten und mindestens 10 Offiziere der sowjetischen Armee) in der Bahnhofstraße Lebensmittel zu liefern. Die Soldaten schliefen im Festsaal bzw. der Aula der ehemaligen Schule und des späteren Rates des Kreises. Die Offiziere hatten Privatunterkünfte. Auf dem Sommerhof war ein junger Soldat einquartiert, der die Lebensmittellieferungen zur Kommandantur überwachte. Im September ging es los mit der Enteignung. Wir, meine Mutter und ich, bekamen am 22. Oktober den Befehl, das Haus innerhalb von 24 Stunden zu verlassen. Mein Vater war schon seit August in Bautzen inhaftiert. (s. Bild 11)

      - Zum Rittergut in Ottenhain: Dieses Gut, sowie Rittergut Strellen bei Halle, war im Besitz der Familie Kopp. Herr Anger heiratete, so etwa um 1908 herum, die einzige Kopp-Tochter Gertrud. Sie hatten 4 Kinder: Konstantin, der als Offizier im 2. Weltkrieg gefallen ist. Adolf, der etwa vor 6 Jahren in der Nähe von Köln gestorben ist. Christa, die Rolf Schellenberg heiratete und Gut Ottenhain in die Ehe brachte. Adolf hatte Rittergut Strellen bekommen. Charlotte heiratete im November 1946 Andreas Wallmen. „Bauer“ waren die Kopps, Angers, Schellenbergs nicht. Die Schellenbergs bewirtschafteten ein Gut mit einem herrlichen Wasserschloss in der Nähe von Altenburg. Das waren wohlhabende Leute, sehr tüchtig als Landwirte, mit vielen Dienstboten und einem glücklichen Familienleben. Bei Angers in Ottenhain lief alles wie am Schnürchen, und, ja, sie waren sehr beliebt bei ihren Leuten, was den Kommunisten natürlich gar nicht recht war. Christa und Rolf Schellenberg hatten 9 Kinder. Sie leben in Hamburg und Spanien. Adolf und seine Frau hatten 5 Kinder, beide waren vorher verheiratet mit je einem Kind, 3 kamen in ihrer zweiten Ehe. Charlotte hat keine Kinder.

      - Die Enteignung wurde natürlich auf Befehl Stalins vorangetrieben. Eine „Reform“ im wirklichen Sinne war das nicht. Es war der Anfang einer großen und fortschreitenden Ent-Demokratisierung. Es gab ja gar keine „Junker“ in Sachsen. Das ist ein preußischer Begriff. Und so riesig waren die Güter auch nicht, 29 Hektar in Ottenhain! Doch musste man sich natürlich irgendwie mit der Nazivergangenheit auseinandersetzen. In der russischen Zone tat man es auf diese Weise.

      Alles erdenkliche Gute wünschen wir Euch, lieber Gottfried und liebe Karin. Bald mehr von John & Gisela

       12. Februar 1998

      Lieber Gottfried, mit gleicher Post geht die Broschüre von Herrn Hammer an Dich zurück. Ich habe mit Bleistift meine Bemerkungen hineingeschrieben. Hoffentlich stören die nicht. Wenn ja, dann radiere sie heraus. Beiliegend auch einige Laserkopien von winzigen alten Photographien. Möglicherweise sind die von Interesse für den Heimatverein.

      Wie geht es im schönen Geithain? Herr Diederichs schickte mir einen wunderbaren Kalender mit Farbfotos aus dem Kohrener Land. Es wurde mir übrigens beim Lesen von Hammers Bericht bewusst, dass ich mir bei meinen bisherigen Besuchen nie die Schule in Geithain-West angesehen habe. Vielleicht klappt das doch einmal.

      Die herzlichsten Grüße und besten Wünsche Dir und Karin von John & Gisela

       24. Oktober 1998

      Lieber Gottfried, liebe Karin, ich möchte mich einmal herzlich bedanken für Deine Artikel im Sachsen-Telegraph. Herbert Straßburger schickte mir No. 1, 2, 4, 5 und 6, und ich habe die mit großem Vergnügen gelesen. Gottfried, Du hast die Artikel aus allem, was ich Dir geschickt habe, sehr hübsch zusammengestellt. Nur No. 3 habe ich nicht bekommen. Könnte ich davon bitte eine Kopie haben? Sind denn die Leute an diesen alten Geschichten interessiert? Es gibt doch sicherlich kaum noch jemand in Geithain, der sich an die Zeit vor dem Kriege erinnern kann. Auch wenn sich keiner daran erfreuen sollte, mir haben sie große Freude gemacht. Für einen Augenblick nahm es mir den Atem, diese alten Photos von meinem Bruder, dem Vetter Amadeus und Gottfried Wüstner in einem Zeitungsartikel zu sehen. Alle drei Jungs verloren ihr Leben im Kriege!

      Nach einem sehr heißen Sommer haben wir nun einen herrlichen Herbst. Die Welt strahlt von diesen vielen orangefarbenen Ahornblättern. In zwei Monaten ist Weihnachten. Bis dahin wünschen wir alles Gute und Schöne. Was gibt es Neues in Geithain? Kam meine Reisebeschreibung an?

      Lasst Euch umarmen

      von Ulrich & Gisela

       08. November 1998

      Lieber Gottfried, die Wahlergebnisse in Deutschland verleiten mich dazu, noch einmal über die Ereignisse der letzten 9 Jahre nachzudenken. Man nennt Kohl zu Recht den „Architekten der Wiedervereinigung“, doch andererseits ist es sicher nicht falsch, wenn man in ihm den mit allen Wassern gewaschenen Politiker sieht,


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