Im Kreuzfeuer. Christian Wehrschütz
ausgeliefert wurden. Die meisten von ihnen wurden in Slowenien ermordet, doch zu den Opfern zählten natürlich nicht nur Kroaten, sondern auch Montenegriner, Serben, slowenische Domobranzen, Angehörige der deutschen Minderheit, Soldaten der Deutschen Wehrmacht, Kärntner, die aus Südkärnten verschleppt wurden, sowie einfache slowenische Bürger, die Gegner der Kommunisten waren. Welches „Schlachthaus“ das kleine Slowenien damals war, zeigt der Umstand, dass slowenische Historiker bisher etwa 570 Massengräber entdeckt haben; die meisten stammen aus der Zeit unmittelbar nach Kriegsende. Wie viele Opfer in diesen Massengräbern verscharrt wurden, steht noch nicht fest, doch schätzt die Wissenschaft, dass es etwa 100.000 sein könnten; einigermaßen gesicherte Angaben liegen nur zu den slowenischen Opfern vor. Nach Angaben von Historikern in Laibach,1) hatte Slowenien während des Zweiten Weltkriegs (1941–1945) 80.000 Opfer zu verzeichnen; 14.500 Slowenen wurden nach Kriegsende ermordet; davon waren 13.000 Soldaten (Domobranzen), der Rest waren Zivilisten. Die Zahl der während des Kriegs in Slowenien ermordeten Personen war somit niedriger als in den ersten Monaten danach.
Zu den Staatsfeinden, die Tito und seine siegreichen Kommunisten während des Kriegs und nach ihrem Sieg ermordeten und bekämpften, zählten auch die Kirchen; sie waren die einzigen Kräfte, die außerhalb der Kommunistischen Partei noch über eine Organisation und über ein geistiges Gegenkonzept verfügten. In Slowenien dokumentierte diesen Kampf im Herbst 2007 eine Ausstellung im Museum für Zeitgeschichte in Laibach unter dem Titel „Der Kampf gegen Glaube und Kirche 1945 bis 1961“. Gestaltet hat die Ausstellung die Historikerin Tamara Griesser Pečar. Nach ihrer Darstellung kamen während des Kriegs 47 Geistliche auf slowenischem Boden um, 46 wurden von den Kommunisten/Partisanen ermordet. Bei Kriegsende gab es etwa eintausend Geistliche in Slowenien; mehr als 400 Prozesse fanden gegen sie statt, mehr als 300 Geistliche wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Nach dem Verbot des Religionsunterrichts an den Schulen im Jahr 1952 griff die Staatsmacht auch zu anderen Mitteln, um die Kirche zu schwächen. So wurden 1.411 Bestrafungen gegen Geistliche ausgesprochen, darunter sehr oft hohe Geldstrafen. Doch auch Kirchen, Friedhöfe und andere kirchliche Objekte wurden zerstört. 2005 schrieb Tamara Griesser Pečar auch ein Buch mit dem Titel „Die Kirche auf der Anklagebank“,2) das bisher jedoch nur in slowenischer Sprache vorliegt.
Doch der Kampf der kommunistischen Partisanen richtete sich natürlich nicht nur gegen die katholische, sondern auch gegen die serbisch-orthodoxe Kirche. Zwischen April 1941 und Mai 1945 wurden nach einem Bericht der Heiligen Erzsynode3) 481 orthodoxe Geistliche ermordet; davon 84 von den deutschen Besatzungsmächten, 171 von den kroatischen Ustaša und 150 von den Partisanen. Nach dem offiziellen Kriegsende verloren weitere 63 Priester ihr Leben, 62 davon durch Partisanen. Von den insgesamt 544 Opfern gehen somit 213 auf das Konto der Partisanen.
Diese Darstellung hat nicht den Zweck, die Geschichte Jugoslawiens während des Zweiten Weltkriegs in Kurzform zu skizzieren. Daher habe ich an dieser Stelle nur zwei Beispiele aus Slowenien und Serbien gewählt, um zu zeigen, in welchem Ausmaß das Tito-Regime auf dem Weg zur Macht und in den ersten Jahren danach blutbefleckte Hände hatte – ein Umstand, der auch in der westlichen Geschichtsschreibung bis heute viel zu kurz kommt; der Kampf der Partisanen war eben nicht nur ein Kampf gegen die Besatzer, sondern hatte auch den Charakter eines Bürgerkriegs. Für die weitere Geschichte des Balkans und den Zerfall Jugoslawiens sollte dieser Umstand eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielen, auf die ich in einem anderen Kapitel noch eingehen werde. Ich möchte hier jedoch aufzeigen, dass das kommunistische Jugoslawien sehr wohl von Beginn an und auch im Lauf seines mehr als 40-jährigen Bestehens seine Opfer und Gegner hatte, für die die Lebensgeschichte vieler Dissidenten ein Beispiel bildet.
Diese Gegner ändern nichts daran, dass sich zweifellos die Mehrheit der Bevölkerung mit Tito und seinem eigenständigen Weg identifizieren konnte, zumal nach der Absetzung von Aleksandar Ranković als jugoslawischer Innenminister und Chef des Sicherheitsapparats im Jahr 1966 auch eine deutliche Mäßigung des Regimes einsetzte. Außerdem erreichte die Bevölkerung einen Lebensstandard, der weit über jenem lag, der in den entwickeltsten Ländern des Ostblocks herrschte. Erreicht wurde dieser Standard nicht zuletzt durch den Tourismus, durch den ständigen Geldstrom der Gastarbeiter sowie durch die außenpolitische Schaukelpolitik zwischen Ost und West, die Tito nach dem Bruch mit Stalin 1948 auch westliche Hilfe bescherte.
Hinzu kommt das große internationale Ansehen, das Jugoslawien unter Tito genoss, dessen Dissidenten – mit Ausnahme vielleicht von Milovan Đilas – in der westlichen Presse nie jene „Popularität“ erreichten oder gar gegen das Tito-Regime in Stellung gebracht wurden, wie das bei der Sowjetunion der Fall war. Hinzu kommt, dass in seiner reiferen Phase natürlich auch der Kommunismus jugoslawischer Prägung nicht mit dem sowjetischen Totalitarismus gleichgesetzt werden darf.
Diese Differenzierung ist jedoch für die Opfer der Verfolgungen in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg und für deren Hinterbliebene ebenso wenig ein Trost wie für jene Personen, die später als politische Gegner verfolgt oder schikaniert wurden. Denn eine juristische Aufarbeitung dieser Taten oder gar eine Entschädigung der Opfer ist bisher praktisch nicht erfolgt, obwohl es etwa in Slowenien oder Serbien zu Rehabilitierungen von Personen kam, die nach 1945 von der kommunistischen Justiz und vom Staatssicherheitsdienst verfolgt wurden. Diese Verfolgung erstreckte sich auch auf die Diaspora, ein Kapitel, mit dem sich westliche Historiker bisher in viel zu geringem Ausmaß befasst haben.
Stützen konnten sich Tito und sein Regime zweifellos auch auf das Image des (Mit-)Siegers im Zweiten Weltkrieg, das den Teilrepubliken Slowenien und Kroatien nicht unerhebliche Gebietsgewinne einbrachte. Hinzu kam der Rückhalt in den neu gebildeten, beziehungsweise wieder erstandenen Teilrepubliken Mazedonien und Montenegro. In der Zeit des Königreichs Jugoslawien wurde Mazedonien als Südserbien bezeichnet, während Montenegro nach dem Anschluss an Serbien nach dem Ende des Ersten Weltkriegs als Staat von der Landkarte überhaupt verschwunden war. Unter Tito kehrte Montenegro als Teilrepublik des kommunistischen Jugoslawien wieder auf die Landkarte zurück und erhielt seine Institutionen, nicht aber seine autokephale Kirche zurück. Diese Autokephalie wurde mit Hilfe der Kommunisten in Mazedonien in den 1960er Jahren aus der Taufe gehoben, doch die mazedonische Orthodoxie ist auch mehr als 40 Jahre später von der serbischen Orthodoxie nicht anerkannt worden; daher ist der Kirchenstreit noch immer ungelöst.
Die Nachfolgestaaten
Ihre heutigen Grenzen – und in gewisser Weise ihre Existenz – verdanken die meisten Nachfolgestaaten, also Slowenien, Kroatien, Mazedonien, Montenegro und der Kosovo dem kommunistischen Jugoslawien. Das sind historische Faktoren, die natürlich die Bewertung Titos beeinflussen und einer Enttitoisierung Grenzen setzen. Das zeigt das Beispiel Slowenien sehr deutlich. Dort setzte mit dem Sieg der konservativen Koalition unter Ministerpräsident Janes Janša im Herbst 2004, in zeitgeschichtlicher, innenpolitischer und gesellschaftlicher Hinsicht die Enttitoisierung ein, wie viele zeitgeschichtliche Ausstellungen4) in Slowenien belegen. Unter „Enttitoisierung“ werden dabei nicht nur die Demokratisierung, sondern auch die umfassende Transformation des Gesellschafts- und Parteiensystems sowie der vom Kommunismus geprägten Mentalität der Bevölkerung verstanden. So wird etwa privates Unternehmertum und Wohlstand oft mit Bereicherung und Korruption assoziiert, also negativ gesehen, und auch das Arbeitsrecht in so manchen Nachfolgestaaten Jugoslawiens weist durchaus noch kommunistische Züge auf.
Entscheidend für die Frage von Kontinuität und Diskontinuität ist nicht zuletzt das Schicksal der Nachfolgeparteien des Bundes der Kommunisten in den ehemaligen Teilrepubliken. Die Transformation zu Sozialistischen und Sozialdemokratischen Parteien weist hier große regionale Unterschiede auf; der Erfolg der Transformation sowie die politischen Fähigkeiten der handelnden Personen entschieden dabei auch über Verlust oder Erhaltung der Macht. Am erfolgreichsten war dabei Montenegro. Symbol dafür ist der 1962 in Nikšić geborene Milo Đukanović. 1979 wurde er Mitglied des Zentralkomitees des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens, und mit 29 Jahren – mit Unterstützung des serbischen Autokraten Slobodan