Ideologie, Identität, Repräsentation. Stuart Hall

Ideologie, Identität, Repräsentation - Stuart  Hall


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statt ihre eigene Subsistenz zu reproduzieren, nicht wirklich als eine solche Tatsache in den Griff bekommen (vgl. MEW 23, 237ff.).

      In einer Welt, die vom Geldverkehr durchtränkt und allerorts durch Geld vermittelt ist, ist die Erfahrung des ›Marktes‹ für jeden die unmittelbarste, alltägliche und universelle Erfahrung des ökonomischen Systems. Es ist deshalb nicht überraschend, dass wir den Markt für ganz selbstverständlich nehmen, nicht fragen, was ihn ermöglicht, worauf er gründet oder was er voraussetzt. Es sollte uns nicht verwundern, wenn die Massen der arbeitenden Menschen nicht über die Begriffe verfügen, um an einer anderen Stelle des Prozesses einen Einschnitt zu machen, eine andere Anordnung von Fragen zu entwerfen, und an die Oberfläche zu bringen oder zu enthüllen, was die überwältigende Faktizität des Marktes fortwährend unsichtbar macht. Es ist klar, weshalb wir aus diesen fundamentalen Kategorien, für die wir alltägliche Wörter, Redewendungen und Idiomatische Ausdrücke im praktischen Bewusstsein gefunden haben, das Modell anderer sozialer und politischer Verhältnisse generieren. Schließlich gehören auch sie zum selben System und scheinen ganz nach dessen Muster zu funktionieren. Auf diese Weise sehen wir in der ›Wahlfreiheit‹ auf dem Markt das materielle Symbol der abstrakteren Freiheiten, oder im Eigeninteresse und im Konkurrieren um Marktvorteile die ›Repräsentation‹ von etwas Natürlichem, Normalem und Universalem in der menschlichen Natur selbst.

      Ich möchte nun versuchen, einige Schlüsse aus der ›Re-Lektüre‹ der Passage von Marx zu ziehen, die ich vor dem Hintergrund der neueren Kritiken und der vorgebrachten neuen Theorien angeboten habe.

      Die Analyse wird nicht mehr durch die Unterscheidung zwischen dem ›Wirklichen‹ und dem ›Falschen‹ organisiert. Die verdunkelnden und mystifizierenden Effekte einer Ideologie werden nicht länger als Produkt einer Täuschung oder einer magischen Illusion betrachtet, noch werden sie einfach einem falschen Bewusstsein zugeschrieben, in das unsere armen, umnachteten, theorielosen Proletarier auf ewig eingekerkert wären. Die Verhältnisse, in denen die Leute leben, sind immer die ›wirklichen Verhältnisse‹, und die Kategorien und Begriffe, die sie verwenden, helfen ihnen, diese gedanklich zu erfassen und zu artikulieren. Aber – und damit bewegen wir uns möglicherweise im Gegensatz zu der Emphase dessen, womit ›Materialismus‹ gewöhnlich assoziiert wird – die ökonomischen Verhältnisse können nicht von sich aus eine bestimmte, festgelegte und unveränderliche Art und Weise vorschreiben, um sie begrifflich zu erfassen. Es kann in unterschiedlichen ideologischen Diskursen ausgedrückt werden. Mehr noch, diese Diskurse können das Denkmodell anwenden und auf andere, im strengen Sinn ideologische Bereiche übertragen. Es kann sich ein Diskurs entwickeln – zum Beispiel der neueste Monetarismus –, der den großen Wert der ›Freiheit‹ ableitet aus der Freiheit vom Zwang, die Frauen und Männer an jedem Werktag wieder auf den Arbeitsmarkt wirft. Auch haben wir die Unterscheidung ›wahr‹ und ›falsch‹ verworfen und durch andere, genauere Ausdrücke wie ›partiell‹, ›adäquat‹ oder ›einseitig‹ und ›in seiner differenzierten Totalität‹ ersetzt. Zu sagen, dass ein theoretischer Diskurs uns ein konkretes Verhältnis adäquat im Denken erfassen lässt, bedeutet, dass der Diskurs uns einen vollständigeren Begriff liefert von den verschiedenen Beziehungen, aus denen dieses Verhältnis sich zusammensetzt, und von den vielfältigen Bestimmungen, die dessen Existenzbedingungen bilden. Das bedeutet, dass unser Zugriff konkret und vollständig ist, statt eine dünne, einseitige Abstraktion zu sein. Einseitige Erklärungen, die partielle, den Teil-fürs-Ganze nehmende Erklärungstypen sind, die uns lediglich erlauben, ein Element (den Markt, z.B.) zu abstrahieren und zu erklären, sind genau auf dieser Grundlage inadäquat; und nur insofern können sie als ›falsch‹ betrachtet werden. Obgleich der Ausdruck streng genommen irreführend ist, wenn wir dabei etwas wie eine einfache Alles-oder-Nichts-Unterscheidung zwischen dem Wahren und dem Falschen oder zwischen Wissenschaft und Ideologie im Kopf haben. Glücklicher- oder unglücklicherweise passen gesellschaftliche Erklärungen selten exakt in solche Schubfächer.

      Wir haben bei unserer ›Re-Lektüre‹ auch versucht, einige sekundäre Aussagen aufzunehmen, die aus neueren Theorien über ›Ideologie‹ stammen, im Bemühen zu sehen, ob und inwiefern sie mit den Marxschen Formulierungen inkompatibel sind. Wie wir gesehen haben, bezieht sich die Erklärung auf Begriffe, Ideen, Terminologien, Kategorien, vielleicht auch auf Bilder und Symbole (Geld; Lohntüte; Freiheit), die uns erlauben, einen bestimmten Aspekt des gesellschaftlichen Prozesses im Denken zu erfassen. Sie versetzen uns in die Lage, uns und anderen vorzustellen, wie das System arbeitet, warum es so funktioniert, wie es funktioniert.

      Derselbe Prozess – Produktion und Austausch im Kapitalismus – kann innerhalb unterschiedlicher ideologischer Rahmen mit Hilfe verschiedener ›Repräsentationssysteme‹ ausgedrückt werden. Es gibt den Diskurs über ›den Markt‹, den Diskurs der ›Produktion‹, den Diskurs der ›Kreisläufe‹: jeder produziert eine unterschiedliche Definition des Systems. Jeder verortet uns auch unterschiedlich – als Arbeiter, Kapitalist, Lohnarbeiter, Lohnsklave, Produzent, Konsument usw. Jeder platziert uns als gesellschaftliche Akteure oder als Mitglied einer gesellschaftlichen Gruppe in einem besonderen Verhältnis zu dem Prozess und schreibt uns bestimmte gesellschaftliche Identitäten vor. Mit anderen Worten: die verwendeten ideologischen Kategorien positionieren uns in Bezug auf die Darstellung des Prozesses, wie sie im Diskurs geschildert wird. Der Arbeiter/die Arbeiterin, der/die sich als ›Konsument‹ auf seine/ihre Existenzbedingungen im kapitalistischen Prozess bezieht – sozusagen durch dieses Tor in das System eintritt –, hat am Prozess durch eine Praxis teil, die sich von der Praxis derer unterscheidet, die als ›Facharbeiter‹ ins System eingeschrieben sind – oder als ›Hausfrau‹ überhaupt nicht darin eingeschrieben sind. Alle diese Einschreibungen haben Effekte, die real sind. Sie produzieren eine materielle Differenz, da unsere Handlungsweise in bestimmten Situationen davon abhängt, wie wir die Situation definieren.

       4. ›Stellungskriege‹: Klassen, Sprache und hegemonialer Kampf

      Ich glaube, dass eine ähnliche Art der ›Re-Lektüre‹ vorgenommen werden kann bei einem anderen Set von Aussagen über Ideologie, die in den letzten Jahren heftig umstritten waren: nämlich die Klassendeterminiertheit von Ideen und die direkten Entsprechungen zwischen ›herrschenden Ideen‹ und ›herrschenden Klassen‹. Laclau hat definitiv die Unhaltbarkeit der Aussage gezeigt, dass Klassen als solche die Subjekte fest zugeschriebener Klassenideologien sind (Laclau 1981). Er hat auch die Aussage demontiert, dass bestimmte Ideen und Begriffe ausschließlich zu einer bestimmten Klasse ›gehören‹. Er demonstriert sehr eindrucksvoll, dass keine Gesellschaftsformation diesem Bild der zugeschriebenen Klassenideologien entspricht. Er weist überzeugend nach, warum die Vorstellung, dass besondere Ideen dauerhaft an eine besondere Klasse gebunden sind, dem widerspricht, was wir heute über die tatsächliche Natur der Sprache und des Diskurses wissen. Ideen und Begriffe treten weder in der Sprache noch im Denken in einer solchen vereinzelten, isolierten Weise auf, die Inhalt und Referenz unveränderlich fixiert. Sprache ist im weitesten Sinne der Träger des praktischen, kalkulierenden Denkens und des Bewusstseins, aufgrund der Art und Weise, wie bestimmte Bedeutungen und Gegenstandsbezüge historisch verfestigt wurden. Ihre zwingende Kraft aber beruht auf den ›Logiken‹, die eine Aussage mit einer anderen in einer Kette zusammenhängender Bedeutungen verbinden, dort, wo die sozialen Konnotationen und die historische Bedeutung sich verdichten und zueinander in Resonanz treten. Zudem sind diese Ketten niemals dauerhaft verfestigt, weder in ihren internen Bedeutungssystemen noch in ihren Beziehungen zu den gesellschaftlichen Klassen und Gruppen, zu denen sie ›gehören‹. Andernfalls wäre der Begriff des ideologischen Kampfes und die Bewusstseinsveränderung – zentrale Fragen für die Politik jedes marxistischen Projekts – leerer Schein, der Tanz toter rhetorischer Figuren.

      Gerade weil die Sprache, das Medium des Denkens und der ideologischen Berechnung, »mehrfach akzentuiert« ist, wie Volosinov sagt, ist das ideologische Feld immer ein Feld von sich überschneidenden Akzenten und der Überschneidung unterschiedlich orientierter gesellschaftlicher Interessen:

      »Denn auch die verschiedenen Klassen benutzen ein und dieselbe Sprache. Infolgedessen überschneiden sich in jedem ideologischen Zeichen unterschiedlich orientierte Akzente. Das Zeichen wird zur Arena des Klassenkampfes.(…) Ein Zeichen, das aus der Spannung des sozialen Kampfes ausgesondert wird und sich sozusagen außerhalb des Klassenkampfes befindet,


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