Von Lüneburg bis Langensalza im Krieg 1866. Friedrich Freudenthal
beste Mark aus den Knochen saugen, nicht schon genug im Lande hätten!“
Mein Vater, der in Folge dieses grimmigen Ausfalls eine Weile ganz verblüfft war, entgegnete dann, als er sich etwas gesammelt hatte, in bescheidenen Worten, daß es Soldaten doch auch geben müsse und er es für einen ganz ehrenwerthen Beruf halte, seinem König und Vaterland als Soldat zu dienen.
„König und Vaterland!“ rief Herr Isermeyer und fuhr mit einem rothseidenen Taschentuch einige Male hastig über die nur noch spärlich von Haaren bestandene obere Fläche seines Schädels. „Wir haben viel zu viel Potentaten und Vaterländer im lieben Deutschland. Gründlich aufräumen müssen wir in der Bude, daß diese erbärmliche Kleinstaaterei aufhört und so etwas nicht wieder vorkommen kann, wie die Geschichte mit dem Neuen Katechismus. Der Adel und die Pfaffen regieren in unserem Lande und der König giebt ihnen in Allem nach. Wohin wäre es mit uns gekommen, wenn wir nicht Männer, wie Bauerschmidt, gehabt hätten, die sich für unsern lutherischen Glauben aufopferten – katholisch hätte man uns gemacht, so wahr wie ich hier sitze! Sehen Sie, so liegt die Sache in Wahrheit. Man kann aber nicht verlangen, daß Sie, mein guter Mann, das wissen, denn was werden Sie in Ihrem Dorfe von der höheren Politik gewahr.“
Mein Vater fühlte sich nicht sicher genug auf dem Gebiete der „höheren Politik“ und des „Kathechismusstreites“, um auf diese Worte etwas erwidern zu können. Da auch Herr Isermeyer nicht weiter sprach, es vielmehr damit genug sein ließ, sich triumphierend im Kreise umzuschauen, so entstand für eine Weile völlige Stille im Zimmer, die nur durch das Geräusch des zuklappenden Taschenmessers unterbrochen wurde, dessen der Fremde, welcher am Ende des Tisches saß, sich beim Essen bedient hatte. Der Mann zog jetzt bedächtiger Miene einen zusammengeschnürten Lederbeutel aus der Tasche und händigte dem Wirth den Betrag für die genossenen Getränke ein, sodann hing er den Spaten über die Schulter, ergriff sein Bündel und machte sich reisefertig. Bevor er jedoch die Gaststube verließ, trat er an Herrn Isermeyer heran. „Dröf ick ok mal en Word spreken, Herr?“ frug er, die rechte Hand auf den Tisch stemmend und sich etwas vornüberbeugend.
„Gewiß, min leewe Mann“, sagte Herr Isermeyer hastig – „Herr Wirth, bringen Se düssen Mann en Glas Grock.“
„Dank veelmals, ick drink kenen Grock. ... Ick woll man blos seggen, ick verstah von Ihr Politik nicks, Herr, ick bin ok von Dörpen, von’n Kaspel Snewern*) * Schneverdingen) bin ick to Hus, awer ick woll man seggen: wi in us’ Hannoverland, meen ick, hebbt noch grad keen Oewerlast un könnt us öwer use Regierung nich beklagen, denn wat Se dor seggt hebbt, Herr, von „kathol’sch wer’n“ dat is ja luter dumm Tüg, dat löwt Se ja sülwst nich. Dat sünd Redensarten, de ward in de Weld settet, üm den gemeenen Mann uptorutschen; dat is achtundveertig ok so wäsen, as de Askaten ’rümreist sünd un Reden hölen un as dat heten hett, Stüern und Afgawen bruk Nüms mehr to betahlen un de Jagd wör free un de König schöll wegjagt wer’n. Süh, ick woll man seggen, ick bin man en ’ringen Mann, awer mi is dat in de School lehrt worr’n, dat wie usen König in Ehren holen un en treu bliewen schöllt, wenn Noth an den Mann tritt, süh, un ick hev minen König ehrlich deent, hev bi de Gardejägers stahn un wer hier wat up den König seggen will, de kriggt dat mit mi to dohn! Verdammt in de Eck! ...“ Hier schlug der Mann vom Kirchspiel Schneverdingen dermaßen mit der Faust auf den Tisch, daß die darauf stehenden Gläser und Schüsseln klirrend in die Höhe fuhren.
„Mak keen Morach, Hinnerk,“ sagte der Wirth, der bislang theilnahmslos hinter der Toonbank gestanden hatte, jetzt aber hervortrat und dem Aufgeregten die Hand auf die Schulter legte und ihn durch gütliches Zureden zu besänftigen suchte. „Man kennt Di ja gar nich wedder, Minsch, Du deihst ja doch süß keen Kind wat. De Sak is dat ja gar nich werth, dat Du dorüm so upbegehren deihst.“
„Wat?! de Sak is dat nich werth?! – De Herr will use Regierung slecht maken un up den König schimpen, wat so’n hartensgooden Mann is! Dat schöll mi nich grillen?! Ick hev öft noog up Posten stahn vör’n Slott in Herrenhusen, un wenn de König Middags mit sienen Adjedanten in den Garden spazieren güng, denn is de mehrmals an mi ’rankamen un hett mi fragt, wo ich to Hus hör, ob min Oellern noch lewwn und so wieder – jüst as wenn ick mit minesglieken snack, so hett de Mann to mi spraken un Mannigeen, de süß keen Recht sinnen könn, de hett et bi den König in Hannover funnen, dat weet ick ut egen Erfahrung – un denn will de Herr hier seggen, den König sien Soldaten de sugt de Uennerdanen dat Mark ut’n Knaken! Süht de Herr mit sien Sweelpans danah ut, as wenn em een dat Mark ut’n Knaken sagen hett, woll ick man seggen – wat?! Verdammt in de Eck! ...“ Wieder fuhr mit einem fürchterlichen Krach die Faust des ehemaligen Gardejägers auf den Tisch hernieder und diesmal in einer so gefährlichen Nähe des Herrn Isermeyer, daß dieser erschrocken in die Höhe fuhr und Hut und Stock ergriff. Mit größter Schnelligkeit war er bestrebt, die offene Thür zu erreichen. Auf der Schwelle drehte er sich um und drohte seinem Gegner mit dem winzigen Rohrstöckchen, welches er in der Hand trug. „Wenn ick mi nich to gebildet höl,“ rief er mit wüthendem Blick, „denn woll ick Ihnen mal up annere Wies’ tor Antword kamen!“
Der Mann aus der Heide wollte auf den Drohenden los, aber der Wirth trat dazwischen und so gewann Herr Isermeyer genügend Zeit, sich in Sicherheit zu bringen und sich gleichzeitig dadurch der Versuchung zu entziehen, gegen die Grundsätze zu sündigen, deren Befolgung die höhere Bildung ihm zur Pflicht machte.
Damit war dieser Zwischenfall erledigt. Die Aufregung des entrüsteten Heidebewohners legte sich sehr rasch, der Humor kam zum Durchbruch, und gab der ganzen Angelegenheit einen passenden Abschluß. Der Wirth lachte, der Schneverdinger lachte und auch mein Vater und ich lachten, natürlich alle auf Kosten des Herrn Isermeyer und über den komischen Anblick, den er gewährte, als er fauchend und prustend und das Spazierstöckchen als Verteidigungswaffe schwingend seinen Rückzug nahm.
Der ehemalige Gardejäger stopfte sich dann in aller Gemüthsruhe eine Pfeife, rückte den auf der Achsel hängenden Spaten zurecht und drückte sein Bündel fester unter den Arm. Er wollte, wie er sagte, noch an demselben Abend nach der Elbinsel „Oßwarder“ hinüber. „Na, Kinners, bliewt munter mit ’nanner! Adjüs ok!“ rief er und dann wandte sich seine breitschultrige Gestalt der Thür zu.
6.
Der erste Tag in Lüneburg.
Am Morgen des folgenden Tages waren wir zu guter Zeit wach. Wir benutzten den Frühzug und erreichten bald das alte ehrwürdige Lüneburg. In einer Wirthschaft in der Nähe der Nicolaikirche, wo vorwiegend Landleute verkehren, hielten wir Einkehr. Alles war dort alterthümlich. War man von der Straße aus in einen langen Gang eingetreten, so hatte man zur Linken die Schenkstube, über deren Eingang zwei in Holz geschnitzte Wappenbilder angebracht waren mit der Jahreszahl 1510. Zu diesen Wappen über der Thür paßte auch die mittelalterliche Einrichtung des Zimmers, welche im Laufe der Jahrhunderte offenbar wenig Veränderungen erlitten hatte. Die Wände waren mit einem braunen Holzgetäfel bekleidet, in schmalen, schrankartigen Abtheilungen mit hervorspringenden Pfeilern. Der zwischen der gleichfalls getäfelten Decke und der Wandbekleidung sich hinziehende Fries zeigte allerlei roh in Holz geschnitzte Bildwerke, theils menschliche Figuren, theils allerlei fabelhaftes Gethier vorstellend. – Noch heutigen Tages, wenn mein Weg mich ab und zu nach Lüneburg führt, liebe ich es, jenes Schenkzimmer aufzusuchen und mich bei einem Glase Bier in allerlei Betrachtungen zu vertiefen. Die Zeiten und die Besitzer des Hauses haben gewechselt, aber die Einrichtung der Schenkstube ist dieselbe geblieben, wie sie vor 25 Jahren, ja vor – Jahrhunderten war. In dieser „altdeutschen Bierstube“ ist alles echt, und deshalb gefällt es mit hier ein gut Theil besser, als in jenen altdeutsch ausstaffirten, mit allerlei Firlefanz vollgepfropften Schankstätten, wie die heutige Mode sie überall gleich Pilzen erstehen ließ.
Beim Frühstück erfuhren wir durch andere Gäste, daß an jenem Tage (es war der 14. April) Vormittags zur Feier des Geburtstages der Königin eine Parade des Königin-Husarenregiments auf dem Exercierplatze vor dem Lünerthore stattfinde. Dies militärische Schauspiel durften wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Eine halbe Stunde später befanden wir uns unter den Zuschauern, welche sich auf dem am Exercierplatze sich hinziehenden Wall recht zahlreich zusammen gefunden hatten. Bald darauf erschienen in vollem Paradestaat die in der naheliegenden Kaserne garnisonirenden