Von Lüneburg bis Langensalza im Krieg 1866. Friedrich Freudenthal

Von Lüneburg bis Langensalza im Krieg 1866 - Friedrich Freudenthal


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Anblick der stolzen Reiterschaar, die unter den Klängen des „Heil unserm König, heil!“ in schönster Haltung vorüberritt. Die breiten, blitzenden Klingen, die hohen Bärenmützen und weißbeschnürten Dolmans und Pelze, die wehenden Standarten (unter denen sich auch ein im Kriege erbeuteter Danebrog befand), die feurigen, schnaubenden Rosse, die in leichten geschmeidigen Gange nach dem Tact der Musik aufzutreten schienen, – das alles gewährte im Glanze der Frühlingssonne einen prächtigen Anblick und machte auf mein jugendliches Herz einen unauslöschlichen Eindruck. Noch oft, nach Jahren, wenn ich einmal wieder in der Allee am Exercierplatz mich erging, lebte die Erinnerung an jene Parade wieder in meinem Herzen auf und ich meine, ich hätte alles wieder vor mir gesehen, wie einst in alter schöner Zeit ...

      Es reiten die alten Schwadronen

      Vorüber in stolzen Reih’n,

      Die Rosse schnauben, es blitzen

      Die Säbel im Sonnenschein. –

      Im Laufe des Tages erledigten wir die Formalitäten, welche zu meiner Aufnahme erforderlich waren. Der Bataillonsarzt Dr. B. erklärte mich für diensttauglich. Der Districtscommissar, Oberstlieutenant von H., dem ich mich gleichfalls vorstellte, empfing meinen Vater und mich sehr freundlich und gab uns die Zusicherung, daß ich, obschon noch nicht völlig 17 Jahre alt, dennoch eingestellt werden würde. „Aber, mein Sohn,“ sagte er, als wir uns verabschiedeten, „was willst Du bei den Jägern? In Lüneburg bei der Infanterie mußt Du eintreten, das ist besser für Dich.“

      Dasselbe hatte mir auch schon der Arzt gerathen; er meinte, bei der Infanterie würde ich rascher vorwärts kommen, während bei den Jägern, wo alljährlich viele Freiwillige einträten, das Avancement erheblich langsamer von Statten ginge. So war ich denn wiederum in einen Zwiespalt versetzt worden und sah mich neuen Enttäuschungen gegenüber. Wieder sollte ich auf der Leiter meiner Wünsche einige Stufen niedriger steigen, statt der grünen Jägeruniform sollte ich den blauen Rock des Infanteristen tragen und statt der geräuschvollen Residenzstadt mit all ihren Sehenswürdigkeiten zeigte sich mir als demnächstiger Aufenthaltsort die stille wallumschlossene Stadt an der Ilmenau. Ich wollte das Zweckmäßigkeitsprincip, das allein Anlaß dieser veränderten Sachlage war, nicht recht anerkennen, aber meinem Vater leuchtete es dafür um so eher ein. Er redete eindringlich auf mich ein, und als gehorsamer Sohn fügte ich mich bald seinem Willen. Im Grunde genommen war ja der Dienst bei der Infanterie gerade so ehrenwert als derjenige bei irgend einer anderen Truppe, und dann hatte Lüneburg als Garnison das Gute, daß zu dem Rekrutierungsbezirk des 2. Bataillons des dortigen 5. Infanterie-Regiments auch mein Heimathsdorf gehörte. Fast in jeder Compagnie dienten Burschen aus jener Gegend, so daß ich mich nirgendwo ganz fremd fühlen konnte.

      Da meine Angelegenheiten nun so weit wie nöthig geordnet waren, die eigentliche Einstellung aber erst einige Tage später stattfand, so hielt mein Vater seine Anwesenheit in Lüneburg nicht länger mehr für nöthig. Er reiste am folgenden Tage ab und überließ mich meinem Schicksale.

      Ich fühlte mich in der fremden Stadt und unter all den fremden Leuten, von denen ich mich umgeben sah, recht verlassen und es kam allmählich ein Gefühl über mich, welches große Ähnlichkeit mit Heimweh hatte. Ich kämpfte tapfer dagegen an und suchte meine trübe Stimmung dadurch zu verscheuchen, daß ich mich fleißig auf den Wällen und in den Straßen der Stadt erging; auch auf die Umgebung der Stadt dehnte ich meine Spaziergänge aus. Das Gefühl des Verlassenseins verlor sich bei diesen Wanderungen mehr und mehr und in ziemlich guter Verfassung erreichte ich den Tag der Einstellung.

      In einem Wirthslocale an der Neuen Sülze hatten sich die zum Militärdienst Ausgehobenen am Morgen des 16. April zu stellen. Ich wurde brauchbar befunden, in die Listen eingetragen und der 6. Compagnie des 5. Infanterie-Regiments zugetheilt. Mit den anderen der Compagnie überwiesenen Mannschaften, insgesamt etwa 30 Mann, marschierte ich unter Führung eines Unterofficiers nach dem Compagnieboden, welcher sich in einem Hintergebäude der an der Grapengießerstraße belegenen F ...schen Gastwirthschaft befand.

      Hier wurden wir mit einem Anzuge, bestehend aus Tuchhose, Ärmelweste, Halsbinde und Feldmütze, außerdem mit einem Quartierbillet, auf einen Tag lautend, versehen. Sodann wurden wir mit der Weisung entlassen, uns am Morgen des nächsten Tages pünktlich zu einer bestimmten Stunde auf dem Schloßhofe einzufinden.

      Nachtrag 1895: Die hier geschilderte altdeutsche Schenkstube ist leider inzwischen ihres Schmuckes beraubt worden; der Besitzer hat die Täfelungen und Holzschnitzereien an einen Antiquitätenhändler verkauft.

       Das fidele Quartier.

      Das Quartier, welches mein Billet mir nachwies, befand sich in einer entlegenen Gasse in der Nähe des Rothen Thores. Ich fand das kleine bescheidene Häuschen sehr bald auf; es lag mit dem schmalen Giebel nach der Straße. Das mittelalterliche Backsteinmauerwerk sowie der überwölbte, nischenartige Thüreingang ließen auf ein ehrwürdiges Alter schließen. Auf dem schmalen Hausflur trat mir die Wirthin entgegen, eine recht ansehnliche Frau in den vierziger Jahren. Als ich ihr das Billet überreicht hatte, betrachtete sie mich eine Weile von Kopf bis zum Fuß, dann schlug sie, anscheinend sehr verwundert, die Hände zusammen und rief in die halbgeöffnete Thür der Wohnstube: „O Minna, wat för’n lütten Soldaten hebbt wi da kregen!“

      Minna – die Tochter der Wirthin, wie ich später erfuhr – erschien auf der Schwelle. Sie war etwas leicht und nachlässig gekleidet, aber sie war jung und recht hübsch von Gestalt und Ansehen.

      Fräulein Minna schien gleichfalls etwas überrascht zu sein, doch war sie augenblicklich nicht im Stande, ihr Erstaunen durch eine Handbewegung oder durch einen Ausruf zu bekräftigen; sie hielt nämlich zwischen den Lippen eine Haarnadel und die Hände brauchte sie, um ihr blondes dichtes Haar, welches ihr wirr um die Stirn und Nacken hing, nothdürftig zu ordnen und am Hinterkopfe zu einem Knoten aufzuwickeln. Mit einer einladenden Kopfbewegung unterstützte das junge Mädchen ihre Mutter, welche mich inzwischen wiederholt zum Eintritt in das Zimmer aufgefordert hatte.

      Ich folgte zögernd dieser Einladung. Da ich mich dabei wohl etwas linkisch und verlegen zeigte, so kam Fräulein Minna, die inzwischen ihre Hände frei bekommen hatte, mir in liebenswürdiger Weise zu Hülfe; sie frug nach meinem Namen und befreite mich gleichzeitig von den „Königlichen Montirungsstücken“, die ich noch immer krampfhaft unter dem linken Arme fest hielt. Sie hing Ärmelweste und Tuchhose an den ersten besten Nagel, faßte mich dann am Arme und führte mich zu dem im Zimmer befindlichen altmodischen Sopha. In einer Ecke desselben mußte ich mich nieder lassen, während sie selber sich mir gegenüber auf einen Stuhl setzte und sofort in lebhafter und unbefangener Weise zu plaudern begann. Inzwischen war die Mutter des jungen Mädchens beschäftigt, den Tisch zu decken und das Mittagessen aufzutragen. Als sie damit fertig war, versetzte sie mir einen vertraulichen Schlag auf die Schulter. „So min lütt Soldat, nu laten Se sick dat good smecken. Se möt ganz so dohn, as wenn Se hier to Hus hört.“

      Allerdings fühlte ich mich nach einigen Stunden Aufenthalt in meinem Quartiere denn auch ganz wie zu Hause. Meine Befangenheit sowie die Anwandlungen von Heimweh, welche sich während des letzten Tages verschiedentlich bemerkbar gemacht hatten, waren völlig verschwunden. Meine Wirthin schien mir der Inbegriff aller Herzensgüte und Liebenswürdigkeit zu sein, und als Fräulein Minna ihr etwas dürftiges Morgengewand mit einem grauen gutsitzenden Kleide vertauscht und ihr üppiges Haar recht hübsch geordnet hatte, konnte sie, so meinte ich, an Schönheit mindestens mit einer Prinzessin wetteifern. Aber nicht allein schön und liebenswürdig war die junge Dame, sondern auch praktisch. Sie hatte irgendwo in einem Winkel des Hauses eine Knopfgabel aufgefunden, welche von einer früheren Einquartierung dort zurückgeblieben sein mochte. Sie unterwies mich in der Handhabung dieses Instrumentes und versetzte mittelst eines Lederlappens und etwas Putzpulvers die erblindeten Knöpfe meiner Ärmelweste in einen solch’ strahlenden Glanz, daß selbst das Auge des diensteifrigsten Corporals daran seine Freude gehabt haben würde.

      Ich hatte nun nichts Eiligeres zu thun, als mich in das mir angewiesene Bodenkämmerchen zu begeben und mich „in Uniform zu werfen“. Soviel ich in einem Stückchen Spiegelglas, welches sich in dem Schlafraum vorfand, wahrnehmen konnte, stand mir die kriegerische Gewandung gar nicht


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