Regensburg am Schwarzen Meer. Daniel Weißbrodt
wo die mit Steinblöcken bewehrten Ufer es über weite Strecken verhindern, zu zelten oder zu baden.
Am Nachmittag höre ich ein leises Quietschen und Rumpeln, das immer lauter wird. Geräusche, als schabte Metall auf Metall, ein kreischendes Scheppern, das weit über den Fluss hallt, und nach einer Weile sehe ich ein Schiff. Auf dem rostigen Kahn läuft eine Eimerkette, ein Förderband mit Schaufeln, und neben dem Baggerschiff liegt ein Schubleichter, auf dessen tief im Fluss hängenden Heck schon zwei Kieshaufen liegen. Der noch unbeladene Bug hebt sich aus dem Wasser und der Kahn baggert die Schiffsrinne aus.
Ein paar Flussbiegungen darauf ist es wieder still und auf einer Buhne steht neben einer Gruppe Kormorane ein Schwarzstorch. Er hat einen roten Schnabel, rote Beine und sein Gefieder schimmert, abgesehen vom weißen Bauch, grünschwarz. Ganz ruhig steht er da, ich halte das Paddel still, um ihn nicht aufzuschrecken, und gleite lautlos und ohne ihn zu stören an ihm vorüber.
Am frühen Abend erreiche ich Komárno, wo man auf dem Gelände des Rudervereins neben der großen Brücke zelten könnte, wie der Wasserwanderführer schreibt. Vielleicht, denke ich, kann man dort duschen und vielleicht gibt es sogar eine Waschmaschine, denn mittlerweile habe ich nur noch wenige saubere Sachen, aus dem Wäschesack riecht es muffig und auch der Schlafsack ist schon lange nicht mehr frisch.
Am Strand vor dem Ruderklub, der eher aussieht wie eine Kneipe oder ein kleines Hotel, lege ich an und gehe ins Haus, aber die junge Frau hinter dem Tresen sieht mich skeptisch an und schüttelt den Kopf.
»Selbstverständlich bezahle ich auch dafür«, sage ich.
»Nein!«, antwortet sie barsch. »Nein, Sie können hier nicht duschen, bei uns kann man nur Zimmer mieten.«
»Und was kostet das?«
»Zweihundert.«
»Gut«, sage ich, »sehr gut!«, denn zweihundert slowakische Kronen sind nicht ganz sieben Euro. »Ich nehme ein Zimmer.« Die Frau schlägt das abgegriffene Heft auf, das vor ihr liegt, liest und sieht mich dann ein bisschen erschrocken an.
»Wir haben kein Zimmer mehr frei«, sagt sie entschuldigend und zuckt die Achseln.
»Das macht nichts«, sage ich. »Ich gebe Ihnen fünfzig Kronen, wenn Sie mir zeigen wo ich duschen kann. Einverstanden?« Sie nickt und führt mich zu einem Waschraum.
Bei der Gelegenheit wasche ich die Hose, die Unterhose und das Hemd gleich mit. Auch den angeschimmelten Hut nehme ich unter die Dusche, seife ihn gründlich ein und schrubbe die schwarzgrünen Sprenkel ab. Danach baue ich das Zelt auf der Wiese hinter der Brücke auf und nach dem halbstündigen Weg in die Innenstadt sind die Sachen auch schon wieder trocken.
Unterwegs höre ich neben Slowakisch auch Ungarisch auf den Straßen und alle Schilder sind zweisprachig. Im Süden des Landes, im Grenzgebiet, lebt die ungarische Minderheit, die etwa ein Fünftel der slowakischen Bevölkerung ausmacht.
Von den 37 000 Einwohnern der Stadt Komárno oder Komárom, wie es auf Ungarisch heißt, sind zwei Drittel Ungarn, in der 2003 gegründeten János-Selye-Universität wird auf Ungarisch gelehrt und vor dem Museum steht ein Bronzedenkmal für Mór Jókai, einen ungarischen Schriftsteller, der 1825 in Komárno geboren wurde. Der Kranz am Fuße des Denkmals ist neben den weiß-blau-roten Bändern der slowakischen Farben wie selbstverständlich auch mit den rot-weiß-grünen der ungarischen Trikolore umwunden.
Zwei Romajungs laufen mir hinterher. Sie sind vielleicht elf Jahre alt und der eine ist klein und dick, der andere hager und schlaksig. Der kleine Dicke hat einen Knüppel in der Hand, eine irgendwo gefundene Zaunslatte, und sie streunen durch die Stadt.
»Nazdar!«, rufen sie, »Hallo! Geben Sie uns Geld! Für ein Eis!«, und ich gebe ihnen ein paar Münzen. Sie laufen mir hinterher, reden auf mich ein und als ich meinen Fotoapparat auspacke, werden sie plötzlich sehr ärgerlich. Der kleine Dicke droht mir mit seinem Knüppel und dann verschwinden sie laut schimpfend in einer Seitengasse.
Ich gehe durch die Altstadt, lasse in einem Café das Handy und den Akku der Kamera aufladen, sitze faul im Schatten und mache mir ein paar Notizen. Als ich zurück zum Ruderklub gehe, dämmert es bereits, und als ich am Zelt ankomme, ist es dunkle Nacht.
AM MORGEN IST ES SCHWÜL, der Himmel ist mit dicken, weißgrauen Wolken bedeckt und Wespen schwirren summend und in schnellem Flug über das Wasser. Ein Gewitter liegt in der Luft und an der Hochwasserschutzmauer von Komárno steht auf Slowakisch, in roten, ungelenken Buchstaben, aber groß genug, dass man es auch vom rechten Ufer aus lesen kann, »Die Ungarn sind Scheißkerle!«
Am Nachmittag wird die Landschaft hügeliger, Wolken ballen sich zusammen und ein böiger Wind bläst über den Fluss. Immer dunkler wird es und hinter mir, noch weit im Westen, geht der erste Regen nieder. Es sind noch sieben Kilometer bis Štúrovo und ich paddle immer schneller. Der Regen kommt näher und als ich die große Brücke sehe, die Štúrovo am slowakischen mit Esztergom am ungarischen Ufer verbindet, ist er schon bis auf etwa einen Kilometer herangezogen. Als ich die Brücke erreiche, fallen die ersten Tropfen und ich ziehe das Boot schnell ans Ufer, binde das Seil um einen Baum und laufe hinauf zu dem Haus, wo unter einem Balkon drei Männer auf einer Terrasse sitzen.
»Ahoj!«, sage ich. »Da habe ich ja Glück gehabt. Gleich wird es ordentlich regnen!«
Einer der drei, ein etwa fünfzigjähriger, hagerer Mann, sieht mich finster an.
»Wo kommst du her?«, fragt er.
»Aus Deutschland.«
»Und warum sprichst du dann Tschechisch mit uns?«, fragt er ärgerlich in beinahe akzentfreiem Deutsch.
»Wir sind doch in der Slowakei«, sage ich, »und ich dachte, Sie würden eher Tschechisch verstehen als Deutsch.«
»Wir sind Ungarn«, sagt der Mann. »Selbstverständlich sprechen wir alle auch Slowakisch, aber wir sind Ungarn und wir sprechen lieber Deutsch als Slowakisch oder Tschechisch.« Die beiden anderen Männer nicken schweigend.
»Wo bist du losgefahren?«, fragt der Mann.
»In Regensburg, vor zweieinhalb Wochen.«
»Mit dem Ding da?«, fragt er und zeigt hinunter auf das Boot.
»Mit dem Ding da«, sage ich und nicke.
»Und was machst du, wenn du nicht gerade in dem alten Boot auf der Donau dein Leben riskierst?«, fragt er weiter und ich komme mir ein wenig vor wie in einer Prüfung, beantworte seine Fragen und warte ab, was er davon hält und wie sich das Ganze entwickeln wird.
»Dann bin ich wissenschaftlicher Mitarbeiter der Humboldt-Universität Berlin und arbeite an der Gesamtausgabe der Werke des Philosophen Friedrich Nietzsche«, sage ich.
»Aha«, sagt er, »bist du deswegen so«, er hebt den Zeigefinger an die Schläfe und dreht ihn, »so verrückt?«
Er grinst.
»Das kann schon sein«, sage ich und grinse auch. »Vielleicht ist das der Grund.«
Der Mann steht auf und zeigt hinunter zum Fluss.
»Du musst das Boot ein Stück höher den Strand hinaufziehen, hier in der schmalen Kurve gibt es viele Wellen von den großen Schiffen. Dort drüben«, und er deutet auf die Wiese neben dem Haus, »kannst du dein Zelt aufbauen und hier«, sagt er in einem Ton, der keine Widerrede duldet und zeigt auf eine Hütte aus Stahlblech, über der eine große, schwarze Tonne hängt, »hier kannst du dich waschen. Ich bin übrigens János, also Hans«, sagt er und gibt mir die Hand.
Das Gewitter ist weitergezogen, die Männer gehen und ich baue das Zelt auf, dusche und gehe danach in die Stadt.
An einem einfachen, einstöckigen Haus leuchtet eine Bierwerbung, ich gehe hinein und komme in einen dunklen, holzgetäfelten und gemütlichen Raum im Stile eines Irish Pub. Es läuft laute Rockmusik und das, denke ich, das ist ein guter Ort, meine restlichen slowakischen Kronen zu vertrinken.
Der Barkeeper ist muskulös und tätowiert, er trägt ein schwarzes T-Shirt mit dem Logo einer Heavy-Metal-Band und