Regensburg am Schwarzen Meer. Daniel Weißbrodt

Regensburg am Schwarzen Meer - Daniel Weißbrodt


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österreichische Fahne ein und hissen die weiß-blau-rote Flagge mit dem Wappen der Slowakei.

      Felsen stehen am Ufer und eine Libelle hat sich auf der Spritzdecke niedergelassen. Sie sitzt da, blassgrün, schwarz und dick, und fährt mit mir von Österreich in die Slowakei.

      Wieder macht sich die Grenze am Ufer nicht bemerkbar, auch die Zollabfertigung, von der der Wasserwanderführer schreibt, scheint es nicht mehr zu geben und auf einer Anhöhe hinter den Hügeln sehe ich am Horizont schon die Silhouette der Burg von Bratislava.

      Jetzt also beginnt der sogenannte Osten, wie in Deutschland der Einfachheit halber alles genannt wird, was jenseits von Oder und Bayerischem Wald liegt. Archaisch soll er sein, wild, korrupt und gefährlich, unberechenbar und kriminell, aber gastfreundlich und herzlich die Menschen, die dort leben.

      Die wildesten Geschichten werden über ihn erzählt und alles scheint es dort zu geben, einfach alles – außer Alltag und Normalität. Ich bin zum ersten Mal in der Slowakei und obwohl die Landschaft sich nicht verändert hat, obwohl die gleichen grauen Felsen auf grünen Hügeln stehen und die gleichen bewaldeten Berge am Ufer liegen wie in Österreich, obwohl sich der gleiche blaue Himmel von Horizont zu Horizont spannt, scheint sich irgendetwas verändert zu haben. Ich weiß nicht, ob es der kleine, gelb gestrichene, zweistöckige Flachbau am Ufer ist oder der Angler, der in kurzen Hosen auf einer schräg im Wasser liegenden Betonplatte steht, ob es die Kräne am Horizont sind oder die Plattenbauten auf dem Hügel, aber ich fühle mich ganz und gar nicht fremd, sondern eher beinahe so, als käme ich nach langer Zeit wieder zurück nach Hause. Zu sehr erinnert mich all das an den Osten Deutschlands in den neunziger Jahren oder an Tschechien.

      Vor etwas mehr als zehn Jahren habe ich in Südmähren als Deutschlehrer gearbeitet, in dieser Zeit habe ich die Sprache gelernt und auch wenn ich Vieles schon wieder vergessen habe, so werde ich mich doch wenigstens einigermaßen verständigen können, denn Tschechisch und Slowakisch sind eng miteinander verwandt.

      Links unter der Burg liegt das Zentrum von Bratislava und am rechten Ufer sehe ich eine flach ins Wasser abfallende Betonrampe und lege an. Neben dem schmalen Uferweg steht das Tor in einem mannshohen Maschendrahtzaun offen und daneben hängt ein Schild, »veslársky klub«, Ruderklub, und ich gehe hinein.

      Zwei etwa vierzigjährige Männer in kurzen Hosen und mit freiem Oberkörper sitzen im Schatten eines zweistöckigen Flachbaus auf Liegestühlen neben einem Klapptisch und ich erzähle ihnen woher ich komme und dass ich einen Zeltplatz und möglichst auch eine Dusche suche.

      Einer der beiden steht auf.

      »Wo ist dein Boot?«, fragt er.

      »Unten am Fluss.«

      »Warte«, sagt er, geht ins Haus und kommt mit einem Bootswagen zurück. »Wir holen das Boot, du solltest es nicht unten am Wasser liegen lassen, hier ist es sicherer. Und natürlich kannst du bei uns zelten«, sagt der Mann und deutet auf die große Wiese vor dem Haus, »das ist gar kein Problem«, und wir gehen zum Fluss.

      »Veterán«, sagt der Mann und lacht, als wir am Ufer ankommen. »Den Typ kenne ich, das ist ein Kolibri IV aus der DDR. Alt, aber gut.« Er sieht sich das Boot an und entdeckt die gebrochene Spante.

      »Das müssen wir reparieren«, sagt er. »Sonst geht bald noch mehr kaputt.«

      »Ja«, sage ich. »Aber wie?«

      »Im Bootshaus haben wir alles«, sagt der Mann. »Lass mich nur machen, ich kann das.«

      Auf der Wiese zerlege ich das Boot, nehme die Spante und bringe sie ihm.

      »Ich kümmere mich darum«, sagt er. »Du kannst solange dein Zelt aufbauen und wenn du fertig bist, zeige ich dir wo die Duschen sind.« Ich baue das Zelt auf und nehme die Taschenlampe in die Hand. Sie braucht neue Batterien, gestern Abend war das Licht nur noch ganz schwach, aber beim Öffnen drehe ich an der falschen Stelle und schon habe ich nur noch splitterndes Plastik in den Händen. Mir ist als griffe ich mittlerweile, ohne es zu wollen, mit dreifacher Kraft zu, werfe die kaputte Lampe in den Müll und gehe zu dem Mann, der mir die reparierte Spante in die Hand drückt.

      »Das ist Bootsleim«, sagt er, »das müsste halten. Und bis morgen ist der Kleber getrocknet.«

      Ich bedanke mich und gebe ihm einen Zehneuroschein. Die Brücke hinüber zur Innenstadt ist eine alte, stählerne Straßenbrücke und links neben der Autospur verläuft ein etwa zwei Meter breiter Fußgängerweg aus ausgetretenen, grauen Holzbohlen. Ich bleibe eine Weile auf der Brücke stehen, lehne mich auf das Geländer und sehe hinab auf den Fluss. Es ist ein warmer, klarer Sommerabend, im Westen schimmert der wolkenlose Himmel rötlich und die Stadt liegt in ein mildes Licht getaucht.

      An einem Bankautomaten hebe ich slowakische Kronen ab, das Pflaster vor dem Nationaltheater ist noch warm von der Hitze des Tages und ich sehe mir die Auslagen der kleinen Buden an, in denen Souvenirs verkauft werden. Postkarten und Aquarelle mit Stadtansichten, Keramik und T-Shirts mit der Aufschrift »Kiss me, I am Slovak«.

      Am Rande eines Brunnens sitzt ein junger Mann in einer grünen Hose und einer grünen Jacke. Sein Gesicht ist grün geschminkt, er ist barfuß und in der Hand hält er eine grüne, geschwungene Pfeife. Auf dem Kopf trägt er einen grünen Hut mit einer Sonnenblume und vor ihm steht ein Keramikbecher. Er bewegt sich ganz langsam, öffnet den Mund und schließt ihn wieder, geradeso wie ein müder, alter Karpfen an Land, und deutet dann auf den Becher zu seinen Füßen. Ich werfe eine Münze hinein und er verzieht das Gesicht zu einem breiten Grinsen, verbeugt sich und lüpft den Hut.

      Ich gehe zurück zum Ruderklub, setze mich ans Ufer und blicke über den Fluss. 522 Kilometer bin ich nun gefahren, fast vierzig Kilometer an jedem der vergangenen vierzehn Tage.

      Den ganzen Tag sehe ich den Fluss, ich treibe mit ihm, auf ihm, ich paddle und fahre und nun sitze ich am Ufer und betrachte die Wellen und das Wasser als sähe ich all das zum ersten Mal, ich könnte stundenlang so sitzen und der Donau zuschauen bei ihrem gleichmäßigen und ruhigen Fließen und als ich aufstehe und zurück zum Zelt gehe, ist es dunkle Nacht.

      AM MORGEN IST DER LEIM getrocknet, die Spante macht einen stabilen Eindruck und ich passe sie wieder in das Boot ein. Das Haus ist verschlossen und die beiden Männer sind nicht zu sehen, aber auf der Terrasse steht unter einem kleinen Vordach der Bootswagen und ich bringe alles wieder hinunter zum Fluss.

      Es sind noch fünfzehn Kilometer bis zur Staustufe Čunovo und die Skizze im Wasserwanderführer ist unübersichtlich, schlecht gedruckt und verwirrend. Anscheinend gibt es wohl eine Bootsgasse und eine Schleuse, aber die Skizze ist trotzdem nahezu unlesbar. Doch es wird schon irgendwie werden, denke ich und fahre erst einmal los.

      Zehn Kilometer hinter Bratislava lege ich an einem Kiesstrand an, binde das Boot an einen Baum und gehe zu einem Kiosk, der aber außer Kaffee und Cola, Bier und Schokoriegeln nichts zu verkaufen hat. Abgesehen von mir und dem Kioskbetreiber ist niemand hier und ich setze mich mit einem Becher Kaffee an einen der Tische im Schatten.

      Ein Pärchen kommt angeradelt. Sie sind vielleicht vierzig Jahre alt, holen sich ein Bier und fragen, ob an meinem Tisch noch ein Platz frei sei. Ich nicke und sie setzen sich.

      »Wir sind aus Bratislava«, sagen sie und stellen sich vor. »Martin und Jana. Und du? Wo kommst du her?«

      »Könnt ihr mich verstehen, wenn ich Tschechisch spreche?«, frage ich sie.

      »Ja«, sagt Jana. »Wir sind ja beide noch in der Tschechoslowakei aufgewachsen, wir haben in Brno studiert und verstehen sehr gut Tschechisch. In den ersten Jahren, kurz nach der Trennung in zwei souveräne Staaten, da haben sich unsere beiden Länder ja etwas auseinanderentwickelt.« Gerade die Slowakei, als junger Staat, hätte sich von Tschechien abgrenzen wollen, um die nicht ganz unumstrittene Eigenstaatlichkeit zu betonen. Aber jetzt, nachdem einige Zeit vergangen sei und der Status quo eine Selbstverständlichkeit, nachdem die Slowakei und Tschechien Mitglieder der Europäischen Union geworden sind, hätten sie sich wieder aneinander angenähert, sagt sie. Martin nickt.

      »Tschechischsprachige Filme laufen ohne Untertitel und ohne Synchronisation im slowakischen Fernsehen«, sagt er, »und die gegenseitige


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