Regensburg am Schwarzen Meer. Daniel Weißbrodt

Regensburg am Schwarzen Meer - Daniel Weißbrodt


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im Boot, ist es anders. Ich kann anhalten wo ich will und habe nicht das Gefühl, zu schnell zu reisen. Ich kann mir Zeit lassen und selbst wenn ich ungeduldig werde und möchte, dass es schneller vorwärts geht, muss ich mich dem Fluss beugen. Er ist ohnehin stärker als ich. Wasserwandern, Flusswandern ist tatsächlich ein sehr passender und guter Begriff für diese Art der langsamen und dabei keinesfalls langweiligen Fortbewegung. Ich fahre auf dem Fluss mit der Geschwindigkeit eines Fußgängers, schon mehr als eine Stunde bevor ich ankomme, sehe ich die Dörfer und Städte links und rechts des Ufers liegen, und nach zwei bis drei Stunden Fahrt tut mir ohnehin der Hintern weh, trotz des Kissens auf dem Sperrholzsitz, und ich muss eine Pause einlegen und irgendwo anhalten und aussteigen. Hier, am Oberlauf der deutschen Donau, liegen oft nicht mehr als fünf bis zehn Kilometer zwischen den Ortschaften und ich fahre ans Ufer und binde das Boot fest, spaziere durch einen Ort und kaufe mir eine Flasche Wasser und Brot, Obst und Gemüse oder setze mich in ein Café.

      Seit ich unterwegs bin, habe ich den ganzen Tag über Hunger, ich könnte permanent essen und in einem kleinen Laden kaufe ich mir eine Tüte Haselnusskerne und eine mit Rosinen, lege sie neben den Sitz und greife während der Fahrt immer wieder hinein.

      Am Abend ziehe ich das Boot an Land, binde die Leinen an einen Baum und steige das Ufer hinauf. Hinter dem Damm liegen Wiesen und Felder und in der Ferne ein paar Dörfer. Ich hole die Packsäcke und baue das Zelt auf, als ein Mann zu mir kommt. Er ist etwa fünfzig Jahre alt, er trägt eine Jeanslatzhose über einem karierten Holzfällerhemd und ausgetretene Gummistiefel.

      »Ist das Ihr Land, auf dem ich zelte?«, frage ich ihn.

      Er nickt und geht ein paar Schritte in Richtung Fluss, betrachtet das Boot, das am Ufer liegt, und nickt erneut.

      »Dees basst scho«, sagt der Mann. »Vor zwanzg Johr war da Fluuß no saudreggad! Do is da beim Fischn des Scheißbabbierl an da Schnur hänga bliebm.«

      »Da ist es jetzt besser«, sage ich.

      »Unsaoans hamats zwengdem Wassergebührn naufbrummt, damit de z’Straubing jazd a anständige Kläranlag ham. Saudeia is da Scheißdreeg seither. Ois is so deia wordn«, sagt er. »Des geht nimma lang guad! 20 000 Mark ham mia doomois zoihn miaßn, dass uns an Kanalisation ogschlossn ham. Aba an Grabn hama trotzdem soiba aushebm miaßn. Zwoahundert Metta ham mei Nachbar und i ausgrabn!«

      Er macht eine wegwerfende Handbewegung, dann deutet er auf den Fluss und grinst.

      »Mia han aba trotzdem drin gschwumma«, sagt er. »Trotz an Dreeg. Der hod uns ned scheniert. Des san fast dreihundert Metta und i bi jedn Tag auf d’Nacht oamoi durche gschwumma. Oamoi hi und wieda retour. Jedn Tag.«

      Dann geht er.

      Der beinahe volle Mond geht groß und orangerot hinter einem Hügel auf und spiegelt sich im schwarzglänzenden Wasser der Donau. Ein Feuer zünde ich nicht an. Es sieht zwar schön und romantisch aus, aber hinterher stinken die Klamotten doch wieder nur tagelang nach kaltem Rauch.

      SEIT FÜNF TAGEN bin ich auf dem Fluss unterwegs und am Nachmittag sehe ich am südöstlichen Horizont eine Brücke, die sich über die Donau spannt, am Ufer stehen Kirchtürme und mehrgeschossige Häuser. Passau liegt bunt und glänzend in der Sonne, die Fassaden der Häuser leuchten gelb und rot und ockerfarben, an Kaimauern liegen weiße Ausflugsschiffe und Angler stehen am Ufer.

      Ich halte nicht in Passau, die Stadt ist mir zu groß und zu unübersichtlich. In den kleineren Orten und in den Dörfern gibt es meist bessere Anlegestellen für mein Boot und der Weg zum nächsten Laden ist auch einfacher zu finden. Immer auf den Kirchturm zu und dort ist dann meistens auch ein Geschäft und eine Kneipe oder ein kleines Café.

      Hinter Passau mündet von rechts der Inn in den Fluss. Das grünbraune Wasser der Donau und das kalkgrautrübe aus den Alpen fließen eine Weile nebeneinander her, dann vermischen sie sich. Das Land wird bergig, hohe Kuppen fallen steil zum Ufer ab und ich suche ein Schild, das die Grenze markiert. Ab dem Kilometer 2 223 ist das rechte Ufer österreichisch, aber ich sehe kein Schild und fahre über die erste der vielen Grenzen, die die Donau passiert, ohne erkennen zu können, wo sie verläuft. Einerseits bin ich ein bisschen enttäuscht, andererseits finde ich es ganz großartig, dass es keine Kontrollen mehr gibt und ich einfach von einem Land in das andere wechseln kann, ohne dass sich irgendeine Behörde dafür interessiert.

      In Erlau spielen ein paar Männer Fußball und neben dem Sportplatz baue ich das Zelt auf. Als ich fertig bin, ist auch das Spiel zuende, die Männer gehen vom Platz hinüber zum Vereinshaus und ich frage einen der Fußballer, der vor dem Haus steht, ob ich vielleicht bei ihnen duschen könnte.

      »Wasserwanderer?«, fragt er und ich nicke.

      »Dahinein«, sagt er und deutet auf die Tür.

      Eine Dusche! Heißes Wasser! Seife! Das abfließende Wasser unter meinen Füßen ist graubraun. Ich schließe die Augen, lasse das Wasser über mein Gesicht laufen und habe mir nicht vorstellen können, wie sehr man etwas derart Alltägliches und Gewöhnliches genießen kann. Danach trockne ich mich ab und ziehe saubere Sachen an, ich fühle mich geradezu unglaublich wohl und setze mich auf die Bank vor dem Vereinshaus.

      In einer knappen Woche bin ich 175 Kilometer gefahren. Noch immer habe ich einen leichten Muskelkater in den Fingern und in den Ober- und Unterarmen, aber es tut nicht weh, es ist beinahe nur wie die Erinnerung daran, dass ich seit ein paar Tagen paddle, mich bewege, mich anstrenge.

      Mittlerweile weiß ich, wo ich was im Boot verstaut habe, und auch das Be- und Entladen und das Auf- und Abbauen des Zeltes geht schon viel schneller als noch in den ersten Tagen. Ich bin geschleust worden und ich weiß nun auch, dass mich die Wellen der großen Schiffe nicht zum Kentern bringen werden. Mit dem Gaskocher kann ich mir Kaffee kochen und Büchsensuppen warm machen und in den Dörfern kaufe ich mir Milch und Brot, Obst, Gemüse und Wasser. Es macht immer mehr Spaß und ich freue mich, noch zwei Wochen unterwegs zu sein, öffne mir eine Flasche Wein, lehne mich zurück und schaue in den Abendhimmel, trinke und bin ganz und gar zufrieden mit der Welt.

      AM MORGEN SCHEINT DIE SONNE, keine Wolke steht am blauen Himmel und noch ist die Luft frisch und kühl, aber auf dem Wasser gibt es keinen Schatten und es ist heiß.

      Am späten Vormittag sehe ich kurz vor Obernzell ein in Ufernähe ankerndes Motorboot im Fluss liegen, in dem eine Frau und ein Mann sitzen, etliche Kajaks sind unterwegs und am Ufer stehen zwei Männer und ein paar Kinder unter einem Banner mit der Aufschrift »Start«. Die Kinder in den Booten sind etwa zehn Jahre alt und tragen Schwimmwesten, sie sitzen ganz alleine in ihren Hartschalenkajaks und paddeln mit voller Kraft.

      Ein Junge startet auf gleicher Höhe mit mir, er legt sich ins Zeug und versucht mich einzuholen. Ich sehe zu ihm und paddle auch schneller. Seine Klassenkameraden am Ufer feuern ihn an und eine Zeitlang bleibe ich gleichauf, lasse mich dann aber zurückfallen und er gewinnt knapp. Als er die Ziellinie erreicht, legt der Sportlehrer die Hände zum Trichter an seinen Mund.

      »Du kannst dir die Silbermedaille bei der Siegerehrung heute Nachmittag um vier auf dem Schulhof abholen!«, ruft er mir zu und klopft dem Jungen, der erschöpft am Steg anlegt und stolz zu mir herübersieht, auf die Schulter. Die Kinder lachen und winken und ich winke zurück und schwenke meinen Strohhut zum Gruß.

      In Obernzell dann weiße Häuser mit Lüftlmalerei und hölzernen Balkonen unter roten Ziegeldächern hinter einer Hochwasserschutzmauer aus Naturstein. Eine barocke Kirche reckt ihre beiden Zwiebeltürme in den blauen Himmel und an einem Steg liegt ein schwarzes, altes Fischerboot festgekettet im Wasser, urtümlich wie ein Einbaum.

      Die bewaldeten Berge werden immer steiler und höher, der Fluss mäandert durchs Gebirge und ein großes Passagierschiff mit drei Decks kommt mir entgegen. Menschen stehen an der Reling, winken und fotografieren mich.

      Statt der bislang üblichen, großen, schwarzgrauen Steinblöcke am Ufer gibt es nun auch immer häufiger helle, fast weiße Strände aus Sand und Kieseln. Eine hölzerne, überdachte Fähre, die »Donaunixe Isa« heißt, pendelt von einem Ufer zum anderen, Motorboote ziehen Wasserskifahrer hinter sich her und neben dem Fluss verläuft der Donau-Radweg. Gruppen von Radfahrern mit Helmen und in bunten, enganliegenden Trikots


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