Regensburg am Schwarzen Meer. Daniel Weißbrodt
sich an der Unterseite des steinernen Bogens und auf der Brücke steht ein etwa vierjähriges Mädchen, es hält sich am Geländer fest und winkt mir zu. Vorsichtig lege ich das Paddel ab, halte es mit einer Hand fest und winke mit der anderen zurück.
Links und rechts stehen Bäume und Gebüsch, der Verkehrslärm ist leiser als an den Straßen und auf den Bürgersteigen, Vögel fliegen am Ufer und ich bin ganz nah am Wasser und spüre seine Kühle durch die Bootshaut.
Zerbrechlich wirkt das Boot, zierlich wie ein Spielzeug mit seinem schmalen, hölzernen Gerippe und der dünnen Haut, die sich glatt und straff darüber spannt, aber es trägt mich. Leicht wie ein Korken schwimmt es auf dem Wasser, mit den Pedalen steuere ich das Ruder und die Bootsspitze neigt sich nach links und nach rechts, ganz wie ich es will.
Abgesehen davon, dass mir Wasser ins Gesicht spritzt und das Verdeck nass tropft, wenn ich das Paddel ungeschickt eintauche, abgesehen davon, denke ich, scheint Bootsfahren eigentlich ganz einfach zu sein.
AN EINEM VORMITTAG IM JULI sitze ich im Auto und fahre nach Süden. Ab und an regnet es aus tiefhängenden, grauen Wolken und nur gelegentlich scheint ein kleiner Fetzen blauer Himmel hervor.
Im Kofferraum liegen die beiden wasserdichten Packsäcke, in denen das Faltboot steckt, und der Rucksack mit dem Gepäck. Zelt und Schlafsack, Isomatte und ein kleiner Gaskocher, Topf, Tasse und Besteck, Notizbuch und Füller, Wörterbücher und der Wasserwanderführer.
In Regensburg baue ich oberhalb der Steinernen Brücke, einer mittelalterlichen Brücke mit vielen, kleinen Bögen, das Boot neben den ausgetretenen Stufen einer Treppe auf, die hinab zum Wasser führt. Danach knote ich Seile an Bug und Heck und binde sie an zwei alten, eisernen Ringen fest, die zu diesem Zweck zwischen den Steinen eingelassen scheinen, und lege es ins Wasser. Das Boot steht in der Strömung, das Wasser fließt und rauscht an ihm vorüber und will es mitreißen, aber die Leinen halten es fest.
Ich setze mich auf die Treppe. Das Wasser fließt schnell, viel schneller als ich es erwartet hatte, und im Fluss schwimmen Äste und Zweige, die rasch vorübertreiben. Die Donau ist etwa hundert Meter breit und spiegelt den graublauen Himmel.
Ich hole das Gepäck aus dem Wagen und belade das Boot. Als ich fertig bin, liegt es tief im Wasser.
Ich muss das Auto zur Mietwagenstation bringen und weiß nicht, ob ich das Boot einfach so hier liegen lassen kann. Wenn es irgendjemand losbinden würde, dann wäre die Fahrt zu Ende, noch bevor sie begonnen hat.
Zwei etwa fünfzehnjährige Jungs sitzen am Ufer, sie tragen schwarze, weite Kapuzenshirts und Jeans und halten jeder eine Colabüchse in der Hand, sehen aufs Wasser und schweigen.
Ich gehe zu ihnen.
»Hallo«, sage ich. »Wisst ihr, wie lange ihr noch hier sitzen werdet?«
»Weiß nicht«, sagt der eine etwas gelangweilt. »Warum wollen Sie das denn wissen?«
»Könntet ihr ein Auge auf mein Boot haben?«, frage ich ihn. »In spätestens einer Stunde bin ich wieder da.«
»Na klar«, sagt der andere. »So lange sind wir auf alle Fälle noch hier. Machen Sie sich mal keine Sorgen, wir passen schon auf. Machen wir doch, oder?«, sagt er und stößt seinen Freund in die Seite. Der nickt.
»Ja, das machen wir, geht klar.«
Ich fahre zur Autovermietung und stelle den Wagen auf dem Parkplatz ab, werfe den Schlüssel in den Briefkasten und gehe entlang des Flusses zurück zum Boot.
An der Steinernen Brücke strömt das Wasser durch die engen Bögen und die breiten Pfeiler scheinen es ein wenig zu stauen. Oberhalb der Brücke ist das Wasser geradezu glatt, durch die Bögen fließt es ein wenig abfallend und unterhalb schäumt und sprudelt es in Wellen und Strudeln.
Wenn das mal gut geht, denke ich.
Die Jungs sitzen auf der Treppe direkt neben dem Boot.
»Danke fürs Aufpassen«, sage ich und gebe ihnen fünf Euro. »Das war wirklich sehr nett von euch!«
Sie sehen mich und den Schein verwundert an.
»Danke, das ist krass! Echt krass!«, sagt der eine. »Wohin wollen Sie eigentlich fahren?«
»Nun, so genau weiß ich das auch nicht«, sage ich. »Erst einmal immer flussabwärts jedenfalls und dann werde ich ja sehen, wie weit ich es schaffe. Bis Belgrad wäre schön. Das sind ziemlich genau 1 200 Kilometer.«
»Und da haben Sie alles drin, was Sie brauchen?« Er deutet auf das Boot.
»Ja«, sage ich. »Hoffentlich.«
»Krass! Machen Sie so was öfter?«
»Nein«, sage ich. »Vor fünfzehn Jahren war ich zwar mal mit Freunden in den Masuren paddeln, aber das waren Seen und schmale Kanäle, in denen das Wasser steht. Auf einem Fluss bin ich noch nie gefahren«, sage ich und steige in das Boot. Es zittert in den Wellen und Wasser schwappt über das Verdeck, es schaukelt und ich bin mir nicht sicher, ob das Ganze nicht vielleicht doch einfach nur eine ziemliche Schnapsidee gewesen ist.
Immer wieder schlägt das Ruder zur Seite und ich kann es mit den Pedalen nicht zurück in seine Position bringen.
»Sagt mal, könntet ihr das Ruder festhalten, wenn ich losfahre?«, frage ich die Jungs, die auf der Treppe sitzen und mir interessiert zusehen. Sie nicken und beugen sich über das Wasser, halten das Ruder fest und ich binde die Leinen los.
»Scheiße, ist das alles schwierig«, sage ich.
»Haben Sie Angst?«
»Ja, klar habe ich Angst. Ich habe eine Scheißangst. Aber irgendwie wird es schon gehen, macht’s gut, Jungs, und vielen Dank!«, sage ich und stoße mich vom Ufer ab.
»Regensburg, Steinerne Brücke. Durchfahrt im 2. Joch von rechts, das erste Joch ist nur für Bergfahrer!«, steht im Wasserwanderführer. Ich weiß zwar nicht was ein Bergfahrer ist, bin mir aber ganz sicher, dass ich keiner bin und steuere auf den zweiten Bogen zu. Das Wasser reißt mich mit sich und ich paddle nicht mehr, sondern versuche nur noch, das Boot allein mit dem Ruder zu steuern, ohne die Geschwindigkeit weiter zu erhöhen. Die Bootshaut schrammt über den steinernen Wellenbrecher, der knapp unter der Wasseroberfläche liegt, und ich erwische das zweite Joch, das Wasser trägt mich hindurch und ich umklammere ängstlich das Paddel.
Unterhalb der Brücke gerate ich in einen Strudel und das Boot dreht sich. Hilflos treibe ich im Wasser und auf der Brücke stehen Menschen und sehen zu mir herunter.
Das war’s, denke ich, gleich saufe ich hier ab.
Aber dann benutze ich doch vorsichtig das Paddel und als das Boot wieder in der Strömungsrichtung liegt, beginne ich, flussabwärts zu fahren.
Meine Knie zittern. Keine Angst, sage ich mir immer wieder, ich darf einfach keine Angst haben, das wird schon, aber ich glaube selbst nicht recht daran.
Nach einer Weile wird das Wasser ruhiger. Noch immer fließt es schnell dahin, nun aber ohne Wellen und Strudel, und ich verlasse die Stadt.
Ich hatte mir das alles ganz anders vorgestellt, sicherer und einfacher, aber das Boot wird nicht von einer gleichmäßigen und ruhigen Strömung langsam mitgetragen, es vibriert in den Wellen und Strudeln, es will sich drehen und abtreiben und es schaukelt, Wellen kommen von der Seite, von hinten und von vorn und hinter einer überspülten Buhne wird es von einer Gegenströmung herumgerissen. An der nächsten geeigneten Stelle halte ich an, denke ich, auch wenn im Wasserwanderführer keine Zeltmöglichkeit verzeichnet ist, aber ich will so schnell wie möglich wieder ans Ufer, ich möchte an Land sein und festen Boden unter den Füßen spüren, doch links und rechts ist das Ufer mit großen, lose übereinandergeschichteten Steinbrocken befestigt und ich sehe keine Bucht und keinen Steg. Hier kann ich nicht anlegen.
Hinter den steinernen Dämmen stehen Bäume und weit kann ich nicht sehen, ich sitze im Boot und es ist eine Art Froschperspektive, vor mir das blaue Dreieck der Bootsspitze und davor der Fluss.
Nach einer Stunde sehe ich ein paar