Das schöne Fräulein Li. Peter Brock
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Peter Brock
Das schöne Fräulein Li
Kappes siebenter Fall
Kriminalroman
Jaron Verlag
Peter Brock wurde 1966 in Pforzheim geboren, studierte in München Journalistik und lebt als Redakteur in Berlin. Er arbeitete unter anderem für die «Süddeutsche Zeitung» und den «Spiegel» und ist nun als stellvertretender Ressortleiter bei der «Berliner Zeitung» für Berlin und Brandenburg zuständig. Daneben veröffentlichte er Kurzgeschichten und gab einige Bände der Reihe «Berlin kompakt» beim Jaron Verlag heraus.
Originalausgabe
1. Auflage 2009
© 2009 Jaron Verlag GmbH, Berlin
1. digitale Auflage 2013 Zeilenwert GmbH
Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.
Umschlaggestaltung: Bauer + Möhring, Berlin
Satz: LVD GmbH, Berlin
ISBN 9783955520069
Inhaltsverzeichnis
EINS
VIELLEICHT HÄNGT ES MIT DER LANDSCHAFT ZUSAMMEN, denkt Kweihwa Li. Vielleicht wachsen deshalb keine Haare.
Draußen vor der Stadt, rings um die Dörfer, dort, wo die Wasserbüffel leben, stehen ja auch keine Bäume. Dort ist der Boden braun und feucht. Er schwitzt so wie er.
Erneut beobachtet Kweihwa Li, wie sich unter seiner goldbeigen Haut die Muskeln des Unterarms zusammenziehen. Gleich wird er sie wieder entspannen, denkt sie, wenn er die Hände öffnet. Zwei-, drei-, vier-, vielleicht fünfmal wird es noch so gehen, bevor er den Teigklumpen seiner Mutter aufs dunkel-speckige Holzbrett klatscht. Auch das ist feucht. Dann kümmert er sich um die nächste Ladung, während seine Mutter die kleinen halbmondförmigen Taschen mit gehacktem Fleisch füllt. Das kennt Kweihwa Li, sie achtet nicht darauf. Sie schaut wieder auf die männlichen Unterarme im Teig. Kein Härchen. Kein einziges. Dabei könnten darauf Hunderte, ach was, Tausende wachsen.
Ihre Schwester Lienhwa Li hat ihr das geschrieben. Sicher hat sie auch mal irgendeinem Mann über den Arm gestreichelt, wer weiß. Kweihwa kichert leise bei dieser Vorstellung.
Dort in dieser Welt, in der alles anders ist, ist sicher auch so etwas möglich. Dort wachsen ja auch viele Bäume rings um die Stadt, wie Lienhwa schrieb. So wie eben auch Haare auf den Unterarmen von Männern.
Gut, auch hier in China gibt es große Wälder, aber weiter weg, vor allem oben im Norden. Und in Shanghai natürlich, da gibt es viele große Europäer, sicher auch mit bewaldeter Haut. Aber hier in Qingtian in der südchinesischen Provinz Zhejiang, hier gibt es so etwas nicht.
Kweihwa Li wäre auch gerne einmal dort, wo Züge in der Erde unter Straßen und Häusern hindurchfahren, wo man allen Ernstes nur Kaltes zum Abendessen serviert bekommt und wo es Menschen gibt, die so groß sind wie der Kohleofen der Garküche, bei der Kweihwa Li gerade ansteht.
Berlin ist ein Abenteuer. Das steht fest. Und ihre Schwester darf es erleben.
Kweihwa Li ist nicht neidisch. Vielleicht, sofern sie nicht vorher heiratet, geht sie ja auch nach Shanghai wie ihre Schwester, die dort an der Tongji-Universität Medizin studierte und Deutsch lernte, bevor sie zum Studium anderer Wissensgebiete nach Deutschland zog. Ihr Onkel in Berlin hätte sicher auch für sie noch ein Zimmer.
Aber will sie das wirklich? Mit Messer und Gabel essen, mit großen blassen Frauen neben betrunkenen Männern stehen, sich bunte Bilder von fratzenhaften Krüppeln in Galerien ansehen und dann noch lächeln, so wie Lienhwa Li oft ihre Abende beschreibt, oder mit politisch engagierten Landsleuten über Kommunismus diskutieren, über den Versailler Vertrag, der Japan bevorzugt und ihm das ehemalige deutsche Pachtgebiet Qingdao zuspricht?
Ach, Kweihwa Li weiß es nicht. Eigentlich interessiert sie das alles nicht besonders. Aber sie ist ja auch nicht gefragt worden, ob sie in die große, weite Welt hinauswolle.
Wenn ihr Vater sie weiterhin nicht fragt, wird er anderes mit ihr vorhaben und jemanden für sie finden, jemanden, der gut passt– zu ihr und zu seinem Teegeschäft.
Dann wird sie eben hierbleiben und weiterhin für ihre Schwester einkaufen und Pakete packen. Getrocknete Pinggu-Pilze und kleine getrocknete Fischchen muss sie nachher noch einkaufen und zu Hause ihren Lieblingstee sowie ein bisschen von dem weißen Yin Zhen einpacken.
Die Blassen und Behaarten trinken ja, wenn überhaupt, ganz anderen Tee, hat ihre Schwester geschrieben, gar keinen grünen, sondern schwarzen, der aus Indien kommt. Manchmal sogar mit Milch.
Ein wenig Mitleid hat sie schon mit ihr. Deshalb wird Kweihwa Li, wenn sie nun endlich diese gefüllten Teigtäschchen fürs Abendessen in ihren Blechbüchsen verstaut hat, noch geschwind bei ihrem anderen Onkel vorbeigehen, dem Steinschnitzer, und eine schöne Kleinigkeit für Lienhwa aussuchen.
Sicher, alle ihre Landsleute verkaufen in Berlin Steinfiguren -
davon lebt der Onkel dort ja auch ganz gut –, aber es ist etwas anderes, wenn solch eine Figur von der Schwester kommt und aus Jade gefertigt wurde statt aus billigem Speckstein. Die Deutschen, hat ihr Lienhwa Li einmal geschrieben, erkennen den Unterschied ebenso wenig wie den zwischen Chinesen und Japanern. Für die seien eben alle Asiaten und alle blassgrünen Steine Jade. Komische Menschen!
ZWEI
EIN ABGERISSENER KNOPF DES WINTERMANTELS wird es sein, denkt Hermann Kappe. So genau hat er auch gar nicht hinschauen wollen. Schließlich hat er an diesem Abend schon genug gequirltes Blut gesehen. Es gab Tote Oma. Allein das kann einen erschaudern lassen. Immer, wenn seine Oma in Wendisch-Rietz solche Topfwurst servierte, hat er den Kasper gespielt, damit er vom Tisch verwiesen wurde. Aber inzwischen ist er fast 34 Jahre alt und