Das schöne Fräulein Li. Peter Brock

Das schöne Fräulein Li - Peter Brock


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will Kappe wissen, das kann doch nicht nur vom Maggi kommen, das neben den Töpfen steht und eifrig als Sojasoßenersatz benutzt wird.

      Der Wirt zuckt mit den Schultern. «Chinesisch eben!» Und fragen kann er die Köchinnen nicht. «Die können nich sprechen, ick meene, nich richtich, also nich unsere Sprache.» Er erzählt Kappe, dass die anderen meist auch nicht viel besser sprechen. «Die können grade mal mit Händen und Füßen handeln und ’n paar Zahlen. Die können ‹Bier› und ‹Bitte› sagen, ‹Danke› und ‹Scheene Frau›. Dat war’s dann aber ooch schon.»

      Das sind ja allerbeste Aussichten für erfolgreiche Vernehmungen, denkt Kappe.

      Als könne er Gedanken lesen, meint der Wirt, es gebe einen, der für schmales Geld zuverlässige Dolmetscherdienste leiste, der werde sogar von der Ausländerpolizei in Anspruch genommen und manchmal auch vom Gericht. Mit einem Kopfnicken deutet der Wirt auf einen Tisch in der hinteren Ecke, wo zwei junge Männer gerade die letzten Reiskörner aus der mit der linken Hand angehobenen Schüssel mit Stäbchen in den Mund schieben.

      Nach einer weiteren Kopfbewegung des Wirtes steht einer der beiden vor Kappe. «Ich bin Herr Tam. Guten Tag, mein Herr! Ich studierte Deutsch in Shanghai und bin Ihnen gern zu Diensten.»

      «Na ja, nu mal nich so förmlich, mein Junge!», meint Kappe und klopft ihm auf die Schulter.

      Damit ist Tam engagiert.

      Tam ist klein und drahtig. Er hat die Figur derjenigen Akrobaten, die bei Menschenpyramiden immer ganz oben stehen. Nachdem er vor vier Jahren seine Tante in Berlin besuchte, blieb der in Shanghai Geborene in Berlin hängen. Er schlage sich so durch, sagt er. Das gehe schon. Er habe auch ein offizielles Papier, das ihm bescheinigt, als Dolmetscher arbeiten zu dürfen. Und er interessiere sich für Politik, dafür sei Berlin gut.

      Es gebe hier einige der in der Kommunistischen Partei aktive junge Chinesen, erzählt er Kappe auf dem Weg durchs gelbe Viertel, während Kappe versucht, dem acht Jahre Jüngeren nach drei großen Bieren und einem Korn körperlich und geistig zu folgen.

      «Bei uns in Shanghai ist alles noch schlimmer. Voller. Menschen wie Ameisen», sagt Tam und lacht. Er lacht so wie die Chinesen, die Kappe auslachten, als er die Dusche abbekam: laut, hoch und schrill.

      Kappe schwitzt, als sie endlich am Ende der Andreasstraße vor einem armseligen, aber recht ordentlichen Mietshaus ankommen.

      Neben der Einfahrt ist rechts und links je ein Torpfosten in hellem Grün gestrichen. Darauf hat jemand kunstvoll rote chinesische Zeichen gepinselt. Darunter steht klein und auf Deutsch: Wong, 2. Hinterhof.

      Er wohne im Vorderhaus, erklärt Tam, aber sein Lager sei im Hof, und dort sei er sicher noch zu finden.

      Kappe folgt Tam durch die Toreinfahrt.

      Es ist inzwischen dunkel geworden. Tam zieht ihn am Ärmel und bedeutet ihm aufzupassen.

      Und tatsächlich wuseln schon im ersten Hof kleine Chinesen mit Karren und Kisten, mit Säcken auf den Schultern und Kindern im Arm so flink umher, dass Kappe aufpassen muss, mit keinem zusammenzustoßen. Während der Deutsche am Sonntage ruht, der Chinese flink seine Pflichten tut, dichtet er in Gedanken.

      Am Eingang zum zweiten Hof kommt es zu einem kurzen, heftigen, lautstarken Disput zwischen Tam und zwei stämmigen kleinen Chinesen, die einem Ringverein angehören könnten und augenscheinlich nicht vorhaben, ihren Landsmann und Kappe durchzulassen.

      Zunächst hält Kappe sich aus dem Streit heraus, schaut sich im Hof um und sieht, dass neben den Kisten ein NAG parkt. Einer vom Typ C4b. Bordeauxrot. So wie der, der ihn fast umgefahren hätte.

      Tam bittet Kappe, seinen Polizeiausweis vorzuzeigen.

      Die beiden Türsteher begutachten ihn im Schein der Petroleumlampe und bedeuten den Besuchern zu warten.

      Es dauert. Fünf Minuten bestimmt, bis ein in hellgrünem Baumwollkittel und hellgrünen weiten Hosen gewandeter Chinese kommt.

      Ein schöner Schlafanzug, schießt es Kappe durch den Kopf. Der Diener lässt Tam übersetzen, dass Herr Wong bereit sei den Kommissar zu empfangen.

      Der Gang, durch den sie sich schlängeln, ist nicht für Gegenverkehr ausgelegt. Links und rechts ist er von sich stapelnden Holzkisten mit chinesischer Aufschrift begrenzt. Als Kappe in einem Seitengang Kartons sieht, auf denen in deutscher Sprache geschrieben steht Vorsicht, zerbrechlich!, bleibt er stehen und will sie sich näher ansehen, doch Tam drängt zur Eile, und auch der Hellgrüne stößt bereits Laute aus, wie es sonst nur Galeerenantreiber tun. Kappe bleibt nichts anderes übrig, als zu folgen.

      Schließlich, auf einer Empore des Lagerraums, sieben eiserne Stufen über dem Boden, residiert Herr Wong an einem alten eichenen Schreibtisch. Er erhebt sich, als Kappe und Tam kommen, wechselt erst ein paar Worte auf Chinesisch, bevor er, sich zu Kappe wendend, sagt: «Willkommen, mein Herr! Schauen Sie sich ruhig um! Hier arbeiten ehrliche kleine Leute. Einer von ihnen musste heute gehen. Für immer.»

      «Ja, das tut mir leid! Deshalb bin ich hier. Wir werden den Mörder finden!», entgegnet Kappe.

      «Das hoffe ich. Wir suchen auch.»

      «Wer ist wir?», fragt Kappe.

      Wong spricht auf einmal in Chinesisch weiter.

      Tam übersetzt, dass er sich nicht so gut in der deutschen Sprache ausdrücken könne.

      Wong redet und redet, er wird laut und leise, seine Stimme wird schrill und tief, mehrmals fasst er Tam am Arm.

      Selbst wenn Kappe ganz nüchtern wäre, so einem Redeschwall könnte er auch auf Deutsch nicht folgen.

      Kurz hält Wong inne, dreht sich zur Seite, spuckt auf den Boden, dann fährt er in unverminderter Geschwindigkeit und Lautstärke fort.

      Kappe hat Gelegenheit, den Chinesen zu mustern. Obwohl er gepflegter ist als die anderen, die er in der Gaststätte sah, erscheint Wong grobschlächtig, nicht nur wegen der weit außen liegenden Backenknochen und der flachgedrückten Nase, auch wegen seiner brutal wirkenden Art zu sprechen. Wie eine knurrende Bulldogge bellt er die Worte seinem Gegenüber ins Gesicht. Kein Sympath. Mit lautem Husten und erneutem Auf-den-Boden-Spucken versiegt seine Rede. Er schaut Kappe an, als erwarte er eine Antwort. Dann lacht er, so wie die anderen Chinesen auch. Nicht tief, wie es zu seinem massigen Körper passen würde, nein, hoch, schrill und laut.

      «Der Herr lacht, weil er dachte, Sie würden verstehen und könnten antworten. Aber ich muss ja übersetzen», erklärt Tam. «Der Herr sagt, dass er sehr traurig über den Tod von Herrn Keung ist und auch wütend auf die Täter. Aber er hat keinen Verdacht und auch keine Ahnung, wer es getan haben könnte. Herr Keung sei ein guter Händler gewesen, er habe keine Feinde gehabt, keinen Ärger, er stammte aus demselben Heimatort wie er, aus Wenzhou.» Etwas leiser fügt Tam hinzu: «Das ist nur etwa einhundert Kilometer entfernt von Qingtian, woher Herr Li, sein Konkurrent stammt.»

      Als Wong den Namen Li hört, stimmt er einen kurzen lauten Schimpfakkord an.

      Tam aber fährt ungeachtet dessen mit seiner Übersetzung fort:«Herr Keung habe hier im zweiten Stock gelebt, und der Herr werde nun den Angehörigen Geld für die Trauerfeier schicken. Aber mehr kann er nicht sagen.»

      Kappe will wissen, ob Keung bei Wong angestellt gewesen war und ob man die Unterkunft des Toten sehen könne.

      Nach erneutem Hin- und Zurückübersetzen erklärt Tam, dass Herr Keung, wie die anderen Händler auch, selbständig gewesen sei. Aber er habe von Wong die Waren bezogen, teilweise auch auf Kredit. Dafür durfte er nur Wong-Waren verkaufen und auch nur in dem Revier, das ihm Wong vorgab.

      Kappe merkt, dass Tam nun Dinge erklärt, die Wong gar nicht gesagt hat.

      Nervös drückt Wong mehrmals einen Steinstempel in bröckelige rote Farbe, bevor er damit irgendwelche Papiere markiert. Dann drückt er ihn wieder in das bröckelige Rot.

      Der Jade-Stein, der als Stempel dient, und die arterienblutrote Masse, die von Wong immer wieder mit dem Stein traktiert wird,


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