... und hinter uns die Heimat. Klaus-Peter Enghardt
nächsten Tag machte die Lehrerin mit den Jüngsten in ihrer Klasse Schreibübungen. Die Kinder mussten einfache Worte von der Tafel in ihre Hefte übertragen, die älteren Schüler eine Geschichte in ihren Büchern lesen, die sie danach in Kurzform selbst wiedergeben sollten. Inzwischen wollte sich Katharina den Pflanzen auf den Fensterbrettern widmen. Ihr Blick ging über die Köpfe ihrer Schüler hinweg.
Die Erstklässler schrieben mit konzentrierten Minen die Buchstaben von der Tafel ab, Wort für Wort.
Die älteren Schüler lasen in ihren Büchern. Beruhigt widmete sich die Lehrerin ihren Pflanzen. Zuerst wollte sie dem Gummibaum ein wenig Wasser geben, der nur ab und zu gegossen werden brauchte.
Als sie ihn jedoch mit der kleinen Gießkanne benetzte, war da nicht etwa nur Wasser in der Kanne, sondern das Wasser war mit blauer Tinte vermischt. Ehe die Lehrerin das Unfassbare bemerkt hatte, war ein Teil der Tinte bereits über die Blätter in den Topf gelaufen. Vor Schreck und Fassungslosigkeit über so eine Frechheit, konnte sie ein paar Sekunden keinen klaren Gedanken fassen. Mühsam beherrscht nahm sie dann aber den Blumentopf und verließ den Klassenraum, um die Pflanze an der Pumpe im Hof zu wässern und eventuell den Schaden zu verringern.
Beim Verlassen der Klasse huschte ihr Blick über die Köpfe der älteren Schüler und sie konnte in einigen Gesichtern ein schadenfrohes Grinsen erkennen. Die Lehrerin nahm sich vor, dass sie sich diese Burschen bis zu ihrer Rückkehr gut merken würde. Noch an der Pumpe konnte sie diese Ungeheuerlichkeit nicht begreifen. Was hatten die Pflanzen denn den Schülern getan? Diesmal würde sie durchgreifen müssen, sonst tanzten ihr die Rabauken bald gänzlich auf dem Kopf herum und lieferten den Mitschülern ein schlechtes Beispiel. Sie würde jedoch dem Missetäter und eventuellen Helfershelfern die Möglichkeit geben, sich selbst zu stellen.
Betont beherrscht kehrte sie mit der Grünpflanze in den Klassenraum zurück. Als sie über die Köpfe der Kinder schaute, sah sie nur hochkonzentrierte Schüler, die ihre Nasen tief über Bücher oder Hefte hielten und sich nicht trauten, aufzublicken. In diese Konzentration hinein fragte sie mit nicht allzu lauter, aber umso strengerer Stimme: »Wer war das?«, und zeigte dabei demonstrativ auf die Grünpflanze.
Sie ließ diese Frage einige Sekunden im Raum stehen und fragte dann schärfer: »Wer war das? Jetzt kann der Unhold Mut beweisen. Wehrlose Pflanzen zu ruinieren bedarf es keinen Mut. Also, wer war der Übeltäter?«
Die Nasen senkten sich noch tiefer über die Lehrmittel.
»Also gut, wenn sich der Lauks nicht selbst meldet, werde ich es herausfinden, das wird gar nicht so schwer werden. Ich denke, dass es niemand aus der unteren Klasse war. Diese Schüler können an die Wand treten. Den Mädchen traue ich so eine Tat auch nicht zu, die können auch zur Seite gehen.« Nach einem abschätzenden Blick auf den Rest der Klasse zählte die Lehrerin die Anzahl der verbliebenen Schüler.
»Nun haben wir also noch achtzehn Verdächtige. Merkt ihr etwas? Der Ring zieht sich immer enger zu«, sagte die Lehrerin streng. »Also, letzte Chance. Wer war es?«
Kein Schüler meldete sich, aber einige rutschten nervös auf ihren Bänken hin und her. Katharina schaute jeden einzelnen Jungen durchdringend an und pokerte: »Hans, du kannst zur Wand gehen, Robert auch. Martin und Friedrich können auch mitgehen.«
Ihre Blicke schienen die Schüler zu durchbohren und erzeugten immer größere Nervosität unter ihnen.
Sie wandte sich an den Klassensprecher: »Ulrich, weißt du wer es war?« Der Schüler schüttelte wenig glaubhaft den Kopf.
»Das glaube ich dir zwar nicht und es ist schlimm genug, dass du als Klassensprecher mich anschwindelst, aber dir traue ich die Tat ebenfalls nicht zu, gehe also mit zur Wand. Und darüber, ob ich dich noch als Klassensprecher akzeptieren werde, werden wir später reden.«
Mit hängendem Kopf trat Ulrich zur Seite, er schämte sich, seine Lehrerin angelogen zu haben, die immer fair zu den Kindern war.
Schüler für Schüler wurde von der Lehrerin aussortiert, bis nur noch ein Kern von sieben Jungs übrig geblieben war.
Die Spannung war deutlich zu spüren. Keiner der Übriggebliebenen wagte, der Lehrerin ins Gesicht zu schauen, also folgerte Katharina, dass alle sieben zumindest Mitwisser waren und dass sich unter ihnen der Täter befand.
Die Lehrerin ließ die Schüler nach vorn kommen und sagte: »Ich möchte eure Hände sehen.« Vier Schüler zeigten ihre Hände sofort, die restlichen drei zögerten. Als sie ihre Hände ausgestreckt hatten, sah die Lehrerin, dass die Finger der drei Schüler mit Tinte beschmiert waren. An der Hand des einen Schülers waren Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger mit Tinte beschmiert, das hatte sie bei ihm schon öfter gesehen, es lag an seinem klecksenden Füller. Auch dieser Schüler durfte gehen. Nun blieben noch zwei Schüler übrig.
»Wer von euch beiden Laukse war es?«, fragte sie mit strenger Stimme. Betreten schauten beide zu Boden.
»Na gut, ich bekomme das heraus, verlasst euch drauf, aber dann werde ich keine Gnade mehr walten lassen!«
Plötzlich kam ihr eine Idee. »Edeltraud, bringe mir doch bitte aus dem Klassenschrank ein Fässchen Tinte.«
Die Schülerin kam dem Wunsch der Lehrerin nach. Inzwischen nahm Katharina ein paar lose Blätter aus dem Schubfach des Lehrertisches und legte sie auf die Tischplatte.
Dann sagte sie zu den beiden Verdächtigen: »So, nun taucht ihr eure Fingerspitzen in das Tintenfass und macht auf dem Blatt Papier von jeder Fingerspitze einen Abdruck. Die Fingerabdrücke und die Gießkanne übergebe ich morgen dem Dorfpolizisten, der bringt sie nach Zinten zur Kriminalpolizei und die finden dann den Übeltäter.«
Das war natürlich nur ein Trick, doch sie hatte damit Erfolg.
Plötzlich schrie nämlich Kurt Perkuhn, und er unterzog mit seiner Aussage der Kinderfreundschaft zu Albert Schugat einer großen Belastungsprobe: »Ich brauche überhauptkeine Fingerabdrücke abgeben, ich war es ja gar nicht. Der Albert hat die Tinte in die Gießkanne geschüttet.«
Der so schmählich verschuftete Rabauke wurde kalkweiß. Nun war er überführt. Überführt? Nein, verraten vom eigenen Freund! Das zählte doppelt.
Mühsam beherrscht sagte die Lehrerin: »Alle Kinder setzen sich wieder auf ihre Plätze.«
An Albert Schugat gewandt sagte sie jedoch streng:
»Du, nicht. Du bleibst hier vorn.«
Die Lehrerin im Rücken, griente Albert Schugat seinen Mitschülern im festen Glauben entgegen, dass er einer strengen Bestrafung entgehen würde, denn Frau Knieschitz hatte bisher immer nur geschimpft. Bei Herrn Graudenz wäre das allerdings etwas anderes. Der zog ungezogenen Schülern ab und zu mal eins mit dem Rohrstock hinten drauf.
Frau Knieschitz noch nie, die hatte ja nicht mal einen Penter, so die Meinung des Schülers.
Katharina wusste, dass sie nun ein Exempel statuieren musste, wollte sie nicht ihre Autorität verspielen. Trotzdem war ihr nicht wohl beim Gedanken, einen Schüler mit dem Rohrstock zu disziplinieren. Sie gab sich schließlich einen Ruck und lief zum Klassenschrank, drehte ihren Schlüssel im Türschloss und öffnete die Schranktür. In der rechten Ecke stand der Rohrstock. Die Schüler klebten mit ihren Augen förmlich an ihrer Lehrerin und sahen natürlich, wie sie den Rohrstock aus dem Schrank nahm. Augenblicklich konnte man die kollektive Atmung der Schüler vernehmen, die ihre Luft vor Schreck hörbar einzogen. Auch Albert war erschrocken und er ahnte, dass er den Bogen überspannt hatte und der Prügel wohl diesmal nicht ausweichen konnte.
Die Lehrerin ging nach vorn und forderte den Schüler auf, sich mit dem Oberkörper über die Schulbank in der ersten Reihe zu legen. Langsam kam Albert der Aufforderung nach und erwartete das Unausweichliche. Frau Knieschitz hatte noch niemals einen Schüler geschlagen und kam sich elend vor.
Sie wusste aber, dass es diesmal unausweichlich war und hoffte, dass dieses Exempel eine so abschreckende Wirkung zeigen würde, dass sie diesen unseligen Rohrstock kein zweites Mal benutzen musste.
Dann hieb sie tatsächlich den Stock auf das