... und hinter uns die Heimat. Klaus-Peter Enghardt

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erzieherische Wirkung hinterlassen würden. »Wie oft soll ich denn nun zuschlagen«, dachte sie, »genügten fünf Schläge, sind zehn bereits zu viel?« Katharina zählte bis acht und ließ es genug sein.

      »So, ich hoffe, dass es dir und den anderen Schülern, die in der Schule Blödsinn machen wollen, eine Warnung war. Ab heute werde ich den Stock gut sichtbar auf dem Lehrertisch liegen haben, als Warnung an jeden der den Unterricht stört oder eine ähnliche Schufterei macht, wie heute.«

      Innerlich hoffte sie, diesen Stock nie mehr zum Schlagen eines Kindes in die Hand nehmen zu müssen.

      Albert hatte bei der Bestrafung sein Gesicht vor Schmerz verzogen, aber er hatte keine Träne vergossen.

      »Du kannst nach Hause gehen, ich möchte dich heute nicht mehr sehen«, sagte die Lehrerin streng, doch sie wollte dem Schüler nur das Sitzen auf der Holzbank ersparen.

      So gesehen hatte die Züchtigung für Albert, trotz der Schmerzen, einen versöhnlichen Ausgang genommen. Er war hart im Nehmen und mit der Rute hatte er von der Mutter auch schon oft etwas hintendrauf gekriegt.

      An den folgenden Tagen fehlte der Junge in der Schule und Katharina überlegte, ob sie sich nicht einmal bei seinen Eltern nach ihm erkundigen sollte.

      Doch als die Lehrerin an jenem Nachmittag, als sie diesen Elternbesuch vornehmen wollte, nach Hause kam, war Besuch im Haus. Am Küchentisch saß eine Frau aus dem Dorf, die Katharina nicht bekannt war, und die doch auf die Lehrerin wartete. Katharina ahnte plötzlich, wer da am Küchentisch saß.

      Vor sich hatte die Frau einen Korb stehen, in dem sich Schinken, Eier, Honig und ein Brot befanden. Die Frau schien mit ihrem Einkauf, vom Krämer direkt zu ihr gekommen zu sein.

      Nachdem Katharina die Mutter ihres Schülers begrüßt hatte, überlegte sie kurz, wie sie das Gespräch beginnen sollte, da sprudelte die Frau plötzlich im Jargon der Königsberger Marktfrauen mit rollendem »R« und merkwürdigem »ei«, das mehr wie ein »ej« klang, heraus: »Also Frollejn, ich bin ja nu mal die Mutter vom Albert und da muss ich mal mit Ihnen reden.«

      Katharina unterbrach die Frau und sagte: »Liebe Frau Schugat, ich kann mir vorstellen, dass Sie ärgerlich sind, aber …«

      Nun jedoch wurde die Lehrerin unterbrochen: »Nej, nej nej, Frollejn, das brauchen Se mal nuscht nich vertuschen.«

      Katharina schwieg betreten und suchte nach Worten, dafür legte Frau Schugat nach: »Ei, ich kenne mejnen Alfred jar nich wieder. So ejn Schubiak, der mir nur Erjer jemacht hat, auf ejnmal hilft er mir auf dem Feld, will jar nich in die Schule jehen, ehe die Kartoffeln vom Acker sind. Hat sich frieher nuscht nich draus jemacht, wenn ich ihn mit den Kodder ejne jetachtelt habe oder ihn den Dups versohlt hab. Hatte immer nur das Rumkariolen mit sejnen anderen Labommels im Kopp oder hockte mit ihnen auf die Lucht und baldowerte neue Dummhejten aus. Pletzlich hilft er mir sojar im Haus. Erbarmung, ich hatte nur Sorjen mit ihm, sejt mejn Mann bei den Soldaten is. Nich mal der Präzenter is mit ihm noch fertig jeworden und nu kommt so ejne junge Lehrerin, haut ihm mit den Penter den Hosenboden ejn und schon is mejn Albert ejn braves Kind. Dafür danke ich Ihnen auch scheen.«

      Die Lehrerin konnte sich gar nicht genug wundern. Sie hatte gedacht, dass sich die Mutter des Schülers bei ihr wegen der Bestrafung mit dem Rohrstock beschweren wollte, nun bedankte sie sich auch noch dafür. Katharina konnte das nicht begreifen und es war ihr äußerst peinlich.

      »Junges Frollejn, ich habe Ihnen da ejn bisschen was mitjebracht, nur ejne Klejnigkejt, aber es kommt von Herzen«, sagte Frau Schugat, und packte ihren Korb vor der Lehrerin aus, deren Augen vor Verwunderung immer größer wurden. Schinken, Honig, Brot und Eier lagen auf dem Küchentisch und dem frisch gebackenen Brot entströmte ein herrlicher Duft. Wie gern hätte sie sich aus den Schätzen ein schönes Essen bereitet, aber sie durfte sich als Lehrerin doch nicht bestechen lassen, und das sagte sie der Frau auch.

      »Erbarmung, junges Frollejn. Sehe ich amend aus wie ejn Schubiak, der Sie bestechen will? Nej, das ist ejn Jeschenk, wie man es juten Frejnden macht, das kenn Se ruhig annehm.«

      Nun mischte sich auch Marie Schimkus ein. »Wenn die Frau Schugat dir das doch schenken will, kannst du es nicht abschlagen. Könnte sein, dass sie sonst beleidigt wäre.«

      Frau Schugat erhob sich und sagte: »Nu wollen wir mal nich so ejn Brimborium draus machen. Wenn ich es nich hette, kennte ich es auch nich jeben. Also, auf Wiedersehen.«

      Katharina bedankte sich, obwohl sie sich etwas überrumpelt fühlte, und brachte die Frau zur Tür. Als sie die Ausgangstür geschlossen hatte und in die Küche zurückgekehrt war, standen die beiden Frauen für einige Sekunden regungslos da und prusteten plötzlich gleichzeitig los.

      Marie Schimkus traten vor Lachen die Tränen in die Augen und amüsiert sagte sie: »Wenn du einem Schüler eine Eins gibst, schenkt dir niemand etwas, aber wenn du ihm den Hosenboden versohlst, dann hast du für drei Tage zu essen«, und die Frauen lachten wieder los.

      Diese Begebenheit behielten die beiden Frauen jedoch für sich und Albert Schugat kam auch wieder in die Schule. Er hatte sich zwar nicht von Saulus zu Paulus gewandelt, doch sein Betragen machte zumindest während des Unterrichtes einige Fortschritte.

      Katharina hatte Post bekommen, und zwar gleich drei Briefe auf einmal. Der dickste Brief war von ihren Eltern, der zweite Brief war von Tante Ida und der dritte von Mutter Kleinschmidt. Die Freude war riesig und die junge Frau zog sich auf ihr Zimmer zurück, um ihre Post in Ruhe zu studieren.

      Im Radio kamen immer wieder Nachrichten über Köln, die ihr Angst machten. Ganz besonders schlimm aber musste es in Essen sein, da konnte ja kein Stein mehr auf dem anderen stehen.

      Obwohl ihr Vater in seinen Briefen nur spärlich über die Bombenangriffe auf Köln berichtete, um seine Tochter nicht übermäßig zu beunruhigen, konnte sich Katharina das Leid der Menschen in der Stadt vorstellen.

      Ganz besonders erschüttert war sie vom Tod des Nachbarsohnes. Sie hatten als Kinder miteinander gespielt und als Heranwachsende lernten sie auf demselben Gymnasium. Sie war sehr froh, dass es ihren Eltern gut ging, aber ihr wäre wohler zumute, wenn sie Köln verlassen würden.

      Das Pflichtbewusstsein ihres Vaters, der auch in schwersten Zeiten nie seiner Arbeit fern blieb, würde eines Tages noch zu einem Unglück führen.

      Die junge Frau schwebte zwischen Angst, wenn sie an ihre Eltern, Verwandte und Freunde dachte, und Erleichterung, dass sie selbst, fernab von Bombenbedrohungen im ostpreußischen Loditten in Sicherheit war.

      Tante Ida schrieb, dass sie inzwischen ab und zu Besuch von ihrem Mann Herbert bekam, und stellte die Aussicht in den Raum, sich angesichts der schweren Zeit wieder mit ihm zu versöhnen. Das freute Katharina, die ja ihren Onkel öfters heimlich besucht hatte und somit künftig eventuell auf diese Art Heimlichkeiten verzichten konnte.

      Mutter Kleinschmidt schrieb in ihrer unverwechselbaren Art genauso wie sie sprach und Katharina musste beim Lesen der Zeilen ein paarmal lachen. Die Frau beklagte sich über das Berliner »Mistwetter«, über die Rationierung der meisten Dinge des täglichen Bedarfs, über den Engpass an Kohlen, Brennholz und Kartoffeln, über das Ausbleiben von Gästen und auch darüber, dass ihre Tochter sie wohl vergessen hatte, da sie sich gar nicht mehr meldete.

      Doch bei allem Schimpfen klang aber auch immer wieder der unverbrüchliche Optimismus der Frau durch.

      Katharina wollte die Briefe so schnell wie möglich beantworten.

      Inzwischen wehte der berüchtigte kalte Ostwind über das Memelland nach Ostpreußen. Das Herbstlaub wurde von den Ästen geweht, und tanzte im Spiel des Windes. Regenschauer jagten Mensch und Tier in sicheren Unterschlupf und aus den Schornsteinen der Häuser stiegen dicke Rauchwolken.

      Die junge Lehrerin bekam einen ersten Eindruck, wie unwirtlich es in ihrer neuen Heimat sein konnte, dabei hatte der Winter noch nicht einmal begonnen.

      Mit dem Beginn der kalten Jahreszeit wurde im Haus von Marie Schimkus eine liebgewonnene Tradition wiederbelebt, an der Katharina nun ebenfalls teilhaben durfte.

      Die Noaberschen trafen


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