Vom Salz in der Suppe. Manfred Steinert
Gewässer, zuvor aus Büchern angelesen und in Form eines kleinen Handbuches mit an Bord, galt es nun umzusetzen. Das Verhalten beim Begegnen großer Frachtschiffe und anderer Sportboote, samt der dafür geltenden Vorfahrtsregeln, spezieller optischer und akustischer Signale, Zeichen an Brücken sowie das Verhalten bei (der damals noch häufigen) Gierfähren und anderes.
Das alles war kein wirkliches Problem. Das Problem begann erst abends oder wenn ich irgendwo zwecks Nachschub an Lebensmitteln oder Benzin für den Kocher in irgendein Dorf musste.
Dann musste ich alles allein lassen, hastete ins Dorf oder in das jeweilige Städtchen und hatte keine Ruhe bis ich wieder auf dem Elbedamm war und von fern erkannte, dass alles noch da war. Am Anfang war das wirklicher Stress, der sich glücklicherweise nach ein paar Tagen etwas legte. Doch als Risiko nahm ich es immer wahr, wenn ich einkaufen musste. Und falls es sich um Benzin für den Kocher handelte, reichte auch kein kleiner Dorfladen (die es heute gar nicht mehr gibt), sondern musste es dann eine kleine Stadt mit Tankstelle sein, auch wenn es sich bloß um einen 2-Liter-Kanister handelte. (Das erste Mal passierte das gleich am Nachmittag des ersten Tages in Pirna, denn ich hatte natürlich kein Benzin aus Leipzig mitgenommen.)
War das ausgestanden, kam die Nacht. Allein. Da wurde das Boot aus dem Wasser gezogen und ein Stück den Hang hochgebuckelt, man wusste ja als Anfänger nicht, wie schnell sich an einem Fluss die Wasserstände ändern könnten. Nach dem Zeltbau und nach dem Essen wurde dann – sicher ist sicher – zumindest während der ersten Tage, noch die Bootsleine durch den Zelteingang geführt und am … Fußknöchel festgebunden. Und ein Hirschfänger lag beim Schlafen immer in Griffweite. Nach ein paar Tagen ließ der nächtliche Stress allerdings nach und ich wurde gelassener. Und allgemein war das Alleinsein des Nachts beim »wilden« Zelten (damals) im Inland kein ernstes Problem. (Heute muss man das wohl anders sehen.) Zugegeben, anfangs war mir ein paar Mal mulmig zumute, als ich gegen den Nachthimmel ein paar Gestalten auf dem Elbedamm auf mich zukommen sah. Obwohl es sich wahrscheinlich dabei auch nur um Spaziergänger gehandelt hatte, für die mein Zelt wohl gar nicht interessant war, wenn sie es überhaupt bemerkt hatten.
Im Ostseeraum freilich galten ganz andere Regeln, über die noch zu sprechen sein wird.
Dass ich oft ungewollt und unwissentlich auf Kuhkoppeln oder gar auf Truppenübungsplätzen gelandet war, das war später eher die Regel als die Ausnahme. Im Gegenteil, mit Kühen wurde ich immer vertrauter und wusste bald, wie ich mit den teilweise neugierigen Tieren umzugehen hatte.
Nur einmal, viel später und bereits an der Ostsee, als wir bereits zu zweit waren, da wurde es ernster, obwohl wir noch mit einem blauen Auge davonkamen und wovon noch die Rede sein wird. Auch mit Truppenübungsplätzen hatte ich im Prinzip nur gute Erfahrungen. Einmal, ich war gerade an Land gegangen, um die Lage wegen eines Platzes für die Nacht zu peilen, da bemerkte ich hinter dem Deich erst in der Ferne eine Sturmbahn und dann unmittelbar vor mir einen sowjetischen Soldaten faul in der Sonne liegend. Es ist fraglich, wer von uns beiden mehr überrascht war? Wir rauchten eine Papirossa zusammen und ich konnte mein bescheidenes Russisch ausprobieren. Trotz beidseitiger Sympathie, dort gleich zu zelten, das hatte ich mir in Unkenntnis möglicher Reaktionen seiner Vorgesetzten dann doch verkniffen.
Dass es bei solchen, größtenteils positiv oder wenigstens glimpflich abgelaufenen Ereignissen auch Ausnahmen gab, wird sich zeigen. Ausnahmen, die das Potenzial eines worst case bargen und die wohl nur durch ein bisschen Glück zum dennoch guten Ausgang geführt hatten.
Soviel zum Thema Alleinsein auf der Elbe. Ein Thema, das zwar immer mehr an Bedeutung verlor, später sich sogar mitunter ein gewisser Leichtsinn einschlich.
Zur Streckenführung: Für jene, die entweder die durchfahrenen Gebiete kennen oder sich aus Interesse die Mühe machen wollen, alles anhand einer Karte zu verfolgen, seien nun ein paar Bemerkungen zur gesamten Streckenführung gemacht. Insbesondere, weil die beigefügte Übersichtsskizze (S. 20) hierfür kaum ausreichen dürfte. Und die anderen, denen diese Details nicht so liegen? Die müssen da eben durch, wofür sie jedoch mit besonderen Einlagen auf der Strecke entschädigt werden.
Vom beschriebenen Start in Schmilka/Sächsiche Schweiz ging es zunächst rund 440 Kilometer bis zur Havelmündung auf meiner »Jugendliebe«, der Elbe, entlang. Dresden, Meißen, Torgau, Wittenberg, Dessau, Schönebeck, Magdeburg, Tangermünde, Arneburg hießen die Städte die dabei eine gewisse Rolle spielten. Bei den Nebenflüssen, an deren Mündungen teilweise gezeltet wurde, waren es die Schwarze Elster beim Dorf Elster, die Mulde bei Dessau und die Saale bei Barby. Kleine und kleinste Flüsschen oder Bäche, die weiter keine Rolle spielten, bleiben außen vor.
Eine Besonderheit dieses Abschnittes scheint mir erwähnenswert:
Die Landschaft an der Elbe wird nach dem malerischen Weinanbaugebiet zwischen Dresden und Meißen etwas eintönig. Die Elbe fließt dort, an Riesa vorbei, mehr oder weniger zwischen zwei Dämmen, die man, im kleinen Boot sitzend, nicht überblicken kann. Jedoch etwa ab Wittenberg/Dessau wird die Landschaft richtig schön. Da fließt sie durch einen wunderschönen Auwald, bildet etwas weiter nördlich mit ein paar Altarmen ein bedeutsames Naturschutzgebiet. (Steckby-Lödderitzer Forst) Dort genehmigte ich mir sogar an einem wunderschönen Sandstrand an einem der Altarme eine Nacht und konnte da sogar das Wirken der letzten Elbebiber (damals fast ausgestorben) in Augenschein nehmen. Die »Hausherren« selbst allerdings nicht. Doch vorher hatte ich das erwähnte, weniger attraktive Stück hinter mich zu bringen. Wenn dazu noch »Kilometerfressen« angesagt ist, weil man bestimmte Ziele in bestimmter Zeit erreichen musste, (Stichpunkt: Treffpunkt mit Klaus in Genthin) da kam mir in der Höhe von Torgau, als der Tag zur Neige ging und ich mich hätte langsam nach einem Platz zum Zelten umsehen sollen, der Gedanke einer Nachtfahrt. Insbesondere hier die Ufer weitflächig mit großen Bruchsteinen stabilisiert worden waren und somit alles andere als zum Zelten einluden:
Also wurde noch mal richtig gegessen, die Spritzdecken festgezurrt und ab ging die Post. Eine helle Sternen- und Mondnacht verhieß einigermaßen gute Sicht und als einziges Risiko dachte ich an die Möglichkeit der Kollision mit Ketten von Gierfähren, die sich aber des Nachts ohnehin nicht in Flussmitte befinden würden. Dass es nach ein paar Stunden Fahrt plötzlich stockdunkel wurde und sich ein heftiges Gewitter entlud, das hatte ich nicht auf der Rechnung gehabt. Da das Gewitter urplötzlich losbrach und dazu von heftigem Sturm begleitet wurde, hatte ich nun die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder zu versuchen an Land zu kommen, mit dem Risiko, bei Dunkelheit, Sturm und Wellengang das Boot auf den spitzen Ufersteinen ernsthaft zu beschädigen – oder zu versuchen, das Gewitter im Boot so gut es ging »auszusitzen«, mit dem Risiko, zu kentern. Und das mulmige Gefühl der Blitze wegen, das versuchte ich (erfolgreich) zu verdrängen. Trotzdem, obwohl ein nächtliches Kentern im großen Fluss auch nicht einladend wirkte, es außerdem inzwischen bereits in Strömen goss, entschied ich mich für Letzteres, der Weiterfahrt.
Und – es ging einigermaßen gut. Das »einigermaßen« bezieht sich dabei nur darauf, dass ich zwar nicht kenterte und mich auch kein Blitz erschlug. Alles andere war jedoch kein Spaß. Denn trotz festgezurrter Spritzdecken saß ich nun bis zum Morgengrauen etliche Zentimeter hoch im Wasser, fror wie ein junger Hund, alle Sachen, einschließlich Ausweis, Geld etc. waren völlig nass. Frierend und hungrig baute ich an der Mündung der Schwarzen Elster nach insgesamt etwa 90 Tageskilometern (sonst auf der Elbe allein im Zweier etwa 30 Kilometer) das nasse Zelt auf, spannte Leinen zum Trocknen meiner Utensilien (für die Geldscheine hatte ich Klammern dabei) – und legte einen Ruhetag ein. Wobei das Wort »Ruhe« auch relativ zu sehen ist, denn ich war, wie später noch so viele Male, auf einer Kuhkoppel gestrandet. Dabei konnte ich feststellen, dass diese eher gemütlich wirkenden Milch- und Fleischlieferanten auch recht neugierig sein können. Doch, nachdem man sich gegenseitig soweit »kennengelernt« hat, dass man vom jeweils anderen nichts Böses zu erwarten hat, kann man sich arrangieren.
Nach dem erwähnten schönen Auwald ab Wittenberg, irgendwo nach Dessau, ereignete sich eine weitere, der weiter oben erwähnten Ausnahmen. Und war die Nachtfahrt noch auf eigene Entscheidung zurückzuführen, kam die folgende Ausnahme völlig unverhofft:
Da war ich zwischen zwei Buhnen an einem