Ein Wandel der Gesinnung. Hanspeter Götze

Ein Wandel der Gesinnung - Hanspeter Götze


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ich als Selbstständiger einen Ausweis für die Metro besaß, in der man Tabak und Getränke preiswert erwerben konnte, nahmen wir diese Möglichkeit immer öfters in Anspruch. So ergab es sich, dass wir einmal die Woche zu dem besagten Großmarkt fuhren, um den Wochenbedarf zu decken. Da meine Partnerin ebenfalls Bier bevorzugte, wurde ein Kasten gesplittet. Dies sollte meinen Bedarf an Alkohol einschränken und eine harmonische Partnerschaft garantieren.

      Doch ein Suchtkranker lässt sich nicht gern kontrollieren, geschweige denn von seiner Lebenserfüllung abbringen. Jeder Alkoholiker besitzt ein großes Potential an Finessen, welche er auf der Suche nach dem Stoff eigennützig anwendet. So war es auch in meinem Fall, als ich schon beim damaligen Kauf im Supermarkt auf eine Nachfülloption achtete und eine bestimmte Biersorte auswählte, die man problemlos von einem normalen Lebensmittelgeschäft beziehen konnte. Die damalige Wohnung befand sich im vierten Stock eines Häuserkomplexes und erforderte bei jedem Kommen und Gehen einer Planvorgabe. Bereitwillig übernahm ich den täglichen Gang in den Keller, um den alkoholischen Nachschub für den gemeinsamen Fernsehabend zu besorgen. Dadurch war es auch ein Leichtes, das Leergut gegen volle Flaschen, welche sich im geparkten Auto an der Straße befanden, auszutauschen, ohne dass ein Verdacht entstand. Problemlos konnte ich somit die wöchentliche Trinkmenge verdreifachen und war ständig in ihrer Nähe. Diese Übergangslösung zur Befriedigung der Trinkbedürfnisse stufte ich damals noch als kleine Mogelei ein, obwohl die Abhängigkeit schon deutliche Konturen angenommen hatte.

      Später kaufte ich im gegenseitigen Einvernehmen für mich einen ganzen Kasten Weizen im besagten Großmarkt, während meine Freundin sich immer noch mit der Hälfte begnügte. Dies bescherte mir gleichzeitig einen größeren Spielraum bei der Abfüllung des Körpers. Durch die Tätigkeit im Außendienst, der ich in einem vierzehntägigen Turnus nachging, konnte ich mit dieser Variante die Zeit zu zweit mühelos überbrücken, ohne den Gedanken an eine Kneipe zu hegen. Gleichzeitig verstieß ich nach der damaligen Auffassung nicht gegen die Bewährungsauflagen.

      Es kam der Tag, an dem meine Lebensgefährtin arbeitslos wurde und sich die Probleme häuften. Sie igelte sich ein und verbrachte die Hälfte des Tages im Bett; teils aus Unzufriedenheit oder mit Vorgaukeln einer Krankheit. Ich hingegen nahm noch einen Nebenjob als Pizzafahrer an, welcher nicht nur für mehr Geld in der Haushaltskasse sorgte, sondern mich für einige Zeit auch vom übermäßigen Trinken abhielt. Da gab es gerade einmal ein Feierabendbier, um am nächsten Morgen wieder einsatzbereit zu sein. Der angestaute Druck wurde dann auf den Ausstellungen abgelassen, bei denen ich mich wieder in meinem Element fühlte. Zwar trat schon nach wenigen Tagen der Trennung das Gefühl der Verbundenheit auf und man führte endlose Telefongespräche, doch ein Bruch in der Partnerschaft war absehbar.

      Bei den verbleibenden Stunden der Gemeinsamkeit nahm ich zunehmend den Part des Alleinunterhalters ein, während sie sich ihrem vermeidbaren Schicksal fügte. Es war schon damals nicht einfach, bettlägerig eine Arbeit zu bekommen. Sie bekam den Hintern nicht hoch und ich sollte als Ausgleich dafür malochen. Ich fühlte mich in diesem Zeitraum schlicht ausgenutzt und begann wieder mit dem Frusttrinken.

      Nach einem ausgiebigen Kneipenbesuch kam es dann zum Eklat. Es gab eine hitzige Debatte über den Sinn einer Freundschaft, in der der eine Partner säuft und der andere schläft. Letztendlich verwies sie mich galant aus der Wohnung und ich hatte nichts Besseres zu tun, als mich in diesem Zustand ins Auto zu begeben und über die Stadtautobahn in die eigene Wohnung zu fahren. Dort angekommen, ging es geradewegs in die Stammkneipe, um den Ärger und Frust herunterzuspülen.

      Am Nächsten Tag hörte ich im Wachkoma jemanden meinen Namen rufen, doch ich war unfähig zu antworten. Nachdem ich meinen Rausch ausgeschlafen hatte, fand ich im Flur meine Koffer, in denen sich Kleidungsstücke und persönliche Sachen von mir befanden. Als Zeichen der endgültigen Trennung legte man noch die Wohnungsschlüssel dazu. Danach blieben wir nur noch in telefonischem Kontakt.

      All dies zog mich dermaßen herunter und die Mauer, welche einst für Rückhalt, Zuversicht und Willenskraft stand, fing immer mehr an zu bröckeln. Dazu gesellte sich noch die Aussichtslosigkeit im Messegeschäft. Dauerwerbesendungen im TV führten zu einem unerwarteten Verkaufsrückgang. Nach vier Pleiten hintereinander musste auch ich die Segel streichen und begann die angehäuften Schulden gegenüber den Geschäftspartnern abzubauen. Der Verkauf des Autos und des Messestandes dienten zur vorübergehenden Tilgung der sich aufgetanen Verbindlichkeiten. Für den eigenen Lebensunterhalt blieb mir nur noch der Gang zum Sozialamt.

      In dieser Zeit befand ich mich in den Katakomben der totalen Alkoholabhängigkeit. Obwohl ich noch die Wohnung besaß, verbrachte ich die meiste Zeit bei Gleichgesinnten oder wartete auf der Parkbank auf nette Bekannte, die das Wichtigste, den Suff, besorgten. Das Essen wurde in einer Wärmestube eingenommen und um ein paar Mark für die Sucht zu ergattern, ging ich zum Blutspenden. Die einstigen Freunde wandten sich dankend von mir ab und vergessen waren die gemeinsamen Jahre des Zusammenhalts. Rückblickend war dieser Lebensabschnitt wichtig, da ich am eigenen Leib erfuhr, was die Droge Alkohol mit einem Menschen alles veranstalten kann.

      Der einzige Lichtblick in diesem unendlich langen Tunnel war meine Mutter, welche mich mit eindringlichen Worten zu einer Rückkehr in meine Geburtsstadt bewegte. In meiner aussichtlosen Lage nahm ich dieses Angebot dankend an und fuhr mit dem Zug in das Allgäu. Auf dieser achtstündigen Fahrt trank ich gerade einmal zwei Bier und wurde schon sehnsüchtig am Bahnhof erwartet. Das Kapitel Berlin war für mich vorerst beendet.

      In den nächsten Tagen besuchte ich den früheren Hausarzt und gemeinsam fanden wir eine Lösung für das bestehende Trinkproblem und die daraus resultierende Niedergeschlagenheit. Ich entschloss mich für eine Therapie in der Nähe von Oberstaufen (Wolfsried). Gleich am nächsten Tag fuhr ich zusammen mit meiner Mutter in die besagte Einrichtung, welche mir auf Anhieb zusagte. Nach einem Gespräch mit der Klinikleitung unterschrieb ich bereitwillig den Aufnahmevertrag. Da ich zu diesem Zeitpunkt noch privat krankenversichert war, wurde man im Gegensatz zu anderen Kassenpatienten bevorzugt und so dauerte es keine Woche, bis ich stationär aufgenommen wurde.

      Die Anpassung an den dort vorherrschenden spartanischen Lebensstil war das ganze Gegenteil zu den letzten Tagen in Berlin. In den acht Wochen des stationären Aufenthaltes lernte ich die andere Seite des Lebens kennen. Hier herrschte noch Zucht und Ordnung. Dazu gehörten das absolute Rauchverbot, keine Zeitung, kein Radio oder Fernseher, geschweige denn sexueller Kontakt zu weiblichen Patienten, um nur einige der Tabus aufzuzählen. Um sechs Uhr aufstehen, händchenhaltend als Pärchen zwei Kilometer spazieren gehen, Gruppenmeeting mit allen Insassen und Meldung machen von beobachteten Verstößen anderer Suchtkranker. Wurde jemand bei einem Vergehen erwischt, musste er sich vor versammelter Mannschaft rechtfertigen und erhielt bei Schuldanerkenntnis einen Strafpunkt. Die körperliche Folter hatte man schon vor meinem Eintritt abgeschafft. Da ich keine Alternativen kannte, wurden diese Maßregelungen akzeptiert. So konnten die Patienten in Ruhe über ihre traurige Vergangenheit nachdenken und ich konzentrierte mich mehr auf die eigene Person. Ich entdeckte wieder verborgene Interessen wie das Spazierengehen, Gedichteschreiben oder Mineralwassertrinken und hatte keinerlei Verlangen nach einem Bier.

      Leider war die Klinik nicht speziell für Alkoholabhängige ausgerichtet, sondern beherbergte Patienten der verschiedensten Suchtkrankheiten mit den Schwerpunktthemen Essstörungen, Medikamentenabhängigkeit, Beziehungssucht, Co-Abhängigkeit, sexuelle Traumatisierung oder Borderlinesyndrom, um nur einige davon zu nennen. Eine Mitpatientin und meine Wenigkeit bildeten das Zweierteam der Alkoholkranken. In den von einer Psychologin geleiteten Gruppenstunden wurde verallgemeinert über die Sucht gesprochen, sodass wir beide uns letztendlich gegenseitig therapierten. Nach Ablauf der vereinbarten Zeit wollte ich verlängern, doch die Therapeutin gab mir zu verstehen, dass bei der derzeitigen Stabilität eine Arbeitssuche sinnvoller sei.

      Nach der Entlassung hielt ich mich eine längere Zeit an die Vorgaben und Erfahrungen aus Wolfsried, mied Kneipen und begab mich auf Arbeitssuche. Da ich mir für die Rückfälle keine Zeitfenster setzte, waren die folgenden zehn Jahre recht abwechslungsreich. Die Phasen, in denen die Vernunft Oberhand über den Saufdruck behielt, waren zwar dünn gesät, doch immerhin vorhanden. Teils lag es an der beruflichen Tätigkeit, bei der es sich nicht gebührte, nächtelang durchzuzechen, oder aber es sorgten die zahlreichen unfreiwilligen Krankenhausaufenthalte für


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