Gittas Bilder. Sabine Rydz
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Sabine Rydz
Gittas Bilder
Künstler-Erzählung
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2015
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Copyright (2012) Engelsdorfer Verlag
Alle Rechte beim Autor
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015
Inhaltsverzeichnis
1. Kapitel Venedig, Markusplatz – „Grand Caffé Quadri“
2. Kapitel Eine Vaporetto-Fahrt über den Canal Grande
3. Kapitel Gondelfahrt auf dem Canal Grande
4. Kapitel Essen gehen im Stadtteil Dorsoduro
6. Kapitel Das „Grand Caffé Florian“
7. Kapitel Auf der Suche nach dem Marchese
8. Kapitel Besuch beim Marchese
1. Kapitel
Venedig, Markusplatz – „Grand Caffé Quadri“
Heute Ausstellungs-Eröffnung in Venedig: „Sozialistische Frauen-Portraits aus der DDR.“
So oder so ähnlich lautete wohl vor 25 Jahren eine Schlagzeile in der venezianischen Lokal-Presse, die für unsere Bilder Werbung machen sollte, unglaublich aber wahr, zwei Portraits von meiner verstorbenen Maler-Freundin Gitta durften seinerzeit die kühne Reise über die „Berliner Mauer“ zu einem fast olympischen Bilder-Wettbewerb nach Venedig antreten.
Für Gitta bedeutete es zum damaligen Zeitpunkt die Erfüllung eines künstlerischen Traumes, den sie nie gewagt hätte zu träumen, weil man ja schon bei dem Gedanken nach Venedig reisen zu wollen an der Passkontrolle am Flughafen Berlin-Schönefeld festgenommen wurde, so unmenschlich und schizophren waren das DDR-System und seine Machthaber in der bitterschweren Zeit.
Für mich war es, als hätte sich mein Portrait inbrünstig in den Louvre gebohrt und als würde jemand ein Drehbuch darüber schreiben, einen Film drehen, in dem sich Gittas Kunst für Momente offenbart, aber eigentlich wollte ich jetzt sofort nach Paris, um eine Model-Karriere zu starten, doch leider wie immer in diesem Land nur eine Illusion, eine Extravaganz, aber mein Portrait ging fast auf Weltreise. Nur Bärbel saß traurig auf dem Sofa und zerknüllte die Entscheidung des Verbandes Bildender Künstler, dass ihre Bilder nicht in Venedig ausgestellt werden können, als wir sie am Nachmittag in ihrer Wohnung besuchten, aber die Gründe blieben natürlich geheim, alles top secret, aber jeder im Prenzlauer Berg wusste, dass der Verband sie damit nur wieder demütigen wollte, weil sie gewagt hatte, den sozialistischen Staat zu kritisieren.
Das Imperium schlug aus kurzer Entfernung zurück, und ließ ihre Bilder nicht außer Landes, sondern ordnete strikt an, sie könne demnächst Bau-Zäune im Stadtbezirk Mitte bemalen, dass wäre auch eine lohnende künstlerische Aufgabe für eine Malerin.
Wir tranken Rotwein und schauten uns immer wieder fassungslos an. Bärbel sagte plötzlich leise zu Gitta: „Ich werde diese Tätigkeit nicht annehmen, da kann der Verband machen, was er will.“
„Da hast du recht, lass dich nicht unterkriegen“, erwiderte Gitta zögerlich, weil sie nicht wusste, was sie vor Wut denken oder machen sollte?
Sicherlich würde Bärbel in den nächsten Tagen verschiedene Haltungen gegenüber dem Verband ausprobieren, aber hoffentlich hatte sie sich nicht künstlerisches Versagen eingebildet, denn dazu bestand ja kein Anlass. Aber man hadert in solchen Situationen mit sich und der Welt.
Nach diesem grausam-deprimierenden Thema wechselten wir zu Belanglosigkeiten, um unseren Schock abzureagieren. Aber natürlich war das kein Abreagieren, sondern nur eine simple Verdrängung. In Wirklichkeit beschämte uns Bärbels Absage zutiefst. Gitta klammerte sich mit beiden Händen an das Rotweinglas, und ich rauchte eine Zigarette nach der anderen, um meine Nerven zu beruhigen, denn wir waren unglücklich, verzweifelt und wütend zugleich, weil unter solchen Bedingungen keine Freude mehr über die bevorstehende Ausstellung in Venedig aufkommen konnte.
Aber eigentlich war es für den Prenzlauer Berg eine echte Sensation, denn damals war er noch nicht zum Yuppie-Wohn-Bezirk mit Loft-Wohnungen avanciert, sondern stachelte als Kunst- und politischer-Widerstands-Bezirk die gesamte DDR an, sehr zum Leidwesen der Administration. Unser Prenzlauer Berg war die Keimzelle der „Friedlichen Revolution“. Tage- und nächtelang kursierte aber Gittas aufregende Bilder-Reise durch Cafés und Kneipen, sogar an der Curry-Wust-Bude auf der Schönhauser Allee wurde darüber gesprochen. Und tatsächlich Wochen später verpackten Gitta und ich unsere Bilder und bereiteten sie auf ihre abenteuerliche Reise vor.
Mit geheimnisvoller Leidenschaft sprachen wir über Venedig. Diese Stadt war für uns weiter weg als der Mond, verheißungsvoll und Lichtjahre von uns entfernt, aber unsere Euphorie borderte über, denn ohne diese übersteigerte Freude hätte es für uns keine Ideen, keine Inspiration und kein Lebensziel mehr gegeben, es keimte Hoffnung auf politische Veränderung auf.
Eine bizarre Ausstellung in einer für uns außerirdischen und unerreichbaren Stadt hatte uns wie ein Stromschlag aufgeweckt, wachgeküsst, und uns verwandelt in sinnlich-erotische wie auch tugendhafte Nymphen. Reflexe dieser Kultfiguren durchzogen unser Fühlen und Denken, und für mich war es fast wie die verspätete Geburt der Venus, und der Auftritt unserer Portraits würde sich nie mehr wiederholen, aber es begann eine Transformation unserer Persönlichkeiten, eine Emanzipation der besonderen Art sollte es werden. Gitta würde möglicherweise bis ans Ende ihrer Tage zur Meisterin der modernen Portraitmalerei avancieren. Von unseren Portraits mussten wir Abschied nehmen, denn wir bekamen vom Kultur-Ministerium keine Bordkarten für den Flug, deshalb brauchten wir auch nicht hektisch einen Gepäckschalter zu suchen. Wir als Personen durften natürlich nicht in die Lagunenstadt reisen, um der Serinissima unsere Aufwartung zu machen. Schon der leise Gedanke daran erfüllte in der bitter-schweren Zeit den Straftatbestand des Vaterlandsverrats, so schizophren und grausam war dieser Staat. Aber diese Zeiten sind Dank der „Friedlichen Revolution“ vorbei, und ich kann jetzt auch immer nach Venedig reisen, wann ich will.
Ja und so war ich eben wieder nach strapaziöser Busfahrt von München quer über die Alpen in Venedig gelandet, in meiner Traumstadt, wo es keinen Unterschied gibt zwischen Touristen