Gittas Bilder. Sabine Rydz
Weshalb sie überhaupt nach Venedig durften? Denn nur die Fürsprache des Verbandes konnte es allein nicht gewesen sein, aber vielleicht waren unsere Portraits gut für das DDR-Image – arbeitende Frauen in einem Sozialstaat, das ist natürlich eine gute Werbung. Ja das könnte die Erklärung sein, denn Erich Honecker tat ja fast alles für die makellose Anerkennung der DDR im kapitalistischen Ausland.
Ja, vielleicht hofften unsere Kulturbonzen damals, dass unsere Bilder Millionen einbringen könnten, denn Gitta wurde ja von unseren Kunstkritikern in Ostberlin als der weibliche Vincent van Gogh bezeichnet. Doch von den sensationellen Summen des wirklichen Vincent van Gogh waren Gittas Gagen natürlich Lichtjahre entfernt. Aber zur Ausstellungseröffnung in Venedig wären sicherlich auch Elton John, Isabella Rosselini, Wolfgang Joop und auch Karl Lagerfeld gekommen, jeder würde mit Gitta kommunizieren wollen, Mikrofone und Handys flimmerten und piepsten, das Allerwelts-Geplapper lief auf Hochtouren, Agenten würden die Bilder ordern wollen und der hingehauchte Charme der Prominenz würde den Wert unserer Bilder ins unermessliche steigern, so dass wir uns später in der Karibik-Sonne bräunen könnten. Keiner hätte bei uns mehr DDR-Winterblässe erkennen können und auch keine Sorgenfalten über das System, makellos schön wären wir geworden, und das sogar ohne eine Schönheitsklinik in der Schweiz aufzusuchen.
Ja, Erfolg macht einfach jung und schön, ob Kapitalismus oder Sozialismus – und vor allem erotisch. Das konnte aber nur gelingen, weil Gitta für uns im Prenzlauer Berg die Inkarnation der begabten Malerin war. Und sie kannte ihre Vorzüge und Begabungen, aber sie stand auch zu ihren Fehlern und sie hat das höchste Lob verdient. Sie war einfach menschlich, aber wo verdammt noch mal ist bloß der Palast, dieser ominöse Palast, der unsere Portraits beherbergt hat? Ich werde hier noch verrückt, er muss doch hier in der Nähe sein – ich kam mir vor wie in einem verzauberten Wald von Palästen.
Ich beruhigte meine Nerven und aß einen Apfel, schaute aber immer wieder gebannt auf die Paläste, die majestätisch wie Trutzburgen aus dem Wasser ragten und an uns vorbei schwebten, aber sie verrieten mir nicht ihr Geheimnis. Sie waren in der Regel dreigeschossig, aber jeder Palast hatte eine andere Ornamentik. Insgesamt aber bestand ein Zusammenklang zwischen ihnen, es war wie bei einer Symphonie, deren unterschiedliche Töne ineinander spielten.
Aber ich musste das wichtige Detail finden, woran man erkennen konnte, dass es der damalige Palast der Bilder war. Es war fast wie eine Prüfung im Märchen, aber wenn mir schon die Götter nicht helfen, dann doch wenigstens eine gute Fee oder der Teufel mit den drei goldenen Haaren, aber hoffen und harren tun nur die Narren. Ich musste einfach weiter suchen, aus basta.
Aber egal, die kunstsinnigen Venezianer haben sicherlich, als die Bilder ausgestellt waren, die Schönheit der sozialistischen Frauenportraits erkannt, vor allem die Meisterlichkeit ihrer Pinselführung bewundert, fast wie bei Albrecht Dürer. Denn Gittas Bilder haben auch die grüblerische Tiefe wie der große Meister aus Nürnberg, der zu seiner Zeit den höchsten Lebensstandard in Nürnberg besaß, fast genauso wie Gitta. Das hätte sie auch leicht schaffen können bei uns im Prenzlauer Berg, aber so richtig mit Geld konnte sie eben nicht umgehen, aber es reichte trotzdem für das Leben im allgemeinen und auch im besonderen, denn Lebensmittel und Mieten waren ja spottbillig, und für kostspielige Reisen brauchten wir ja auch kein Geld, denn es gab sie nicht für DDR-Bürger – so einfach konnte das Leben sein. Deshalb fehlten Gitta auch exotische Motive im Hinter- und auch im Vordergrund, aber das tat ihrer Kunst keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Unsere sozialistischen Künstler nahmen ihre Umgebung stärker wahr, so rückten eben Häuser, Gärten, belebte Straßen und Plätze in den Mittelpunkt des künstlerischen Schaffens, und Portraits von Freunden und Bekannten, wie bei Gitta und Bärbel und anderen Malern der Ex-DDR. Es gab aber auch künstlerische Weiterbildungsveranstaltungen, die bei Malern und Bildhauern beliebten Plenair. Da durften Künstler nach Bulgarien in einen Steinbruch reisen, machten wochenlang figurine Bildhauertätigkeiten oder Open-Air-Malerei. Aber es haben auch wüste Nächte mit fast tödlichen Trinkgelagen stattgefunden, wo es an die Schmerzgrenze ging, und zum Frühstück sind die Künstler barfuß und nur in Tunika erschienen, aber es hat auch seligmachende Sonnenuntergänge gegeben, die sie mit Bleistift festhielten.
Gitta hätte sich in ihrem künstlerischen Schaffensprozess vielleicht noch mehr auf erotische Motive konzentrieren sollen. Sie hätte uns alle als „Sexy Clips“ der spätsozialistischen Welt malen sollen, das hätte später auch den Erfolg auf dem internationalen Kunstmarkt gebracht. Wir hätten hier auf dem Markusplatz Champagner bis zum Abwinken trinken können, ach was sage ich, in Champagner hätten wir gebadet und Bananenblütensalat dazu gegessen. Gitta wäre die reichste Frau Ostberlins geworden, und ich wäre fest als taffe Managerin an ihrer Seite. Ja, das sind Perspektiven, keine romantischen Träume.
In einem anziehend-fordernden Chanel- oder Valentino-Kostüm hätte ich überall auf der Welt Vernissagen organisiert, aber wir wären nicht nur auf Bilderausstellungen aufgetreten, nein auch aufregende, nie dagewesene Disco-Sound und Rockstar-Glamour-Sezessionen hätten wir in Ostberlin für den Rest der Welt veranstaltet. Das können sie mir glauben! Oder wir wären vielleicht alle in Bautzen im Stasi-Knast gelandet, weil alles zu dekadent gewesen wäre. Vor allem alles an den Bedürfnissender Arbeiterklasse vorbei. Ja, Bautzen war seinerzeit sicherlich in Reichweite für uns alle, vor allem natürlich für Bärbel, die im Dauerklinsch auf Grund ihrer permanenten Kritik mit dem Verband Bildende Künste lag, aber auch mit der hohen politischen Administration. Bärbel Bohley war die mutigste DDR-Frau, sie ließ sich nicht unterkriegen …
Immer wieder schaute ich auf die Paläste, konnte aber nichts Auffälliges, was für meine Recherche wichtig gewesen wäre, erkennen. Alles hatte sich gegen mich verschworen!
Irgendwie hätte ich mich auf diese Reise besser vorbereiten sollen, im Vorfeld Briefe an offizielle Stellen schreiben sollen, an die Stadtverwaltung hier in Venedig oder an die Italienische Botschaft in Berlin. Da hatten wir ja damals Gittas großes Puppenbild hingebracht, weil die Italienische Botschaft es von ihr über den Verband Bildender Künstler in Ostberlin abgekauft hatte. Wie der Deal zustandegekommen ist – bis heute weiß ich nichts Genaues darüber. Aber für Gitta war es ein nicht nur prestigemäßiger Erfolg.
Ja, die Palast-Suche wäre konstruktiv gewesen, wenn ich die Italienische Botschaft aufgesucht hätte, aber hinterher ist man immer schlauer. Alles lamentieren hilft auch nicht weiter, jetzt muss gesucht werden, und zwar der richtige Palazzo. Aber bitte keine Hysterie, keine Hektik, jetzt ist spirituelle Aufgeschlossenheit in jede Richtung nötig, unbeirrbares Vertrauen in die eigene Kraft und Bereitschaft war angesagt. Hoffentlich ist die ganze Sache lösbar, aber eine gewisse Ambivalenz lag in der Luft.
Optimistisch wollte ich jetzt sein, doch leider bin ich keine Hellseherin, aber wer sucht, der findet, vor allem die bekannte Nadel im Heuhaufen. Traumverloren saß ich auf dem Vaporetto und steuerte den stolzen Palästen entgegen. Jetzt müsste mir hier Beuys begegnen, das wäre der Hype, es würde die Situation schlagartig ins Positive verwandeln. Er könnte mir sofort helfen, sein Charisma und seine Kunst haben auch Gitta und Bärbel schwer beeindruckt. Ich fand ihn immer irgendwie skurril, und dass er eine tragende Säule der avantgardistischen Kunst war, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Aber egal, unser Vaporetto fuhr selig weiter, und wir kamen zum Palazzo Manin-Dolfin, er wurde 1538 bis 40 gebaut von Sansovino, aber nur eine klassizistische Fassade ist erhalten geblieben. Das Innere ließ Ludovico Madin, letzter Doge von Venedig vollständig umbauen, aber leider nicht zu einer Kunstgalerie. Ein gutes Refugium für unsere Bilder wäre es schon gewesen, aber vielleicht doch zu feudal für die bescheidenen Portraits von zwei Frauen aus der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, einem Arbeiter- und Bauern-Staat? Ich ertappte mich selber beim Träumen und beim spontanen Hunger nach Erfolg und Anerkennung und hoffte intensiv auf die Abbildung unserer Bilder in internationalen Hochglanzmagazinen, doch plötzlich wurde ich von einer Stimme wild aus meinen Träumen herausgerissen. Ein junger Mann sprach mich an: „Entschuldigen Sie bitte, aber ich kenne Sie, Sie arbeiten beim Hugendubel in München-Neuperlach?“
„Ja, stimmt, ich kann mich erinnern, erst vorgestern habe ich Sie bedient“, sagte ich stereotyp und etwas geschockt von dieser etwas merkwürdigen Charme-Offensive.
Aber eigentlich konnte ich mich nicht an ihn erinnern, denn mir bleiben nur Kunden im Gedächtnis, die assoziativ den gleichen literarischen Geschmack