Viva la carpa! Als die Mafia den Aischgründer Spiegelkarpfen haben wollte. Werner Rosenzweig
Schnäppchen. Nochmals die gleiche Summe plante er für die vollständige Renovierung des Anwesens auszugeben. Dennoch … wie gesagt, ein echtes Schnäppchen. Das Mühlenrad, welches im Jahr 2013 durch das Jahrhunderthochwasser der Aisch zerstört wurde, wollte er noch dieses Jahr wiederherstellen lassen. Danach würde es an das Haupthaus und den Garten gehen, welcher vor lauter Unkraut nur so strotzte. Selbst der Maulwurf hatte angefangen erste Haufen aufzuschütten. Francesca, er und die Kinder hatten sich auf den ersten Blick in die alte Mühle verliebt, als sie diese zufälligerweise während einer Wanderung durch das Aischtal entdeckten. Vier Monate dauerte es, bis er den Vorbesitzer endlich weichgeklopft hatte und dieser bereit war, das ganze Anwesen zu verkaufen.
Nach ungefähr zwei Kilometern setzte der neue Mühlenbewohner den Blinker rechts und lenkte den Audi von der schmalen Straße auf die vorfahrtsberechtige B 470. Kaum zehn Minuten später erreichte er den zentralen Kreisverkehr in Höchstadt an der Aisch und warf einen Blick auf Fridolin, den größten Steinkarpfen der Welt, der dort, aus Muschelkalk gehauen, mitten auf dem Kreisel stand. Fast drei Meter lang, einen Meter und siebzig Zentimeter hoch und nahezu drei Tonnen schwer, blickte Fridolin stadteinwärts in Richtung der Aisch. Als der Audi die steinerne Skulptur halb umrundet und sich wieder in die B 470 eingeordnet hatte, gab der Fahrer Gas und beschleunigte den Wagen wieder. Seine Gedanken beschäftigten sich mit dem Auftragsmord, den er in Amberg erledigen sollte, bevor er sich auf seine eigentliche Reiseroute begab. Weder kannte er Roserl Hinterwimmer von einem früheren Treffen in Wolfrathshausen noch war er auf einer Geschäftsreise in Prag unterwegs, und Rolf hieß er schon gar nicht. Auch eine Anaconda nannte er nicht sein Eigen. Mühlenbesitzer war er auch nicht, denn die Immobilie war im Grundbuchamt bewusst auf den Namen von Francesca eingetragen. Francesca Antonelli, nun alleinige Eigentümerin des altertümlichen Anwesens und Tochter von Calippo Antonelli, einem mächtigen Boss der kalabrischen Mafiaorganisation Ndrangheta. Er war der Geldgeber für den Kauf der Immobilie.
Zu seinem ersten Zwischenstopp in Amberg rechnete der Auftragsmörder mit einer kurzen Fahrzeit von einer Stunde und zehn Minuten. Konservativ gerechnet. Die Autobahn nach Amberg war normalerweise nicht stark befahren. Im Handschuhfach lag seine halbautomatische Selbstladepistole Colt 1911 A1, Kaliber 45, nebst Schalldämpfer. Keine zehn Minuten später fuhr er auf die Autobahnauffahrt Höchstadt-Ost in Richtung Nürnberg. Als die Autobahn kurz vor der Anschlussstelle Tennenlohe von zwei in drei Spuren überging und sich die Lkws auf die rechte Spur verzogen, ging es deutlich schneller voran. Die Landschaft flog an ihm vorbei. Über der Fahrbahn flimmerte immer noch die Hitze des Tages. Er stellte die Klimaautomatik auf angenehme einundzwanzig Grad ein. Es dauerte nicht lange, bis er von der A3 auf die A6, die Europastraße 50, wechselte. Der Lkw-Verkehr löste sich immer mehr auf.
Bei Amberg-West verließ der Mörder die Autobahn, fuhr die Stadt über die Bundesstraße 299 an und wechselte dann auf die Nürnberger Straße. Er lag gut in der Zeit. Ein kurzer Fußweg in die Innenstadt lag noch vor ihm. Er hatte nicht die Absicht in der Altstadt zu parken, geschweige denn in der Nähe des Eh’Häusls. Am Anfang des Kaiser-Wilhelm-Rings bog er in die Kugelbühlstraße ab und begab sich auf Parkplatzsuche. In der Luitpoldstraße wurde er schließlich fündig. Er stellte den Motor ab und stieg aus. Obwohl die Sonne längst hinter dem westlichen Horizont verschwunden war, stand die heiße Luft noch immer in den Straßenzügen. Das Thermometer in seinem Wagen hatte immer noch dreißig Grad Außentemperatur angezeigt. Trotz der Hitze steckte er sich eine Marlboro zwischen die Lippen und machte sich auf seinen Weg in die Altstadt. Auf Höhe des Wingerheimer Tores überquerte er den Kaiser-Wilhelm-Ring. Er fühlte, wie ihm der Schweiß das Rückgrat hinablief. Sein dunkelblaues Adidas-T-Shirt zeigte auch auf der Vorderseite schon die ersten Schweißflecken. Sein Jackett, in welchem seine Pistole schlummerte, trug er über dem linken Unterarm. Er schmiss die Zigarettenkippe achtlos in einen Gully. Drüben auf der anderen Straßenseite, wählte er den Weg durch die Steinhofgasse und gelangte schließlich über den Rossmarkt zur Georgenstraße. Das Eh’häusl lag nun ganz in der Nähe. Der Mörder legte eine kurze Verschnaufpause ein. Wie gerne hätte er jetzt in einer Kneipe ein kühles Weizenbier genossen, aber das Risiko, dass sein Gesicht in irgendeinem oberpfälzischen Gehirn abgespeichert wurde, wollte er nicht eingehen. Er setzte seinen Gang fort und tauchte in die enge Viehmarktgasse ein. Kurz danach befand er sich bereits in der Seminargasse. Noch einhundert Meter.
*
Während ihr Mörder noch zu ihr unterwegs war, genoss Roserl das erste und letzte ausgiebige Whirlpool-Bad ihres Lebens. Dem gekühlten Schampus konnte sie nicht widerstehen. Zu verlockend kondensierte die Kälte auf der grünen Flasche, als sie den Champagner aus dem Kühlfach nahm. Sie ließ Wasser in die Whirlpool-Wanne, ließ es ordentlich sprudeln und schaltete die wechselnden Lichteffekte ein. Nachdem sie die Champagner-Flasche mit einem tiefen Plopp geöffnet, einen ordentlichen Zug aus der Pulle genommen und dann laut gerülpst hatte, stieg sie in das sprudelnde Wasser. Die Flasche mit dem edlen Getränk stellte sie griffbereit auf dem Fliesenfußboden vor der Wanne ab. Sie dachte über ihr bisheriges Leben nach. Prahlen konnte sie damit nicht: Eine äußerst dürftige und mäßige Abiturnote und ein völlig verkorkstes Italoromanistik-Soziologie-Studium war das einzig Wesentliche, was sie vorzeigen konnte. Vor Antritt des fünften Semesters meinte sie ein Jahr in Rom verbringen zu müssen. Eindrücke von Land und Leuten gewinnen, Sprache verbessern, so waren seinerzeit ihre Gedanken. Heute gestand sie sich ein, dass sie damals von der Uni einfach nur die Schnauze voll hatte. Sie musste einfach mal raus aus diesem Lehrsaalmief. Nicht sie gewann Eindrücke von Land und Leuten, sondern die jungen römischen Männer gewannen Eindrücke von ihr. Sie landete quasi mit jedem im Bett, den sie kennenlernte. Bis Luigi kam. Luigi Antonelli aus dem süditalienischen Dorf Platì, in der Stiefelspitze Italiens gelegen. Luigi schmiss mit Geld nur so um sich. Er las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Dafür schenkte sie ihm ihren jungen, aufregenden Körper. Vergessen waren Uni und Studium. Drei Wochen nach dem Kennenlernen zog sie in seine exklusive Junggesellenwohnung nahe der Spanischen Treppe ein. Fortan führte Roserl ein wildes Leben voller Partys, Sex und Drogen. Bald stand sie auf Koks und zog sich regelmäßig eine Linie in die Nase. Luigi schien direkt an der Quelle des Kokains zu sitzen. Woher das viele Geld kam, konnte sie sich nicht erklären, denn ihr Lover ging keiner geregelten Arbeit nach. Aber das interessierte sie auch nicht wirklich. Die Kohle war einfach da. Ihr Lebensgefährte bekam viel Besuch. Männlichen Besuch. Meist zwielichtige Gestalten. So sahen sie jedenfalls aus. Manchmal sah sie auch eine Schusswaffe in einer Art Körpergürtel unter einem Jackett stecken. Luigi beruhigte sie. »Alles Privatdetektive meiner Kanzlei«, erklärte er ihr, »kein Grund zur Sorge.« Sie lebte weiter sorglos in den Tag hinein, bis zu dem Tag, an dem sie Anna traf. Eine von Luigis Ex-Freundinnen.
»Hör zu, was ich dir sage, denn ich sage es nur ein einziges Mal«, warnte Anna sie. »Du lebst gefährlich. Luigi ist ein hohes Tier in der Mafia-Organisation der Ndrangheta. Er geht über Leichen. Wenn du ihm überdrüssig wirst, lässt er dich fallen wie eine heiße Kartoffel. Ich weiß, wovon ich rede. Ich hätte mein Verhältnis zu ihm fast mit dem Leben bezahlt. Hier, sieh her«, forderte sie Roserl auf, schob ihr T-Shirt über dem Hosengürtel hoch und ließ die Deutsche ihre grausam verstümmelte und vernarbte Bauchdecke sehen.
»Was ist das?«, zuckte Rosi angeekelt zurück.
»Ein Säureanschlag«, erhielt sie zur Antwort, »nur so zur Warnung. Ich kann froh sein, dass er mich nicht umgebracht hat.«
»Was hast du ihm angetan?«
»Ich? Nichts. Ich stand ihm lediglich im Wege. Für eine neue Beziehung. Eine Asiatin aus Hongkong hatte es ihm angetan. Nach sechs Monaten mit ihm zusammen sprach sie von Hochzeit. Zwei Monate später wurde sie von einem Lkw überfahren. Natürlich tot. Der Unfallfahrer wurde bis heute nicht gefunden. Ich kann dir nur raten, hau ab, solange noch Zeit dazu ist.«
Roserl glaubte ihr kein Wort. Aus Anna sprach der blanke Neid. Verletzte Gefühle. Dennoch, ein kleines Gefühl von Misstrauen war in ihrem Innersten gesät. Fortan betrachtete sie das Verhalten ihres Freundes mit einer gewissen Skepsis, ohne sich etwas anmerken zu lassen – wie sie glaubte. Als sich der Arm des Gesetzes nach Luigi ausstreckte, wäre es fast zu spät gewesen. Sie schaffte gerade noch rechtzeitig den Absprung. Dass sie sich bereit erklärte, mit der römischen Justiz zusammenzuarbeiten, rechnete sie ihrem Eigeninteresse zu, mit einem blauen Auge aus der ganzen Scheiße herauszukommen. Was Luigi alles auf