SIN SOMBRA - Hölle ohne Schatten. Joachim Gerlach

SIN SOMBRA - Hölle ohne Schatten - Joachim Gerlach


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Leute aber blieben. Nicht einmal in die Luft abgegebene Warnschüsse konnten sie vertreiben. Schweigend zeigten sie die Schwäche ihres Herrn auf.

      Innerlich stand Sion de Albanez vor dem Zusammenbruch. Mit Mühe nur konnte er die Fassade des mächtigen Mannes aufrecht halten.

      Nachdem, was vorgefallen war, durfte kein Blutvergießen stattfinden. Diese Einsicht wenigstens hatte er, zugleich das schmerzliche Empfinden, dass ihm die Autorität abhanden gekommen war.

      Hatte je einer seines Geschlechtes eine solche Demütigung erfahren? Von den eigenen Untertanen belagert und vorgeführt. Schimpf und Schande über ihn!

      Wie sollte er jenen, die heute hier waren, zukünftig begegnen? Wie sollte er ihnen je wieder gebieten? Wie sollte er je wieder seine Ansprüche gegen sie rechtfertigen?

      Und wie sollte er mit ihren stummen Anklagen, die sie fortsetzen würden, umgehen? Für alle Zeit würden sie ihn beschuldigen, das Leben von Pablo und den Seinen zerstört zu haben.

      Sein Vater hatte schon den Tod des Sohnes zu verantworten.

      Sion de Albanez war sich sehr wohl um diese seit langem unausgesprochen im Raum stehende Anklage bewusst. Und diese Anklage kam jetzt gänzlich zum Tragen. Jetzt, da dieser kleine schattenlose Teufel und Pablo verschwunden waren und seine Frau nicht mehr lebte, lastete sie zusätzlich auf ihm.

      Häufig war in diesen Tagen der Name Frederico wieder gefallen. Die Erinnerung an ihn war aufgelebt.

      Wie nur konnte er sich von allen Anschuldigungen befreien, wie nur?

      Sion de Albanez fand in seiner Anspannung zu keinem klaren Gedanken. Er dachte nur an die Leute da draußen. Die Empfindungen, die ihn heimsuchten, die ihn gar überfluteten, waren unerträglich.

      Endlich in der größten inneren Verzweiflung bahnte sich der Ansatz eines finsteren Plans den Weg vom kalten Herz in seinen Geist.

      *

      Wenige Tage später konnte Joaquin aus der Ferne sein Dorf sehen. Dahinter das Meer mit seiner bekannten lauten Brandung, die noch hier oben zu hören war und ihn zu begrüßen schien.

      Seine Seele, in der Einsamkeit und Finsternis des Verlieses vollkommen entleert und stumpf geworden, begann sich wieder zu füllen. Doch es fehlte die Freiheit. Er sah auf seine gefesselten Hände.

      Die Überlegung, noch einmal die Flucht zu wagen, war nicht beiseite zu schieben. Doch würde er keine Chance auf ein Entkommen haben.

      Mit der Schwäche seines Körpers und der Unfähigkeit, seine Arme einzusetzen, würde es ihm nicht gelingen, sich von seinen Begleitern, darunter der verhasste Juan, entscheidend abzusetzen. Warum nur hat man mich hierher gebracht?

      Die Aussage, seine unmittelbare Schuld am Tode von Gabriel prüfen zu wollen und in der Örtlichkeit das Geschehene noch einmal nachzustellen, konnte mit der Wahrheit nicht viel zu tun haben. Die verstohlenen Blicke der Männer, die mit ihm ritten, sie sagten ihm etwas anderes als ihre Münder.

      Er musste es noch einmal wagen! Was konnte er sich schon damit vergeben?

      Seine Flucht aus dem Gefängnis war auch gescheitert und doch lebte er noch.

      Für den Ausbruchversuch war ihm entgegen seiner Erwartung auch keine Gewalt zuteil geworden, ausgenommen, dass er mit rabiater Gewalt in eine andere Zelle zurückgebracht worden war.

      »Da, sieh dir dein Dorf an, und dann fangen wir an, über alles zu reden!«

      Joaquin vermochte sich von den Umständen nicht frei zu machen.

      Der Blick hinunter auf sein Dorf und auf das im noch tiefen Licht silbrig glänzende Meer waren grandios. Doch er konnte ihn nicht so verinnerlichen wie tausendmal zuvor, wo er hier oben gestanden hatte.

      Er musste weiter an die mögliche und doch auch unmögliche Flucht denken.

      Was wollen sie jetzt mit mir anfangen? Mit mir reden? Wozu soll das führen?

      Egal! Er würde sich anhören, was sie zu sagen hatten. Vielleicht war es auch gut, auf Zeit spielen zu können. Zudem war hier, wo er jetzt stand, nicht an Flucht zu denken.

      Joaquin schaute sich um.

      Nein, das Gelände war zu flach. Eben noch waren sie an einer für ihn günstigeren Stelle vorbeigekommen. Auf dem Rückweg würde er dort die Flucht versuchen.

      Hier jetzt nicht! Nein, nicht hier!

      Das Gelände musste steiler sein, musste so steil sein, dass ihm niemand zu Fuß folgen konnte.

      Die Stelle, die er zuvor bemerkt hatte, war gut geeignet. Nur mit Rutschen würde man ihm vielleicht nachkommen können.

      Die große Abschüssigkeit konnte ihm aber auch zum Verhängnis werden. Er hatte die Hände nicht frei, das Risiko, unkontrolliert abzurutschen und sich zu verletzen oder das Leben zu verlieren, war groß.

      Doch er hatte keine andere Wahl.

      In dem plötzlichen Wissen, etwas gegen seine Gegner ausrichten zu können, wurde er ruhiger. Er hielt den Blick weit nach draußen aufs Meer gerichtet, spürte den frischen Morgenwind, der die Klippen hinauf kam, auf seiner bleich gewordenen, unrasierten Gesichtshaut und hörte die lauten Schreie der Möwen von weit her. Die Welt war einzigartig schön und alle Entbehrung nicht im Stande, ihren Glanz zu unterbinden. Selbst diese Situation, in der er sich befand, konnte den Zauber nicht zerstören.

      Wenn er diese Geschichte hier, gleich wie, überstehen würde, dann würde er an diesem Platze eine Kapelle, eine schöne weißgetünchte Kapelle zu Ehren der heiligen Jungfrau Mutter Gottes errichten. Eine große Statue von ihr würde dem Dorf den Schutz, den es brauchte, von hier oben zukommen lassen. Dieser Platz hier sollte ein Ort der Heiligkeit werden. Ein Ort, hoch über seiner Heimat, der die himmlische Heimat offenbarte.

      Ein warmer Strom durchfloss Joaquin. Er spürte, wie ein helles Licht, stärker als das der Sonne seiner spanischen Heimat, seine Seele zum hellsten Strahlen brachte. Der warme Strom verstärkte sich zu einem Glühen.

      Der Himmel war nah, doch noch einmal, das letzte Mal, trat das Irdische an ihn heran.

      Das Glühen wurde ein heißer Schmerz. Es war der Schmerz eines starken Stiches, ausgeführt von Juan, der plötzlich hinter ihm stand.

      Joaquin verstand nicht. Und es blieb ihm auch keine Zeit mehr, irgendetwas zu verstehen.

      Die Sonne in seinem Innern stürzte ab.

      Ein weiterer Stich, den Juan ihm versetzte, bekam er gerade noch zu spüren, aber er fühlte schon keinen Schmerz mehr. Eine tiefe Schwärze überzog seinen Horizont und trennte ihn vom Licht und vom Leben.

      Er war tot, erstochen mit dem Messer von Pablo, das in seinem Leichnam stecken blieb, gestorben durch einen feigen, hinterhältigen Angriff und dafür, dass sein Herr, der edle Sion de Albanez, seine Autorität wieder herzustellen in der Lage sein würde.

      Alles würde jetzt einen Sinn bekommen. Das Verschwinden von Pablo, nachdem er offenkundig Joaquin getötet hatte. Aus Rache, weil dieser Gabriels Tod zu verantworten hatte. Einer der mitgekommenen Wachleute, die völlig ungerührt den Mord an Joaquin verfolgt hatten, hatte dem Toten das von ihm unterschriebene Geständnis in die Kleidung geschoben. Es sollte weiteren Beweis liefern.

      Jetzt erklärte sich auch, warum Margarita nicht mehr lebte. Die Scham und die Überforderung durch alles Geschehene hatte sie in den Tod getrieben.

      Nach verrichteter Arbeit trennten sich die Wege von Juan und den Wachsoldaten.

      Während diese nach Cadiz zurückritten, um Enrique Lopez, dem Kommandanten, den Vollzug der feigen Tat zu melden, tat Juan das Gleiche bei seinem Herrn.

      Zurück blieb der tote Joaquin, der für sein ehrenhaftes Tun mit dem Leben büßen musste.

      Es sollte so aussehen, dass er aus dem Gefängnis ausgebrochen war. Von Beginn an war alles konstruiert gewesen, die offen stehende Zellentür, der betrunkene Wachsoldat.

      Und


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