"Weil die Hoffnung niemals stirbt". Marie-Rose
im Leben und in der Arbeit von Schwester Marie-Rose.
2012 mussten Schwester Marie-Rose und ihre Mitschwestern aus ihrem Konvent in der Altstadt von Homs fliehen. Er war von bewaffneten Gruppen eingenommen worden. Was früher ein Zentrum für behinderte Kinder war, wurde das Hauptquartier eines mörderischen Al-Kaida-Anführers.
Ich sah Schwester Marie-Rose weinen, als sie ein Jahr später erfuhr, dass auch ihr Geburtsort – Maalula, ein antikes christliches Dorf – von bewaffneten Gruppen überrannt worden war. Die Kirchen von Maalula waren schwer beschädigt, und die Angehörigen von Schwester Marie-Rose waren gezwungen, sich den Scharen verarmter Vertriebener anzuschließen. Derartige unheilvolle Szenen spielten sich damals fast in ganz Syrien ab.
Hätte sie es gewollt, könnte Schwester Marie-Rose jetzt in Frieden und Sicherheit in Europa leben. Sie hätte sich der Flüchtlingswelle anschließen können. Doch sie entschied sich dafür, bei den Menschen in Syrien zu bleiben – den Christen, Muslimen und Alawiten. „Warum?“, fragte ich sie. „Seit ich ein Kind war, habe ich die Liebe Gottes in meinem Leben erfahren“, antwortete sie mir, „und ich habe mich entschlossen, diese Liebe mit den Ärmsten zu teilen.“ Das waren keine leeren Worte.
Schwester Marie-Rose und ihre Mitschwestern zogen von Homs in die friedliche Küstenstadt Tartus, wo Hunderttausende Binnenflüchtlinge Zuflucht gesucht haben. Hier begann sie, Pläne zu schmieden, wie sie auf die katastrophale menschliche Tragödie vor ihren Augen reagieren könnte. Sie entwickelte erbauende Programme für die Vertriebenen, zum Beispiel Nahrung und Unterkunft für Heimatlose, medizinische Behandlung für Menschen mit lebensbedrohlichen Krankheiten und Ausbildung für Straßenkinder und schutzbedürftige Frauen.
Die Arbeit von Schwester Marie-Rose stillt nicht nur die menschlichen Grundbedürfnisse. Sie berührt auch die Herzen mit der Liebe Gottes. Wann immer ich Schwester Marie-Rose bei der Arbeit erlebte, sah ich, wie sich sorgenvolle Gesichter von Christen, Muslimen, Alawiten und Atheisten aufhellten.
Mitten in den für das syrische Volk düstersten Stunden hörte ich Schwester Marie-Rose sagen: „Die Kirche im Nahen Osten wird eine Kirche der Hoffnung bleiben.“ Dieser starke Glaube wurzelt in der tiefen Überzeugung, dass keine böse Macht Gottes Liebe auslöschen kann. Gottes Liebe wurde nicht ausgelöscht, als Gottes Sohn ans Kreuz geschlagen wurde, und sie gilt bis heute – auch wenn ein so großer Teil der Menschheit durch Tod und Zerstörung gegangen ist. Schwester Marie-Rose ist eine der führenden Fackelträger Syriens, die auch inmitten tiefster Dunkelheit das Licht am Leuchten halten.
Die Gewaltszenen, die uns von den Medien gezeigt werden, gehörten nicht immer schon zu Syrien. Mein erster Kontakt zu Syrien ereignete sich noch vor den Unruhen des „Arabischen Frühlings“ 2011. Damals war das Land noch ein Zufluchtsort für mehr als eine Million Flüchtlinge aus dem benachbarten Irak. Viele dieser vertriebenen Iraker beschrieben mir das Syrien vor dem „Arabischen Frühling“ als ein Paradies im Vergleich zu ihrer eigenen vom Krieg zerstörten Heimat. Wenn auch die Hälfte der Bevölkerung flüchten musste, eine halbe Million Menschen getötet, die wirtschaftliche Infrastruktur zerstört wurde und der Staat zunehmend Schwierigkeiten hat, soziale Dienste, fließendes Wasser und Elektrizität zu gewährleisten – Syrien ist kein hoffnungsloses Land.
Schwester Marie-Rose ist überzeugt davon, dass der Friede zurückkehren und das Land wieder aufgebaut werden kann und dass die Kirche weiterhin ein lebendiges Zeugnis für die Liebe Gottes sein wird. Ihre Berufung ist es, diese Ziele zu erreichen. Indem Sie Schwester Marie-Rose Ihre helfende Hand entgegenstrecken, werden diese Ziele auch Teil Ihrer Berufung. Ich bin dankbar, dass die gleichen Ziele Teil meiner Berufung mit Christian Solidarity International (CSI) geworden sind.
Dezember 2017
Dr. John Eibner
Nahost-Verantwortlicher
Christian Solidarity International
Christian Solidarity International (CSI) ist eine christliche Menschenrechtsorganisation für Religionsfreiheit und Menschenwürde. CSI wurde 1977 gegründet nach Schweigemärschen für verfolgte Christen hinter dem Eisernen Vorhang. Im Laufe der 1990er Jahre wurde CSI durch das Sklavenbefreiungsprogramm im Sudan einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.
CSI will dort tätig sein, wo religiöse Minderheiten besonders bedroht sind. Die rasante Verschlimmerung der Situation im Nahen Osten – religiöse Minderheiten sind besonders hart betroffen – führte dazu, dass CSI Hilfsprogramme für die Menschen in Ägypten, im Irak und später auch in Syrien startete. Der Grundsatz von CSI blieb über all die Jahre gleich: Aus christlicher Motivation allen Menschen helfen, die in Not sind – mit dem Schwerpunkt auf Christinnen und Christen und Angehörigen anderer religiöser Minderheiten. Zusätzlich zur humanitären Hilfe mobilisiert CSI die Öffentlichkeit und berät Fachleute, Politiker und Regierungsvertreter, um eine Verbesserung der Situation herbeizuführen.
www.csi-schweiz.ch | www.csi-de.de | www.middle-east-minorities.com
Vorwort Iskandar A. Agobian
Ich bin ein Armenier aus Aleppo, der zweitgrößten Stadt in Syrien. Im Herbst 2012 musste ich meine Heimatstadt wegen der sich rapide verschlechternden Sicherheitslage verlassen. Ich zog nach Khrab, einem Dorf an der syrischen Mittelmeerküste, etwa 20 Kilometer von Tartus entfernt. Meine Partnerin aus der Schweiz begleitete mich. Schon bald nach unserer Ankunft begannen wir, Freizeitaktivitäten für Flüchtlingskinder aus der Umgebung von Idlib anzubieten.
Schwester Marie-Rose hatte in unserem Dorf einen Frauentreff aufgebaut und besuchte das Dorf deshalb regelmäßig. Während einem dieser Treffen lernte meine Partnerin sie kennen. Sie erfuhr von dem riesigen Hilfsprogramm, das Schwester Marie-Rose insbesondere für die christlichen Familien gestartet hatte, die das „Tal der Christen“ zwischen Homs und Tartus hatten verlassen müssen. Sie sorgte für Hilfe und Bildung für fast 2000 Familien und etwa 500 Kinder. In dieser Zeit begann auch die finanzielle Unterstützung von Christian Solidarity International.
Wir arbeiten seither eng mit Schwester Marie-Rose zusammen und haben sie dadurch gut kennengelernt. Schwester Marie-Rose ist eine sehr demütige und aufrichtige Person. Wenn man sie sieht, würde man nie erwarten, dass sie eine so riesige Verantwortung trägt: Sie ist die Leiterin der „Kongregation der Schwestern der heiligen Herzen von Jesus und Maria“ in Syrien. Trotz einer Unmenge von Leitungsaufgaben hat sie immer Zeit zu beten, zu kochen, beim Putzen des Konvents mitzuhelfen, mit den Kindern zu spielen, zu lesen und sogar fernzusehen. Mit ihrer unverfälschten Art könnte man sie direkt für ein 16-jähriges Mädchen halten – dabei ist sie schon 60 Jahre alt!
Auch wenn sie täglich mit vielen schlimmen Geschichten konfrontiert ist, hat sie das nicht abgestumpft. Sie konnte sich oft der Tränen nicht erwehren, während sie mir von den persönlichen Schicksalen erzählte, die nun in diesem Buch vorliegen. Ich weiß, sie litt viel und leidet weiterhin an den tieftraurigen Geschichten, die sie zu hören bekommt. Doch sie zeigt ihre Traurigkeit selten, im Gegenteil: Ihr freundliches Lachen ist heilsame Medizin für viele.
Es ist für mich ein enormes Privileg, Schwester Marie-Rose zu kennen und Teil ihrer Arbeit – und jetzt auch dieses Buchs – zu sein.
Iskandar A. Agobian
Dezember 2017
Einleitung: Wie ein Vogel auf einem toten Ast
Syrien gilt als ein Land der Zerstörung. Seit vor über sechs Jahren der Krieg ausbrach, liefert es immer wieder Anlass für schreckliche Schlagzeilen. Gewalt und Tod bestimmen die Berichterstattung in den Medien, und die Massen von Flüchtlingen beunruhigen die Welt weit über Syrien hinaus. Doch Syrien ist mehr als das. Es ist auch die Heimat von Menschen, die ihr Land trotz all des Leids, dem sie ausgesetzt sind, nicht aufgeben wollen. Es ist die Heimat von Menschen, die jeden Tag ihren Glauben an Gott leben und auf eine bessere Zukunft