Die Kleinen sind die Feinen. Otfried Schröck
Reichsbahn im Roten Luch. Dann musste ich noch drei Kilometer bis nach Hause laufen. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals vom Haltepunkt Rotes Luch abgeholt wurde, weil es zu dieser Zeit in unserer Familie noch kein geeignetes Fortbewegungsmittel gab, mit dem man mich hätte abholen können. Auch war eine solch mütterliche Fürsorge damals nicht üblich.
Sehr genau erinnere mich aber daran, dass mir einmal auf dem Heimweg eine menschliche Gestalt entgegenkam. Bald erkannte ich meine Mutter an ihrer Körpergröße und an ihrer Art, zu gehen. Dann fiel mir ein weißes Wollknäuel auf, das neben ihr lief. Dieses Wollknäuel war für meine Mutter der Grund, mich entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit von der Bahn abzuholen. Den Welpen, für den sich augenscheinlich seiner Farbe wegen noch kein Interessent gefunden hatte, erwarben meine Eltern von einem in der Nähe wohnenden Jäger, der zwei hervorragend auf Sauen arbeitende Rauhaarteckel hatte. Er nutzte jede freie Minute, die ihm die Arbeit ließ, um mit ihnen zu jagen. Ein Reviergang mit der Mutter und dem Vater unseres Welpen war selten erfolglos. Die Hündin war auf Sauen so sicher, dass sie Einstände, in denen kein Schwarzwild steckte, nur widerwillig, wenn überhaupt annahm. Am Anschuss wusste man schon nach wenigen Metern, ob das Stück einen tödlichen Schuss hatte oder gefehlt worden war, weil die Hündin gesunde Fährten überhaupt nicht arbeitete.
In der „Zuchtlinie“ hat sich wohl einmal ein Foxterrier verewigt, denn der ansonsten schneeweiße Welpe hatte auch einige braune Abzeichen. Wie dem auch sei, er gehörte von nun an zur Familie, in der zwei, später drei Familienmitglieder Jäger waren. Obwohl schon seit Dezember 1957 die staatliche Vorgabe bestand, auf 500 ha Jagdgebietsfläche einen geeigneten, geprüften Jagdhund zu halten, brauchte es noch Jahre, bis diese Forderung verwirklicht wurde. So standen einerseits in dieser Zeit kaum leistungsgeprüfte Jagdhunde zur Verfügung, andererseits war es auch kein Problem, einen geeigneten Hund ohne Papiere zur Jagd einzusetzen.
Schnepfen und Enten
Der Welpe, den wir „Strolch“ nannten, entwickelte sich gut und wir freuten uns sehr über den neuen Hausgenossen. An eine jagdliche Ausbildung dachte niemand und Strolch hat in seinem Leben weder ein Kommando befolgen müssen, noch eine künstliche Schweißfährte gearbeitet. Die Aufgaben, für die wir ihn hin und wieder brauchten, erledigte er zu unserer vollsten Zufriedenheit. Wir hatten kaum Gelegenheit, ihn an Sauen arbeiten zu lassen und haben auch keine gesucht. Er sollte nur hin und wieder eine der Katzen auf den Baum jagen, zu deren Erlegung wir damals außerhalb einer 200-Meter-Zone über den befriedeten Bereich hinaus verpflichtet waren. Das tat er mehrmals mit Erfolg. Wichtiger für uns war die Schweißarbeit, für die er durch seine Mutter hinreichend vorbelastet war. Aber auch für die Suche von erlegtem Federwild war er gut zu gebrauchen.
Damals durften wir bis zum 15. April noch Schnepfen schießen. Wir jagten in dieser Zeit anders als heute, wo wir durch die hohen Schalenwildbestände ganz anderen Zwängen unterliegen. Die Bestände an Schwarz – und Rotwild waren noch auf einem erträglichen Niveau und es musste nicht jede Gelegenheit genutzt werden, die Sauen kurz zu halten. Vielleicht haben wir es damals schon versäumt, in die sich ständig erhöhenden Schalenwildbestände rechtzeitig einzugreifen. So herrschte in der Regel ab Ende Januar weitgehend Jagdruhe und man ging nur zu einigen Kontrollgängen im Februar und März ins Revier. Ab Ende März/ Anfang April warteten wir sehnlichst auf das Erscheinen der Frühjahrsschnepfen. Getreu den Sinnsprüchen „Reminiscere – putzt die Gewehre“ und „Okuli – da kommen sie“ bereitete man sich auf den ersten Höhepunkt des Jagdjahres vor. Die Stimmung, die an so einem Vorfrühlingsabend den Jäger ergreift, ist schwer zu beschreiben und heute kaum noch nachzuvollziehen, da die wenigsten Jäger nur wegen des Erlebnisses ins Revier gehen. Es ist nämlich ein großer Unterschied, ob man an der Kirre auf Sauen passt und dabei den Balzlaut der Schnepfe vernimmt, oder ob man an einem Waldrand steht und sehnsüchtig auf die erste Schnepfe wartet. Langsam kommt die Dämmerung und mit den letzten verklingenden Gesangsübungen einer Amsel auf dem höchsten Baum der Umgebung beginnt der Schnepfenstern am Abendhimmel zu leuchten. Angestrengt lauscht man auf die Laute der balzenden Schnepfen. Mit „Puiz, Puiz“ und „Quorr, Quorr“ nähert sich dann ein suchender Schnepf und manchmal auch eine Hochzeitsgesellschaft. Nicht langsam und bedächtig, sondern im schnellen, oft im Zickzack ausgeführten Flug. Wie schwer eine Schnepfe im Fluge zu treffen ist, macht der Spruch: „Schießt Du auf Zick, ist sie auf Zack und schießt Du auf Zack, ist sie auf Zick“ deutlich.
Am Rande des schon erwähnten Wildackers habe ich mir einen günstigen Stand ausgesucht. Dieser befindet sich zwischen zwei Brüchern, die „Feld- und Heide-Kranichsluch“ genannt werden. Die Schnepfen streichen gewöhnlich genau an der Waldkante entlang. Schon von weitem vernehme ich die vertrauten Laute und da kommen sie mir auch schon entgegen. Ich reiße die Flinte hoch und werde erst im letzten Moment fertig, als sie schon fast über mich hinweg sind. Der Schuss ist raus und eine Schnepfe fällt hinter mir in einen mehrere Meter breiten Schilfgürtel. Wie soll ich die nur bei dieser Dunkelheit finden? Eine Taschenlampe habe ich zwar dabei, aber groß sind meine Hoffnungen nicht. Da fällt mir der Hund ein, aber Strolch hat eine solche Arbeit noch nie gemacht. Im Vertrauen auf seine Nase und die Leistungen seiner Vorfahren weise ich ihn in Richtung auf den vermeintlichen Fundort ein und er nimmt das Schilf auch sofort an. Eine ganze Weile knistert es im Schilf, es geht hin und her, mal näher, mal weiter, aber immer nicht sehr weit von mir entfernt. Er sucht also konzentriert und lässt nicht nach. Dann kommt er auf mich zu und hat zu meiner großen Freude die Schnepfe im Fang. Natürlich gibt er sie mir nicht vorschriftsmäßig aus und möchte seine Beute gern behalten. Das ist mir aber gleichgültig, ich freue mich unbändig, liebele ihn ab und nehme ihm die Schnepfe aus dem Fang. Es ist übrigens die einzige ihrer Art in meinem Jägerleben geblieben. Jedenfalls finde ich in meinem Jagdtagebuch, das ich in den ersten Jahren meiner Jägerlaufbahn akribisch geführt habe, keinen weiteren Eintrag über eine Schnepfe. Als die Jagdzeit dieser interessanten Vogelart immer mehr eingeschränkt wurde, so dass es sinnlos war, auf den Vogel mit dem langen Gesicht zu warten, bin ich noch oft ins Revier gegangen, nur um den Zauber des Schnepfenstriches zu erleben. Für Strolch war dieses Erlebnis so prägend, dass er Zeit seines Lebens das „Puiz, Puiz“ und „Quorr, Quorr“ der balzenden Schnepfen mit einem ruckartigen Aufwerfen seines Kopfes markierte.
Unweit von diesem Wildacker befinden sich die „Giebelkuten“, zwei giebelartig zueinander angeordnete Tümpel. Ihren Namen haben sie aber sicher von dem Fisch namens Giebel, der eine interessante Fortpflanzungsbiologie hat und deshalb auch in solchen Gewässern überleben kann. Hier lebten neben vielen an das Wasser gebundenen Tieren damals auch mehrere Sumpf-Schildkröten. Eine davon, die Waldarbeiter aufgesammelt und mir gebracht hatten, schmückte zeitweilig mein Terrarium, bis ich sie wieder in der Nähe ihres Fundortes aussetzte. An einem der größeren Tümpel sitze ich heute auf Enten an. Hier ist das Schießen auf die anfliegenden Enten nicht ganz so schwierig, wie in dem Wasserloch, an dem ich mein erstes jagdliches Erlebnis hatte. Es gelingt mir auch, zwei Enten zu erlegen und nun habe ich das Problem, sie zu bergen. Sie liegen ungefähr 20 Meter von mir entfernt zwischen Krautinseln und Entengrütze. Strolch sitzt neben mir und hat das Geschehen aufmerksam verfolgt. Zunächst versuche ich, ihn wie bei der Schnepfe zum Suchen zu animieren. Aber er ist nicht übermäßig wasserfreudig und so habe ich mit meinen Bemühungen keinen Erfolg. Es bleibt mir also nur übrig, im Adamskostüm in dem bauchtiefen Wasser und knietiefen Morast in den Teich zu waten und die Enten selbst zu holen. Die erste Ente apportiere ich ohne Probleme bis ans Ufer, wo sie von Strolch intensiv in Augen - und Nasenschein genommen wird. Er kennt ja noch keine Ente, ist aber sehr interessiert und nun nehme ich ihn an die Leine und lasse ihn neben mir herschwimmen, was er auch bereitwillig tut. Bei der Ente angekommen, nimmt er diese, ohne zu zögern, in den Fang und kehrt mit meiner Unterstützung schwimmend wieder ans Ufer zurück. Nun habe ich also einen Dackel, der zwar ein weißes Fell mit braunen Abzeichen hat, der mir aber unter nicht allzu schwierigen Bedingungen auch einmal eine Ente aus dem Wasser holt. Bei einer späteren Übung mit Hunden unserer Jagdgesellschaft stellt er diese Fähigkeit zum Erstaunen der Vorstehhundeführer im freien Wasser auch unter Beweis.
Auch dieses Erlebnis prägt Strolch für sein ganzes Leben. Ich erinnere mich dabei an einen morgendlichen Gang zum mehr als eine halbe Stunde entfernten Ansitz. Gleich hinter dem Ort unterquert der schon erwähnte Stöbber die Landstraße und verläuft danach ein Stück neben ihr. Wenn Seen und Teiche bereits zugefroren sind,