Ich muss meinen Weg gehen .... Gerhard Klein
es im Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche –, die Liebe Gottes allen Menschen und Völkern zu verkünden und mitzuteilen. Verkünden und mitteilen sind die zentralen Worte. Aber was verkünden wir den Menschen? Geben wir ihnen ein fest verschnürtes Glaubenspaket oder teilen wir den Menschen und Völkern die Liebe Gottes mit? Es geht nicht darum, den Leuten zu sagen, was sie zu tun haben. Sie sollen spüren, dass wir sie gernhaben, dass wir sie lieben. Liebe – gerade im Zusammenhang mit der indigenen Bevölkerung, den Ureinwohnern – bedeutet, dass wir uns einsetzen für ihr Leben und ihr Überleben. Die Indigenen wurden seit Jahrhunderten immer wieder bedroht. Ich denke, dass sich die Liebe Gottes diesen Völkern gegenüber so erweist, dass wir sie unterstützen, ihnen helfen, mit ihnen sind. Nicht nur für sie da sind, sondern mit ihnen sind, damit sie leben können. Das ist biblisch!
BETTINA SCHIMAK:
Sie sprechen so einfach von der Liebe Gottes. Das ist in unseren Breitengraden nicht mehr selbstverständlich. Wie haben Sie Gott lieben gelernt?
ERWIN KRÄUTLER:
Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der das religiöse Leben einfach dazugehört hat. Wir haben immer vom „lieben Gott“ gesprochen, der gleichzeitig Vater und Mutter für uns alle ist. Ich habe diese Beziehung heute noch. Ich habe in meinem Leben viel erlebt. Gutes und weniger Gutes. Aber im Grunde genommen habe ich auch das Kreuz akzeptieren können, weil ich daran geglaubt habe, dass jemand mit mir ist und ich nicht allein bin. Da möchte ich einhaken mit der Befreiungstheologie. Wenn man heute von Befreiungstheologen spricht, ist man der Meinung, das wären einige marxistisch angehauchte Theologen, Priester, vielleicht sogar Bischöfe. Befreiungstheologie hat für mich aber wenig mit Marxismus zu tun. Befreiungstheologie ist grundbiblisch. Im Exodus-Bericht sagt Gott seinem Volk: „Ich habe das Elend meines Volkes gesehen, ich habe seinen Schrei gehört, ich kenne sein Leid. Darum bin ich herabgestiegen, um es aus der Sklavenhütte zu befreien.“ Als Moses dann fragte: „Wie ist dein Name?“, antwortete Gott: „Ich bin der ich bin da.“ Das ist die tiefe Gotteserfahrung. Gott ist nicht ein Gott in weiter Ferne, sondern er ist da, mit uns. Gott ist ein befreiender Gott. Wenn jemand sagt, er sei gegen die Befreiungstheologie, ist er gegen die Bibel, gegen die Offenbarung Gottes.
Wenn ich gefragt werde, was mir Kraft und Mut gibt, ist es diese Überzeugung: Ich bin nicht allein auf dieser Welt und ich erfülle meinen Auftrag, weil Gott das von mir so will und mir auch die Kraft und den Mut dazu schenkt.
BETTINA SCHIMAK:
Wieso schenkt Gott auf der einen Seite so viel Mut und Kraft und lässt auf der anderen Seite so viel zu?
ERWIN KRÄUTLER:
Auf bestimmte Fragen gibt es keine Antwort. Kürzlich ist eine liebe Verwandte von mir mit 43 Jahren an Krebs gestorben. Meine erste Frage war auch: Warum? Gerade wenn eine junge Person stirbt, habe ich keine Antwort. Ich weine und bin traurig. Vielleicht hadere ich sogar mit dem Schicksal. Aber auch das ist keine Antwort. Wir leben in einer Welt, in der es nicht für alles prompt eine Antwort gibt. Ich glaube aber, es gibt Situationen im Leben, in denen ich trotzdem Ja sagen muss – auch wenn ich nicht weiß warum. Im Johannes-Evangelium heißt es im Kapitel 13: „Da er die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zum Äußersten.“ Das ist das Wichtige: Bis zum Ende lieben heißt, bis zum Äußersten sich hingeben, bis zur letzten Konsequenz. Bei Johannes heißt es weiter: „Daran haben wir die Liebe erkannt, dass er sein Leben für uns eingesetzt hat.“ Auch wir sind es schuldig, unser Leben für die Schwestern und Brüder einzusetzen.
BETTINA SCHIMAK:
Das wird sehr oft so leicht dahingesagt. Sie sagen das nicht so leicht dahin …
ERWIN KRÄUTLER:
Nein, wirklich nicht. Es ist nicht immer leicht. Aber es ist der Weg, den wir gehen sollen. Und ich bin trotz allem glücklich! Ich habe nie daran gezweifelt, dass das der Weg ist. Keinen einzigen Augenblick in meinem Leben. Ich habe zwar auch gefragt: „Warum musste das jetzt so kommen?“ Aber am Grundsätzlichen habe ich nie gezweifelt. Das Glück eines Menschen besteht auch darin, einen Weg gehen zu dürfen und nicht aufzugeben. Ich möchte für andere da sein. Für mich da zu sein, macht nicht Sinn. Für andere da zu sein, macht Sinn. Und wir suchen nach Sinn. Wenn unser Leben keinen Sinn mehr hat, ist es gefährlich.
BETTINA SCHIMAK:
Gibt es auch dunkle Momente?
ERWIN KRÄUTLER:
Es gibt dunkle Momente. Dann hinterfrage ich: „Warum ist das so gekommen?“ Das gehört zum menschlichen Leben dazu. Auch wenn ich spüre, dass ich an meine Grenzen gekommen bin, sind das dunkle Momente. Als der Polizeikommandant zu mir gekommen ist und gesagt hat: „Sie stehen jetzt unter Polizeischutz“, habe ich mich gewehrt. Ich habe genau gewusst, das geht jetzt an meine Substanz. Ich werde in meiner Freiheit eingeengt. Ich darf nicht mehr gehen, wohin ich will, wann ich will, mit wem ich will. Immer sind zumindest zwei Polizisten dabei. In dem Moment wollte ich das Handtuch werfen. Aber auf einmal konnte ich sagen: „So, das gehört jetzt einfach dazu.“ Ich hatte Angst, in Depression zu verfallen. Ich war gewohnt, jeden Morgen um Viertel vor fünf meine fünf Kilometer zu laufen. Das durfte ich jetzt nicht mehr, weil die Gefahr zu groß war, dass ich beschossen werde. Jetzt bleibt mir nur die Alternative, in dem Haus, in dem ich lebe, 65 Schritte nach vor und 65 Schritte zurück zu machen. Ja, es gibt diese Momente, in denen man richtig am Boden ist. Aber es ist nicht so, dass ich aufgeben würde und sagen würde: „So, mein Auftrag ist jetzt vorbei.“
BETTINA SCHIMAK:
Sie setzen sich vehement gegen das Wasserkraftprojekt „Belo Monte“ ein, das am Xingu, einem Seitenfluss des Amazonas, errichtet wird. Ihnen wird von Kritikern vorgeworfen, dass Sie damit die Entwicklung der brasilianischen Gesellschaft verhindern wollten, weil dieses Staudammprojekt so wichtig wäre.
ERWIN KRÄUTLER:
Was heißt Entwicklung für Amazonien? Entwicklung für Amazonien ist nicht unbedingt gleichzusetzen mit Entwicklung für Europa oder Süd- und Mittelbrasilien. Amazonien hat eine ganz besondere Berufung. Amazonien ist der tropische Regenwald, der auch klimaregelnd ist, der massive Auswirkungen auf das Weltklima hat. Welche Entwicklung können wir in Amazonien tatsächlich fördern? Das ist die Frage. Wenn wir alles abholzen, wenn wir mit der Brandrodung weitermachen, wenn wir alle Flüsse mit Staudämmen und Elektrizitätswerken bestücken: Soll das Entwicklung für Amazonien sein? Amazonien geht zugrunde. Das ist keine Entwicklung!
Die zweite Frage ist: Wofür und für wen ist diese Energie? Man sagt, dass den Armen Strom gegeben werden soll. Das ist eine Lüge! Die Staudämme dienen einzig den Aluminiumwerken. Angesichts dessen frage ich mich: Wie können wir von Entwicklung sprechen, wenn wir damit die ganze Welt kaputt schlagen? Ich sag nochmals ganz klar: Amazonien hat auf unserem Planeten eine klimaregelnde Funktion. Wir können die Flüsse mit Staudämmen besetzen, aber die Welt geht zugrunde. Das sage ich nicht, weil ich ein Unglücksprophet bin und Hiobsbotschaften verteilen will, sondern dahinter stehen wissenschaftliche Studien. Was bringt uns Entwicklung, wenn die Handelsbilanz stimmt, aber unsere Leute sterben? Dieser Staudamm wird weitere drei oder vier Staudämme mit sich bringen. Dann kommt’s zum Domino-Effekt. Auch die anderen Flüsse kommen dran. Darum sage ich: Der Staudamm ist der Todesstoß für Amazonien.
BETTINA SCHIMAK:
In unseren Breiten verbindet man – im Gegensatz zu Atomstrom oder Strom, der aus Kohlekraftwerken gewonnen wird – mit Wasserkraftwerken immer noch „saubere“ Energie …
ERWIN KRÄUTLER:
Ich glaube auch, dass Strom, aus Flüssen gewonnen, bis zu einem bestimmten Punkt saubere Energie ist. Aber im Zusammenhang mit Amazonien: Nein! Saubere Energie bedeutet auch, dass die Menschen überleben können. Aber die indigenen Völker können nicht überleben. Man sagt zwar, es wird im Moment