Logbuch Deutsch. Roland Kaehlbrandt
aktiv (besser noch: proaktiv) herbeigeführt werden, gern übrigens auch von Visionären, die sich damit zu Agenten des Wandels mausern. Die Innovation versteht sich von selbst. Sie steht an, ob sie gefällt oder nicht. Mit ihr wird einem Naturgesetz Geltung verschafft. Sie nennt sich bewusst nicht Verbesserung. Denn damit müsste sie sagen, für wen. Ähnlich einer technischen Weiterentwicklung ist sie rein sachlich und versteht sich als sachgerecht. Innovationen haben sich daher auch nicht moralisch zu rechtfertigen. Im Gegenteil: Ihre quasi naturgesetzliche Autorität kann unter moralischem Diktat nur leiden. Gesellschaftliche Innovationen sind daher als strukturelle Notwendigkeiten zu verstehen. Der Innovator macht sich nur zum Werkzeug einer ohnehin und unabwendbar eintretenden Zukunft. Indem er ihr aber möglicherweise noch vor der Zeit zum Durchbruch verhilft, darf er einen Mitgestaltungsanspruch geltend machen. In jedem Falle aber ist er Wegbereiter einer höheren Gewalt, nämlich jener des Wandels, den wir freudig annehmen sollten, wenn wir uns nicht als Bedenkenträger oder Strukturreaktionäre selbst ins Abseits stellen wollen.
Diese dürre Geschichtsphilosophie, die in ihrem mechanistischen Denken kurioserweise an die unerbittliche und irrige Zwangsläufigkeit des Vulgärmarxismus denken lässt, läuft auf eine politisch und kulturell kaum zu beeinflussende Wettbewerbsgeschichte hinaus, in der vor allem die Innovationsbereitschaft des Einzelnen zählt. Neuerungen sind aus dieser Sicht grundsätzlich bestehenden Traditionen überlegen und verdienen den Vorzug vor Bewährtem, ohne sich rechtfertigen zu müssen.
Ihre Berechtigung leiten die Innovationen nicht aus dem Blick auf die Vergangenheit, sondern auf die Zukunft ab, nämlich aus der Forderung nach Zukunftsfähigkeit. Dabei wird vergessen, dass wir uns prinzipiell auf eine Zukunft vorbereiten, die wir nicht kennen. Es gilt dennoch, sich fit für die Zukunft zu machen. Fitness in diesem Sinne bezeichnet nicht nur die Instandhaltung des Körpers, seine Optimierung, sondern auch die laufende Aktualisierung der Managementfähigkeiten. Zukunftsfähigkeit ist ein vermeintlich ideologiefreier Begriff, weil er keine konkrete Utopie verkörpert, sondern sich auf das Management gesellschaftlichen Überlebens konzentriert, mit der Wettbewerbsfähigkeit als Maßstab. Der Begriff breitet sich inzwischen in allen politischen Lagern aus, sodass er seinen sozialdarwinistischen Beiklang verliert und damit vollends sinnentleert ist.
Philosophie und Kultur
Während Begriffe aus dem Wirtschaftsbereich andere gesellschaftliche Bereiche unterwandern, dringen umgekehrt Begriffe in den Sprachgebrauch des Managements ein, die seinem Denken eigentlich entgegengesetzt sind. Gern wird das (zwar sinnvolle und nötige) Wirtschaftsgebaren gleich zu einer ganzen Welterklärung aufgebläht. „Meine Philosophie ist …“ – so bekennen Referenten häufig, die es sich sonst eigentlich verbitten würden, in einem Atemzug ausgerechnet mit philosophischen Fakultäten genannt zu werden. Ihr Begriff der Philosophie hat mit der ursprünglichen Bedeutung als ein in jahrtausendealter Denktradition stehendes System der Weltdeutung nichts mehr zu tun. Im Managementjargon bedeutet er noch so viel wie grundsätzliche Überlegungen oder auch Überzeugungen und Einstellungen. Das aber wäre dem Redner zu schlicht. Er nutzt die Aura des Begriffs, weidet sie aus für die Aufwertung eines deutlich einfacheren Inhalts. Während die zweckfreie und rein erkenntnisorientierte Denkweise der Philosophie aus Sicht des Effizienzdenkens in den Verdacht sinnfreier und entbehrlicher Tätigkeit gerät, muss der Begriff Philosophie andererseits aufgrund seines geistigen Anspruchs zur Bemäntelung einfacher Gedanken aus dem Wirtschaftsbereich herhalten. Die aus dem englischen Sprachraum stammende Ummünzung von Philosophie für derartige Zwecke ruft allerdings längst nicht mehr das Erstaunen oder gar die Irritation des Publikums hervor, so sehr hat man sich bereits daran gewöhnt.
Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff der Kultur in seiner imponierdeutschen Verwendung. Eine durchgängige Hochleistungskultur schreibt sich ein Unternehmen auf die Fahnen. Was soll hier die Kultur? Hat das Unternehmen etwa Neigung, sich mit dem sonst eher belächelten Kulturbetrieb gemein zu machen? Reicht es nicht, dass man sich Hochleistungen auf die Fahnen schreibt (was ja allein schon ziemlich ehrgeizig klingt)? Ohne eine Unternehmenskultur geht es nicht. Dabei ist es ja gar nicht schlecht, dass Unternehmen sich dazu verpflichten, mit ihren Mitarbeitern und Kunden anständig umzugehen. Aber muss man diese Selbstverständlichkeit gleich mit dem Hochwertwort Kultur verbrämen?
Jenseitiges und Diesseitiges
Da bietet sich in der Spirale der Eitelkeiten und Beschönigungen glücklicherweise ein weiteres Hochwertwort als Ersatz an: die Mission, womit wir endgültig im Reich der Transzendenz angekommen sind. Und wem die Mission nicht reicht, dem bietet sich der Mythos an.
Auch die Gabe des Sehens steht in hohem Kurs. „Ich sehe …“ ist eine beliebte Formel von Volkswirten in Kreditinstituten: „Ich sehe eine niedrige Zinslage bei volatilen Aktienmärkten.“ Oder: „Wir sehen sehr schwache englische Banken.“
Fachlich klingt auch eine eigenwillige Verwendung von Präpositionen, zum Beispiel wenn sich ein Produkt am Markt bewährt. Dass nur ja nicht der Eindruck entsteht, man habe es hier mit dem schlichten Wochenmarkt zu tun! Auch arbeitet man nicht an einem Projekt, sondern man ist auf einem Projekt. Gern werden auch Neuschöpfungen verwendet, die missverständlich sind und deshalb Eingeweihtsein voraussetzen: zeitkritisch hat nichts mit dem bekannten Substantiv Zeitkritik zu tun (also mit der Kritik an den gegenwärtigen Zuständen), sondern bedeutet schlicht, dass eine bestimmte Maßnahme in einer bestimmten Zeit, also rechtzeitig, umgesetzt werden muss, weil sie sonst nicht wirkt. Ähnlich wie zeitkritisch wird auch das gebräuchliche opportunistisch umgedeutet: Bezeichnet der Opportunismus an und für sich eine charakterlich fragwürdige Haltung, so ist ein opportunistisches Investment gerade nichts Verwerfliches. „Wir gehen opportunistisch ran“, meint im Imponierdeutschen schlicht, dass günstige Gelegenheiten genutzt werden. Beliebt sind auch Verben aus dem Beraterjargon wie skalieren (eine Sache größer und kleiner machen können), kalibrieren (sie in das rechte Maß bringen) und kannibalisieren (ein Unternehmen sich selbst zerlegen lassen) – eine hübsche Metapher!
Das Beraterdeutsch ist als Zulieferer des Imponierdeutschen einerseits an fachlicher Bedeutsamkeit, andererseits aber auch an Kürze interessiert. Das Opfer ist die Grammatik. Kommunikationsmedium der Berater ist der Chart. In der Kommunikation im Querformat entstehen grobe Verkürzungen, die mit deutscher Grammatik nicht mehr viel gemein haben. „Auswahl Standort“, „Verbreiterung Wirkungsgrad“, „Entscheidung Führung“ lauten gängige Überschriften in Präsentationen. Der Genitiv hätte eigentlich mühelos Platz gehabt. Aber Zeit ist Geld, und so übt sich die Beratersprache in absoluter Shortform. Durch die Verbreitung der PowerPoint-Präsentationen bei allen Anlässen bis hin zu Hochzeiten und runden Geburtstagen dringt die genannte absolute Shortform in die Gesellschaft vor – vielleicht als Vorreiterin einer kasusfreien Sprache.
Wegwerfwörter
Die Leichtigkeit, mit der wir in der deutschen Sprache Wörter zusammensetzen können, ist Segen und Fluch zugleich. Sie verführt zur Bildung von Wörtern, die für den kurzen Gebrauch zurechtgezimmert werden, um dann wieder in Vergessenheit zu geraten. Das Imponierdeutsche ist besonders hemmungslos beim Erfinden von Gelegenheitskonstruktionen, die den Anschein gehobener Fachlichkeit vermitteln. So heißt es in einem Zeitungsbeitrag, Unternehmen brauchten heutzutage den multifunktionalen Servicemitarbeiter. Dass man Mitarbeiter im Dienstleistungsbereich eines Unternehmens braucht, die vielseitig sind, ist leicht vorstellbar. Aber es klingt nicht fachlich genug. Der multifunktionale Servicemitarbeiter dagegen klingt durch seine Verknüpfung verschiedener Fremdwörter fachlich-technisch, er erweckt den Eindruck eines etablierten Berufsbilds.
Ähnlich ist es mit der Aufforderung, ein Unternehmen solle intermodulare Potenziale realisieren. Gemeint ist, dass ein Unternehmen die Produktion verschiedener Bauteile aufeinander abstimmen und dadurch effizienter machen soll. Diese einfache Tatsache muss sich